Niehl – Was steckt wohl hinter diesem seltsamen Backsteingebäude an der Neusser Landstraße 2 in Niehl, dessen Form an eine riesige Zigarre oder an einen monumentalen Zuckerhut erinnert? Die Antwort liefert das Kölner Institut für Festungsarchitektur Crifa (Cologne Research-Institute of Fortification Architecture). „Der eigenwillige Bau mit der besonderen Architektur ist ein Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg“, erklärt Robert Schwienbacher, der Vorsitzende des Instituts, den Besuchern, die sich zur ersten Führung nach einer fast siebenjährigen Pause vor dem Turm versammelt haben. Bis 2008 hatten Ehrenamtler des Instituts Interessierte durch den so genannten „Winkel-Turm“ geführt, der nach dem Kölner Konstrukteur Leo Winkel (1885 – 1981) benannt ist. Danach sei das private Gebäude an einen Künstler vermietet worden, der aber mittlerweile wieder ausgezogen sei, erzählt Schwienbacher. Seitdem veranstaltet das Institut, das auch das Kölner Festungsmuseum betreibt, an jedem dritten Samstag im Monat kostenlose Führungen durch den Hochbunker. „Wir wollen damit die Geschichte des Turms erhalten“, sagt er.
Das seit 1992 denkmalgeschützte Gebäude mit der verklinkerten Fassade und dem Schieferdach ist in seiner Form bundesweit einmalig. Es steht auf dem Gelände der ehemaligen Glanzstoff-Courtaulds-Werke im Kölner Norden. „Der Bau diente rund 600 Glanzstoff-Beschäftigten als Schutzraum bei Luftangriffen“, erläutert Crifa-Mitarbeiter Jürgen Schneider, der einen Teil der Besuchergruppe durchs Turminnere führt. „Der Betrieb galt in den 1940er Jahren als kriegswichtig“, sagt er. Unterstützt von der Rüstungspolitik der Nationalsozialisten produzierten die Glanzstoff-Werke unter anderem Kunstfasern und Fallschirmseide für den Kriegseinsatz. Die Produktion wurde 1967 eingestellt. Der im Juni 1940 fertiggestellte Luftschutzturm war einer von rund 200 solcher vornehmlich im Westen gebauten Winkel-Türme.
„Die mit wenig Eisenarmierung gebauten Betonzigarren sollten auftreffenden Bomben wenig Angriffsfläche bieten und bei einem Treffer möglichst für ein Abgleiten der Bombe ohne Explosion sorgen“, erklärt Schneider. Tatsächlich sind sie fast gänzlich von Luftangriffen der Alliierten verschont geblieben. Trotzdem habe die Wehrmacht den weiteren Bau solcher Türme, die hauptsächlich als Schutzraum für Beschäftigte umliegender Unternehmen und weniger als Langzeitunterkunft dienten, nach 1941 eingestellt. 600 Menschen in kurzer Zeit in den Turm zu bekommen, sei umständlich gewesen, sagt Schneider. Platz fanden die Schutzsuchenden auf Holzbänken, die auf den Treppenstufen montiert waren. Rund eine Stunde führt Schneider die Gäste durch das spiralförmig angeordnete Treppenhaus des Turms, über die 16 Halbebenen, die sich nach oben bis zur Kuppel verjüngen. „In der Turmspitze war die Brandwache untergebracht“, sagt er. Durch vier Beobachtungsschlitze konnten nach Luftangriffen entstandene Brände schnell lokalisiert und die Löscharbeiten koordiniert werden.
Von Schneider erfahren die Besucher Wissenswertes über die Belüftungsanlage des Turms, über Reste der Telefonanlage, die noch sichtbar sind, über die Toiletten im Turm und über die gut erhaltenen, teils dreisprachigen Beschriftungen an den Wänden, die auf die Unterbringung von Zwangsarbeitern hindeuten, die bei der ehemaligen Glanzstoff beschäftigt waren. Zu Beginn der Führung erhält jeder Besucher eine Taschenlampe. Denn trotz damaliger zentraler Energieversorgung fehlt heute die Beleuchtung im fensterlosen Bau. Bei der Frage nach einer Nutzung des Winkel-Turms winkt Robert Schwienbacher ab. Die Deckenhöhe betrage nur etwa zwei Meter. Außerdem setze der Denkmalschutz enge Grenzen und verbiete umfangreiche Eingriffe in das Gebäude. „Ab und zu wird der Turm von der Feuerwehr genutzt“, sagt er. „Die machen hier ihre Atemschutzübungen.“
Schwienbacher und seine Mitstreiter sind an der Erhaltung und der geschichtlichen Aufarbeitung des imposanten Gebäudes interessiert. Mit Vortrags- und Besichtigungsprogrammen wollen sie ihr Wissen an Interessierte weitergeben. Neben dem Winkel-Turm in Niehl erforscht das Institut weitere Bunkeranlagen und die preußischen Festungen in Köln. Wer an den vielfältigen Aufgaben und wissenschaftlichen Dokumentationen beim Institut Crifa ehrenamtlich mitarbeiten möchte, sei jederzeit herzlich willkommen, sagt Robert Schwienbacher. Interessenten können sich melden unter festungsmuseum@crifa.de