Evangelische KircheEine Pionierin auf der Kanzel

Ein Foto von 1965: „Frau Pastorin“ Köhler geleitet eine Konfirmandengruppe vom Gemeindesaal zur Lutherkirche.
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Nippes – In den 50er und 60er Jahren bekamen die jungen Mädchen gern ins Poesiealbum geschrieben „Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“ So wurde ihnen einmal mehr auf subtile Weise das Rollenbild nahegelegt. Eine Frau hatte dem Mann zu dienen und eigene Ambitionen zurückzustellen. Übersehen wurde dabei freilich, dass auch im Schatten blühende Veilchen Selbstbewusstsein entwickeln können – und manchmal sogar die Welt bewegen.
So eine Frau scheint Ursula Köhler gewesen zu sein. 1963 wurde sie, ohne dass sie darauf abgezielt hätte, zur Pionierin – als erste Frau, die in Köln ein Gemeindepfarramt übernahm, in der Evangelischen Gemeinde Nippes. 50 Jahre ist das nun her. Die Frauengruppe um Pfarrerin Bettina Kurbjeweit hat sich zum Jubiläum intensiv mit der Biographie Köhlers befasst und eine Festschrift erarbeitet. Die erscheint anlässlich des Gedenkgottesdienstes Mitte September.
„Es gab zeitweise sogar Designervorschläge für einen weiblichen Talar“ - (Bettina Kurbjeweit)
Ursula Köhler wurde am 28. Juni 1932 in Wuppertal-Ronsdorf geboren, als zweites von vier Kindern des Pfarrers Herbert Köhler. In Mainz, Wuppertal, Tübingen und Bonn studierte sie Theologie. Ihr Vikariat verbrachte sie in Leverkusen-Schlebusch. 1961 ordiniert, wurde sie im Dezember 1963 Gemeindepfarrerin in Nippes. 1973 wechselte sie nach Bad Neuenahr, 1980 nach Birnbach im Westerwald. Seit 1994 im Ruhestand, starb sie im Jahr 2000. (kaw)
Auf dem Passfoto, das Ursula Köhler im April 1963 mit ihrer Bewerbung einreichte, sieht sie im Grunde so aus, wie man sich damals wohl ein nettes, liebes, anständiges Mädchen vorstellte. Mit würdevollem Ernst schaut sie in die Kamera, ihr Blick spiegelt Zurückhaltung, als wäre sie es gewohnt, sich hintanzustellen. Das Gesicht ist ungeschminkt, auch die Augenbrauen sind nicht in Form gezupft. Und die Kurzhaarfrisur ist alles andere als schick: naturgelockte Haare, unbeholfen antoupiert. Sie wirkt sensibel, verletzlich, nicht eben sehr lebenserfahren, als wäre sie wohlbehütet aufgewachsen. Eine Pfarrerstochter aus Wuppertal. Dabei aber eine erwachsene Frau von 31 Jahren. Studierte Theologin und seit zwei Jahren ordiniert – jedoch nur als Vikarin.
In den 1960ern fehlte es an Pfarrern in Köln
Allein die männlichen Kollegen durften sich damals Pfarrer nennen. Frauen war es außerdem verwehrt, das Beffchen zu tragen, die weiße Halsbinde, die eigentlich obligatorischer Bestandteil des liturgischen Gewandes eines evangelischen Geistlichen ist. Auf dem Passfoto hat Köhler folglich zwar den schwarzen Talar an, aber nur mit weißem, offenstehenden Kragen. Erst 1987 wurde das Beffchen für beide Geschlechter eingeführt. „Es gab zeitweise sogar Designervorschläge für einen speziellen weiblichen Talar“, erzählt Bettina Kurbjeweit belustigt.
In Koblenz-Pfaffendorf ist Ursula Köhler 1963 Hilfsprediger, möchte sich verändern. Im Sonntagsblatt hat sie gelesen, dass in Nippes die dritte Pfarrstelle vakant ist. Die darf mit einer Frau besetzt werden, wenn die beiden anderen Amtsinhaber Männer sind – das hat die Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland im Januar 1963 beschlossen. Es fehlten Pfarrer, auch in Köln, weil sich hier nach dem Krieg viele evangelische Flüchtlingsfamilien aus Ostdeutschland niedergelassen hatten.
Ursula Köhler greift zum Füllfederhalter. „Sehr geehrter Herr Kollege“, schreibt sie am 20. März in zierlicher Handschrift an den damaligen Nippeser Pfarrer Friedhelm Boy, „ich möchte fragen, ob Ihre Gemeinde eventuell eine Pastorin anstellen würde.“ Der Ton ist liebenswürdig bescheiden und selbstsicher zugleich. „Ich habe bisher keine Stelle in der Schul- oder Jugendarbeit angenommen, weil mir so sehr an der Gemeindearbeit liegt.“ Boy, wie Ursula Köhler Jahrgang 1932, ist angetan. Er kontaktiert die Presbyter, auch die zeigen sich aufgeschlossen.
Von da an geht alles fast reibungslos: Anfang Juli hält die Anwärterin einen Probegottesdienst, danach erfolgt die Wahl durch das elfköpfige Presbyterium, auch das Landeskirchenamt in Düsseldorf stimmt der Berufung zu. Am 8. Dezember findet der Einführungsgottesdienst statt, die Gemeinde stellt eine Dienstwohnung in der Eichstraße. Hindernisse gibt es aber auch: Wie aus Köhlers Personalakte hervorgeht, verweigert ein Presbyteriumsmitglied bei der Wahl die Zustimmung – ausgerechnet eine Frau, die selbst einen Doktortitel hat. Und im Landeskirchenamt ist man skeptisch, ob die Berufsanfängerin Köhler wirklich den Anforderungen einer Großstadtgemeinde gewachsen ist.
Pfarrfrauen sahen Pastorinnen als Konkurrenz
Alles in allem aber hatte sie in Nippes einen erstaunlich leichten Start. Pfarrerin Bettina Kurbjeweit führt das hauptsächlich darauf zurück, dass sie das Wohlwollen von Martha Boy genoss, der Pfarrfrau. Die hatte sie anscheinend sofort ins Herz geschlossen. Im Briefwechsel ist das zu spüren, Friedhelm Boy vergisst nie, herzliche Grüße von seiner Frau auszurichten, Köhler umgekehrt genauso.
„Dass Frauen so ein Zölibat akzeptieren, wäre heute unvorstellbar“ - (Frigga Lamm)
Es hätte auch anders ausgehen können: Viele Pfarrfrauen sahen eine Pastorin als Konkurrenz. Die war sogar schon in der damals üblichen Anredeweise angelegt – hier „Frau Pastor“, da „Frau Pastorin“. Köhler wiederum, offiziell Frau Pastorin, hatte sich zur Ehelosigkeit verpflichten müssen. „Dass Frauen so ein wirtschaftlich verordnetes Zölibat akzeptieren, wäre heute unvorstellbar“, sagt Frigga Lamm von der Frauengruppe. Die Klausel wurde 1975 abgeschafft.
Ursula Köhler, die im Jahr 2000 verstarb, blieb zeitlebens unverheiratet. Ihre Schwestern Ruth und Ilse, Lehrerin die eine, Ärztin die andere, konzentrierten sich ebenfalls auf den Beruf. Mutter Charlotte, die nach dem Abitur jung geheiratet hatte, habe sie darin bestärkt, glaubt Kurbjeweit. Die Tagespresse berichtete damals ausführlich über die Amtseinführung – in der Öffentlichkeit war man sich also der historischen Bedeutung bewusst. Als nächste folgte Sigrid Volkmann in Porz.
Am 15. September – seit 1998 ist der 14. Sonntag nach Trinitatis der Mirjam-Sonntag, bei dem es um Solidarität mit Frauen geht – findet in der Lutherkirche, Merheimer Straße 112/Siebachstraße 85 um 11 Uhr ein Gottesdienst zum 50. Jubiläum der Pfarrwahl statt. Anschließend spricht Kirchenrätin Dagmar Herbrecht zum Thema „Der weibliche Talar“.