Pro und Contra„Nummernschilder für Fahrräder schaffen Verbindlichkeit“

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Radfahrstreifen auf der Venloer Straße

  • Immer mehr Radfahrer verursachen auch immer mehr Probleme und Streitigkeiten im Straßenverkehr. Muss jetzt das Nummernschild für Fahrradfahrer her?
  • Ein Streit.

Köln – ProFahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer sind nicht die besseren Verkehrsteilnehmer, auch wenn das manche von ihnen glauben. Sie fahren emissionsfrei und geräuschlos, gelten als sportlich und zukunftsgewandt. Aber sie sind einfach Verkehrsteilnehmer, wie Fußgänger und Autofahrer auch, inklusiver aller Commitments, die das Zusammenspiel auf den Straßen der Stadt erst möglich machen. Da ändern auch neue breite Radwege nichts, die richtigerweise überall entstehen. Das ist bei einigen Radlern nur noch nicht angekommen. Deshalb muss man ihnen helfen.

Natürlich muss dem Radverkehr mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden als dem Auto, der blechgewordenen Rolle rückwärts urbaner Mobilität. Doch der Wandel vom Verkehrs-Paria zum umgarnten Liebling, hat bei einigen eine überhöhte Selbstwahrnehmung zur Folge, die für andere unangenehm werden kann. Auf der nun autobefreiten Ehrenstraße etwa springen jetzt Fußgänger vor rasenden Rädern auf die Seite, statt vor Autos. Und immer wieder werden Radwege ignoriert und trotzdem die Straße benutzt. Einfach, weil man es darf.

Rote Ampeln? Sind nur eine Empfehlung

Eine andere Rad-Fraktion ist die, die schon immer wie irre durch die Gegend fuhr und das einfach weiter macht. Rote Ampeln sind für sie nur eine Empfehlung, die Absteigepflicht in Fußgängerzonen auch. Und wer nicht binnen Nanosekunden vom Radweg verschwunden ist, wird hysterisch weggeklingelt. Es gibt viele Regeln und Gesetze, die auch für Radfahrer gelten. Aber es sind offenbar nicht genug.

Es schmerzt das zu sagen, aber vielleicht schafft die Einführung von Nummernschildern für Räder Abhilfe. Sie schaffen eine Verbindlichkeit, sich an simple Regeln zu halten, weil man jederzeit identifiziert werden kann und wären sozusagen ein pädagogisches Mittel. Der finanzielle und organisatorische Aufwand, sie einzuführen, ist gewaltig. Aber Verkehrspolizisten würden es nicht mit allen Strafzetteln dieser Welt schaffen, notorisch ignorante Radler einzuhegen.

Auch müssen noch mehr klare Fahrbahnmarkierung her. Ohne sie fahren auch Radler auf Kreuzungen Rad- und Fußwege zu, wenn sie abbiegen wollen und behindern andere. Es ist eine Eigenart deutscher Verkehrsteilnehmer, dass ihnen die Gabe zur Selbstorganisation ohne Lichtsignale und Schilder oft abgeht. So wie Autofahrer am Reißverschlussverfahren scheitern, bekommen Radler es immer wieder nicht hin, auf eine Fahrradspur einzubiegen, ohne heranfahrende Radler zu gewagten Ausweichmanövern zu zwingen.

Führerschein für E-Bike-Fahrer

Auch müsste es für E-Bike-Fahrer einen Führerschein geben, weil mit ihnen Untrainierte schneller unterwegs sind als es ihre Körper zulassen. Für Lastenräder muss es mehr öffentliche Abstellflächen geben, damit sie nicht die Fußwege blockieren.

Die Verkehrswende fußt auf der Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer. Davon sind wir weit entfernt, denn noch immer hat das Auto in der Großstand zu viel Raum. Aber die Gleichberechtigung wird nur funktionieren, wenn sich alle an gewisse Regeln halten. Mit dem „Fahrrad First“-Gedanken mancher Radler wird die Verkehrswende nicht gelingen. Fragen Sie mal die Fußgänger.

Oliver Görtz, 48, Redakteur der Lokalredaktion, bewegt sich in der Stadt fast ausschließlich mit seinem Singlespeed-Fahrrad fort und ist dabei ziemlich viel damit beschäftigt, ignoranten Radlern, Fußgängern und Autofahrern auszuweichen.

Wenig Reglementierung gehört zur Kultur des Radfahrens

Eine der attraktivsten Seiten des Fahrradfahrens ist das Gefühl der Freiheit, das es mit sich bringt. Radfahren kann fast jeder, sogar Kinder, es bedarf keiner Prüfung, es kostet vergleichsweise nichts, Räder kann man überall mithinnehmen. Direkt neben das Handtuch am Badestrand, in die Bahn, auf die Kirmes, notfalls lässt es sich sogar über einen Bach tragen. Als Parkplatz reicht ein Laternenpfahl, man kann auf dem Rad die Straße  verlassen, mal eben über den Bürgersteig abkürzen  und querfeldein fahren. Auf dem Radweg an Blechkolonnen vorbei in den Feierabend rollern.

Ich habe noch nie verstanden, warum gerade das Auto diesen guten Ruf des Freiheitsbringers genießt. Wo sich schon ein höherer Bürgersteig oder ein banaler Stau zum unüberwindbaren Hindernis auf dem Weg ins Abenteuer entpuppen kann. Das wahre Verkehrsmittel für liberale Individualisten ist das Fahrrad.

Wenig Regeln, eine schier unbegrenzte Anzahl an Möglichkeiten und unkomplizierte Handhabung gehören zur Kultur des Fahrradfahrens.   Sie machen dieses umweltfreundliche und günstige Fortbewegungsmittel, dessen Benutzung überdies der eigenen Gesundheit dient und die Gesundheit anderer vergleichsweise wenig gefährden kann, attraktiv. Diese Attraktivität durch weitere Reglementierungen wie ein Nummernschild oder Fahrprüfungen zu beschneiden, wäre ein völlig falsches Signal und würde den Schwung aus der Verkehrswende nehmen.

Ein Berg an Bürokratie

Überdies: In Deutschland gibt es mehr als 78 Millionen Räder. Fahrzeugpapiere und Schilder in 78 Millionenfacher Ausführung zu beantragen, zu genehmigen und anzubringen verursacht einen derartig hohen Berg an Bürokratie, dass man nur im kleinsten Gang und schwitzend hochstrampeln könnte. Dass man mit der ganzen Zeit und dem ganzen Geld stattdessen lieber  schönes Anderes anfangen könnte (zum Beispiel sichere Radwege bauen), haben vor gut zehn Jahren auch die Schweizer bemerkt. Und ihre seit Jahrzehnten geltende Kennzeichenpflicht für Räder wieder abgeschafft.

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Die Frage ist, welchen Nutzen eine starke Regulierung des Verkehrs überhaupt mit sich bringt. Doch vor allem den, Schwächere zu schützen. Spielstraßen gibt es, damit Autos da keine Kinder tot rasen, Halteverbotszonen, damit Krankenwagen durchfahren können, Fußgängerampeln, damit Menschen zu Fuß in Sicherheit eine Straßen überqueren können. Natürlich gibt es auch Fahrradfahrer, die andere gefährden. Die muss man zur Rechenschaft ziehen. Zum Beispiel durch mehr kontrollierende Fahrradpolizisten.

Denunziantentum wird befördert

In der Mehrzahl würde ein Radkennzeichen aber nur helfen, Kleinstdelikte aufzudecken: Auf dem Radweg rechts überholt, durch die Fußgängerzone gerollt, sich ohne Absteigen über den Zebrastreifen geschummelt. Oha! Ich sehe schon die Denunzianten mit ihren Notizblöcken, die aus ihren SUV linsen, um einen Radler beim Regelbruch erwischen und mittels Nummernschild bei der Polizei melden  zu können.

Um gerade in den Städten die Lage auf den Straßen zu entspannen, ist das Rad geradezu eine Idealbesetzung. Lassen wir ihm seine Attraktivität: die Freiheit mit ihm fast alles tun zu können, was andere nicht gefährdet.

Claudia Lehnen, 43, Ressortleiterin Story/NRW , liebt am Fahrradfahren, dass  es weniger Regeln und größere Spielräume gibt. Völlig zu Recht, schließlich kann beispielsweise ein Mountainbike weit weniger Schaden anrichten als ein Geländewagen. 

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