NachrufHochzeitsfeier ohne Braut

Der Mann mit Hut: Helmut Pinckert an einem von vielen Konzert-Abenden in seinem Café Kram
Copyright: Bilder: Holger Buhr, Frederic Koerber Lizenz
Wenn Helmut Pinckert wieder einmal auf drei Barhockern herumturnte, um irgendetwas zu reparieren, wurde nicht nur seine Hündin Gypsy nervös. Einmal wollte er die Lamellen eines Luftreinigers an der Kneipendecke säubern. Der Wirt hatte allerdings statt einer Reinigungsflüssigkeit zur Salzsäure gegriffen, die er in verdünnter Form immer zum Reinigen der Pissoirs benutzte. Der stechend riechende Chlorwasserstoff-Dampf breitete sich im kompletten Café Kram aus. Pinckert musste alle Gäste nach Hause schicken und erst einmal lüften.
„Er war ein begeisterter Heimwerker, aber leider nicht immer erfolgreich“, sagt Martina Weidenfeld, die bis zuletzt mit Helmut Pinckert zusammengearbeitet hat, 23 Jahre lang. Sein Freund Stefan Fischer wird deutlicher: „Er hatte die Gabe, aus einem 50-Euro Problem einen 500-Euro-Schaden zu machen“.
32 Jahre war Helmut Pinckert der Chef des Cafés in Deutz, das sehr viel mehr war als das. Morgens verbrachten die Schüler des Gymnasiums Schaurtestraße ihre Freistunden dort – manchmal vergaßen sie die Zeit, spielten Billard oder Darts. Ein Lateinlehrer verlegte einmal seinen Unterricht ins Café Kram, weil ohnehin alle Schüler dort waren. Spätestens um 17 Uhr wurde das Café zur Kneipe, und Helmut Pinckert stach das erste Fässchen an.
Im Kram trafen sich Skatfreunde, FC-Fans und Blues-Liebhaber. „Man brauchte in Deutz keine Gelben Seiten, im Kram traf man Ärzte, Rechtsanwälte, Musiker – jeder kannte jeden“, sagt ein Stammgast: Kai Engel (43). Der Brings-Keyboarder hat seine zweite Frau an der Theke kennengelernt. Bei Konzerten von Steve Baker, Chris Jones oder Abi Wallenstein war der Laden brechend voll. Wenn Pinckert alleine hinter der Theke stand, mussten die Gäste immer etwas länger auf ihr Kölsch warten. Doch er ließ sich nie hetzen und sagte: „La Rue heißt die Ruhe“, wenn jemand ungeduldig auf sein leeres Bierglas zeigte.
Pinckert liebte gute Musik, vor allem Blues. Er war eines der Gründungsmitglieder des Vereins Deutz Kultur, der Konzerte, Lesungen und Kabarett-Abende im Viertel organisiert. Schlechte Musik konnte er nicht ertragen. Als er nach einer Krebserkrankung 2001 in einer Reha-Klinik in Eckenhagen war, besuchte er mit Martina Weidenfeld einen Gitarrenmusik-Abend im Klinikum. „Drei Frauen klimperten auf ihren Gitarren und sangen »Im Frühtau zu Berge«“, sagt die 42-Jährige. Pinckert flüsterte ihr zu: „Wenn man das Alter der drei Damen zusammenzählt, kommt man auf das Gründungsdatum von Eckenhagen.“ Er setzte nach: „Diesen Liederabend überlebe ich nicht.“ Also packte Martina Weidenfeld ihren Chef ins Auto und brachte ihn aus dem Oberbergischen zurück nach Köln. „Es war ein Samstag, wir haben bis Sonntagfrüh im Kram Bier getrunken.“ Erst am Montag kehrte Pinckert in die Reha-Klinik zurück.
„Früher hat man sich dauernd gesehen“
Seine Gäste kannten ihn fast 17 Jahre lang nur mit Gypsy an der Seite, seiner geliebten Mischlingshündin. „Mit ihr war er quasi verheiratet“, sagt Stefan Fischer. Die Hündin hatte eine Hundehütte neben der Theke und hörte Helmut Pinckert geduldig blinzelnd zu, wenn er mit ihr sprach, als sei sie ein Mensch. „Ich bin sehr enttäuscht von dir“, sagte er dann, oder: „Das habe ich dir doch schon vor zwei Wochen gesagt“. Manchmal blickte er Gypsy auch nur an und fragte: „Ja? Wau?“ Als die Hündin starb, ließ Pinckert sie in einem Tierkrematorium einäschern und verstreute ihre Asche auf den Poller Wiesen. Einige Stammgäste waren dabei. „Wir standen dort zusammen, tranken Sekt und heulten“, sagt Martina Weidenfeld.
Mitte der 1990er Jahre hätte Pinckert tatsächlich beinahe geheiratet – nicht Gypsy, sondern eine Frau, mit der er immer wieder zusammen war und dann doch wieder getrennt. Sie wollten im Café Kram feiern, Pinckert hatte ein riesiges Buffet bestellt. Alle Gäste waren da – nur die Braut hatte es sich kurzfristig anders überlegt. Es wurde trotzdem eine lange Nacht im Kram. Pinckert feierte die Hochzeit ohne seine Braut.
Als er am 4. April, einem Freitag, nicht zur Arbeit kam, wusste Martina Weidenfeld gleich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Die Feuerwehr fand den 67-Jährigen tot in seiner Wohnung nahe der Drehbrücke. Helmut Pinckert starb an einem Herzinfarkt. Durch seinen plötzlichen Tod haben viele Deutzer nicht nur einen Freund verloren, sondern auch ihre Stammkneipe. Seit dem Tod des Wirts ist das Café Kram geschlossen.
Manchmal treffen sich die ehemaligen Stammgäste zufällig auf der Straße, die „Kram-Waisen“, wie Stefan Fischer sie nennt. Dann stehen sie ein bisschen herum, reden über alte Zeiten und natürlich über Helmut Pinckert. „Egal, wen man fragt: Niemand hat bisher einen Ersatz für das Kram gefunden“, sagt Fischer. Nicht nur das, viele Gäste scheinen wie vom Erdboden verschluckt zu sein. „Das ist schon seltsam, früher hat man sich dauernd gesehen.“ Irgendwo in Deutz werden sie sein, die anderen „Kram-Waisen“. Und Stefan Fischer ist ganz bestimmt nicht der Einzige, der wehmütig wird, wenn er nachts den Gotenring entlang geht. Denn dort leuchtet über dem Eingang des Hauses mit der Nummer 42 noch immer das Schild mit der Aufschrift „Café Kram“.