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#Neuland als Kamellemädche im Rosenmontagszug„Wo zur Hölle ist mein Funk?“

Lesezeit 4 Minuten

Am Bagagewagen werden Bons gegen Säcke getauscht. Und dann heißt es: laufen, laufen, laufen.

Köln – Mir tut alles weh. Meine Füße sind plattgelaufen, mein Rücken schmerzt wie der eines Packesels und meine Schultern zieren rote Striemen. Und trotzdem schwebe ich im siebten Karnevals-Himmel. In meiner ersten Session als Vollzeit-Karnevalsreporterin durfte ich im Rosenmontagszug mitgehen. Allerdings nicht in der bequemen Variante, als Gast eines Vereins auf einem Wagen beispielsweise. Nein, in Köln muss man sich seine Lorbeeren verdienen – und der Rosenmontagszug ist die Ober-Lorbeere.

Als Anfängerin stehe ich auf der untersten Stufe der Hierarchie und laufe als Kamellemädchen bei den Roten Funken mit. Kamellemädchen beziehungsweise -jungen sind die jungen Leute, die während des Zugs zwischen den Fußgruppen umher flitzen und den Mitwirkenden die Säcke mit Wurfmaterial wieder auffüllen.

Vier Funken pro Helfer

Während die Funken also im gemütlichen Gleichschritt den Zugweg entlang schlendern und Kamelle in die Menge werfen, rasen die Helfer im Stop-and-Go-Tempo zwischen ihren Funken und dem Bagagewagen hin und her. Während des vier Stunden dauernden Marschs legen sie so locker das Doppelte an Strecke zurück, laufen also mindesens 15 Kilometer.

„Zieh dir bequeme Schuhe an“, wurde mir eine Woche zuvor bei der Einkleidung im Quartier der Roten Funken gesagt. Also komme ich in Turnschuhen früh morgens zum Aufstellplatz in die Südstadt. Hier werden die Kamellehelfer auf die Mitglieder der Fußgruppe verteilt. Im Schnitt ist jeder von uns für vier Leute zuständig, von denen er jeweils rund 50 Euro Trinkgeld kassiert. Die meisten Läufer sind Schüler und verdienen sich an Rosenmontag ein stolzes Taschengeld. Ist der Funk zufrieden mit seinem Kamellehelfer, stehen die Chancen gut, dass er ihn im nächsten Jahr wieder engagiert.

So wie Rainer Schulz und seine Johanna: „Sie läuft nun schon das vierte Jahr für mich. Die Johanna ist sehr aufmerksam, das ist das Wichtigste.“ Und tatsächlich: Kaum setzt sich der Zug in Bewegung, hält sie Ausschau nach ihren vier Arbeitgebern, sucht deren Blick und kommt angerannt, wenn einer signalisiert, dass er Nachschub braucht. Bei Bedarf öffnet sie auch Sektflaschen und wischt die Lippenstiftspuren vom vielen Bützen aus dem Gesicht. Von Johanna gucke ich mir das Prozedere ab: Zuerst wird der leere Beutel von den Trageriemen des Funk abgeschnallt, dann nimmt sie einen Bon entgegen und flitzt zum Bagagewagen. Bei den Wagenhelfern tauscht sie beides gegen eine neue Ladung Kamelle, rennt zurück zum Funk und befestigt den gefüllten Beutel mit Karabinerhaken an seinem Gurt. Fertig. Sieht so schwer nicht aus, denke ich.

Das buchstäbliche Gewicht der Aufgabe

Falsch gedacht. Als ich wenig später meinen ersten Auftrag als Springerin bekomme, kriege ich eine Ahnung vom buchstäblichen Gewicht der Aufgabe. Ein Kamellebeutel wiegt je nach Inhalt zwischen drei und sechs Kilo, als Kemallehelfer schleppt man rund 60 davon durch den Zoch. Mit zwei Exemplaren pro Seite stolpere ich prompt in die Pferdekutsche des Tanzpaars.

Dann die große Frage: Wo zur Hölle ist der Funk, der mir gerade seine Bons in die Hand gedrückt hat? In ihrer Uniform sehen die alle gleich aus. Leise Panik beschleicht mich, schließlich hat er ja für sein Wurfmaterial gezahlt, 30 bis 50 Euro kostet so ein Beutel. Am Rosenmontag investieren Funken, die in der Fußgruppe mitlaufen, etwa 500 Euro für Kamelle und Strüssjer. Auf dem Wagen ist die Summe fast doppelt so hoch.

Nach zehn Minuten gegenseitigen Suchens finden der Funk und ich uns wieder, und ich lade Kamelle und einen Arm voll Blumen bei ihm ab. Zur Belohnung darf ich selbst ein paar Sachen schmeißen. Das Gefühl, wenn man eine Hand voll Süßigkeiten in eine strahlende, verkleidete Menge wirft, ist unbeschreiblich. „Diese Momente sind der eigentliche Lohn für die Arbeit, dafür nimmst du auch die Rennerei und die Schmerzen in Kauf“, sagt Kamellejunge Emil (16), drückt einer Frau ein Strüssjer in die Hand und rennt weiter.