Pro und Contra„Unsere Lebensweise, unser Konsum schadet letztlich uns allen“

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Plakat auf einer Friedensdemo in Berlin.

  • Die Inflation ist hoch, die Gaslieferungen aus Russland höchst problematisch. Ist es an der Zeit, jeden Einzelnen auf Verzicht einzustimmen?
  • Alexander Holecek meint: Schon die Klimakrise lehrte uns, dass unser Konsum auch schadet
  • Thorsten Breitkopf hält dagegen: Kalte Heizungen schüren Angst, teils Panik bei vielen Menschen

Köln – Wirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Vorgänger Deutschland in die Embryonalstellung an Putins Gas-Nabelschnur gelegt haben, bittet uns, wieder weniger Energie zu verbrauchen. Wir sollen das tun, um Putin zu schaden. Diese Einsicht ist zwar bitter, weil sie lange geglaubte Sicherheiten zerschlägt. Sie ist aber auch längst überfällig, weil diese Sicherheiten, die Gemütlichkeit, in der wir uns in Westeuropa eingerichtet haben, schon lange unrealistisch geworden sind. Der Krieg und die Verzichts-Appelle beim Heizen, Tanken und Stromverbrauchen lassen uns das wieder spüren – gewusst haben wir das aber schon lange.

Konsum und Wohlstand haben die westliche Welt auf einen Standard gehoben, den sie noch nie hatte. Auf ein Leben, in dem niemand hungern, frieren oder an Durchfall sterben muss. In dem, wer will, ans Meer und in die Berge fahren kann. Und in dem, wer muss, gegen Krankheiten geimpft und unter Narkose operiert wird. Diesen Zustand erreicht zu haben, war eine riesige Leistung. Der Webfehler aber war anzunehmen, dass dieser ohne Opfer zu haben sein wird.

Zustände auszuhalten, kann uns stärken

Eine Welt mit begrenzten Ressourcen, widerstrebenden Interessen und zu viel Wahnsinn lässt das nicht zu. Wir täten also gut daran, uns daran zu gewöhnen, Abstriche zu machen und manches nicht mehr als selbstverständlich hinzunehmen. Auch Corona hat offenbart, dass uns die Fähigkeit stärken kann, Zustände, die wir nicht ändern können, auszuhalten, vielleicht sogar zu erleiden. In der Kriegsgefahr kann das vieles bedeuten. Weniger Heizen zum Beispiel. Oder Rezession und Inflation. Habeck hat recht, wenn er sagt „Wir werden dadurch ärmer werden.“

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Alexander Holecek

Dabei hätte uns schon die Klimakrise derlei Lektionen lehren können. Dass weniger oft besser ist. Dass unsere Lebensweise, unser Konsum, unser Verkehr, unsere Ernährung auch schaden. Der Umwelt und den Menschen, letztlich uns allen.

Auch Gaslieferungen anderer Schurken werden uns peinlich sein

Das kann man in einer aufrechten Morallosigkeit sogar hinnehmen. Man sollte es aber nicht verleugnen. So wie man wissen sollte, dass sich die größten Verbrecher der Welt unter anderem auch dadurch auszeichnen, dass sie sich mit Rohstoffen oder anderen Druckmitteln an der Macht halten. Gleich, ob die Verbrecher in Moskau oder in einer dieser Schurken-Hauptstädte in der Wüste residieren, von denen wir bald stattdessen unsere Energie bekommen. Wir ahnen, dass uns auch das eines Tages noch richtig peinlich sein wird.

Schlechtes Gewissen alleine bringt uns jetzt aber keinen Schritt weiter. Den Schurken ist nämlich egal, ob wir im Westen guter oder schlechter Laune die Heizung aufdrehen. Wichtig wäre, es einfach nicht zu tun, oder zumindest weniger hoch. Eine ein bis zwei Grad kältere Wohnung kann zehn bis 15 Prozent Energie einsparen. Das wäre mal ein Anfang.

Alexander Holecek ist Redakteur in der Lokalredaktion. Für ihn ist Frieren Ausdruck für etwas Umfassenderes: Die Abkehr von Gewissheit und Gemütlichkeit in Zeiten der vielen Krisen.

Der Appell vom Frieren für den Frieden trifft den falschen Ton

Können  Bürgerinnen und Bürger Putins verbrecherischen Krieg stoppen, indem sie einfach die Heizung herunterdrehen und  mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren? Die Vorstellung klingt verlockend. Und sie wird unter dem Slogan „Frieren für den Frieden“ von diversen Politikern dieser Tage mantrahaft und parteiübergreifend vorgetragen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) rief wegen des Krieges ebenso zum Energiesparen auf wie Wirtschaftsminister Robert Habeck und ebenso Alt-Bundespräsident Joachim Gauck. 

Thorsten Breitkopf

Thorsten Breitkopf, Ressortleiter Wirtschaft

Sie alle wollen ein Signal setzen: Ihr Deutschen seid nicht so ohnmächtig wie ihr glaubt. Mit Sparverhalten kann jeder und jede einen Beitrag dazu leisten, Putins Regime etwas entgegen zu setzen und sich den tapferen Ukrainern solidarisch zu zeigen. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, heißt es im Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, einem Vorläufer der SPD. Aber ist es wirklich eine kluge Idee, die deutschen Verbraucher nun  zum Frieren für Frieden und Freiheit aufzurufen?

Grundsätzlich ist Energiesparen eine gute Sache, keine Frage. Weniger und langsameres Autofahren, Lichtausmachen oder  das Runterdrehen der Heizung schont die Umwelt und das Klima, reduziert die Geldflüsse an Russland und tut im Endeffekt vor allem dem eigenen Geldbeutel gut.  Gut so! Und dennoch: Der starke Appell vom Frieren für den Frieden trifft den falschen Ton.

Verbraucher sind nicht die Verantwortlichen in der Energiekrise

Sind etwa die deutschen Verbraucher die Verantwortlichen in der Energiekrise? Keineswegs. Die deutsche Abhängigkeit vom russischen Gas war eine bewusste Entscheidung der deutschen Politik und damit eine verfehlte Energiestrategie. Schon 2014, beim russischen Einmarsch auf der Krim und nach diversen Anschlägen auf Oppositionelle hätte den Verantwortlichen im Westen klar werden können, welch Geistes Kind Wladimir Putin ist und dass man warme Wohnungen und laufende Fabriken nicht von ihm abhängig machen sollte.

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Der Ausbau Erneuerbarer Energien ist bei weitem nicht so weit, wie er sein könnte. Das merkt jeder, der  schon mal versucht hat, eine Solaranlage aufs Dach des eigenen Hauses zu bauen. Und damit meine ich nicht fehlende Handwerker, sondern ein Bündel an steuerlichen Fallstricken. Wer die Sonne zu Strom macht, wird als Privatmann zum Unternehmer und muss im Zweifel diverse Male pro Jahr eine Umsatzsteuervoranmeldung erstellen, sonst kommt der Fiskus.

Panik ist das letzte, was wir brauchen

Die Sparaufrufe mögen einige ermutigen, viele dürften sie aber auch verängstigen. Manche werden es so verstehen: Wenn sogar die Heizung ausgeht, dann muss es schlimm um uns stehen. Panik ist aber das letzte, was wir im Moment brauchen. Die Äußerungen einiger, dass sie für Energie gerne etwas mehr zahlen, wenn es im guten Sinne ist, dürfte in den Ohren derer, die schon im Dezember Probleme hatten, ihre Gasrechnungen zu begleichen, zynisch klingen.

Kurzfristig müssen Bürger –  vor allem die finanzschwachen – entlastet werden. Mittelfristig hilft nur eine Förderung von Erneuerbaren Energien und Sparmaßnahmen, die für Verbraucher wirtschaftlich und vor allem unkompliziert sind.  Denn nachhaltig wird man Wladimir Putins Regime nur schwächen, wenn man gar kein Gas mehr von ihm braucht. Das aber ist die Aufgabe der Politik, nicht der Verbraucher.

Thorsten Breitkopf ist Chef des Wirtschaftsressorts. Er warnt davor, zu glauben, dass Frieren den Frieden bringt und fordert bessere Förderungen für Solaranlagen.

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