NRW-WirtschaftKölner Firma bringt Mitarbeiter in der Ukraine in Sicherheit

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Ukraine Flüchtlinge

Ukrainer warten an einem Bahnsteig auf einen nach Kiew fahrenden Zug (Symbolbild)

Köln – Der Angriff russischer Truppen betrifft auch zahlreiche Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen mit Standorten und Mitarbeitern in der Ukraine. „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht“, sagte Jan Webering, Chef des internationalen IT-Dienstleisters Avenga, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Donnerstag.

Das Kölner Unternehmen entwickelt Apps und Webseiten für Unternehmen zum Beispiel aus der Pharma-, Finanz- und Versicherungsbranche. Von den weltweit 4000 Mitarbeitenden sitzen 1200 an insgesamt acht Standorten in der Ukraine. Niemand habe mit einer derartigen Situation gerechnet, sie treffe das Unternehmen aber nicht unvorbereitet, sagte Webering.

Evakuierung seit den frühen Morgenstunden 

An erster Stelle stehe die Sicherheit der Mitarbeiter vor Ort. Rund 80 Prozent und damit der überwiegende Teil sitze an Standorten in der West-Ukraine. Die Belegschaft in den umkämpften Gebieten würde seit den frühen Morgenstunden des Donnerstags aus den Städten heraus und in Sicherheit gebracht. Zuständig dafür seien vorab festgelegte lokale Ansprechpartner, zum Beispiel Teamleiter und andere Vorgesetzte. Auch Angehörige würden betreut. „Alles was geht, wird gemacht“, so Webering. Dafür sei schon zum Jahreswechsel ein großes Budget beiseitegelegt worden. Auch finanzielle Unterstützung wird gewährt: Die Mitarbeiter in der Ukraine bekommen unter anderem vorab ihre Gehälter ausgezahlt.

Vorkehrungen hatte Avenga im Vorfeld auch dafür getroffen, den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können. Mitarbeiter in Polen betreuen nun Projekte ihrer Kollegen in der Ukraine. Die IT-Systeme hat das Unternehmen bereits Ende 2021 in die Cloud verlagert, damit ortsunabhängig gearbeitet werden kann. Notstromaggregate könnten den Strom liefern, der für den Zugang zum Netz benötigt wird. Webering betonte außerdem die Bedeutung einer intensiven, sachlichen Kommunikation in der Krise, intern wie extern.

Ost-Ausschuss „zutiefst erschüttert“

„Wir sind zutiefst erschüttert über den russischen Überfall auf die Ukraine. Dies ist ein durch nichts zu rechtfertigender Angriff auf einen souveränen Staat, seine Bürgerinnen und Bürger und auf den Frieden in Europa und der Welt insgesamt. Das ist ein schwarzer Tag für Europa“, sagte derweil Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft hat sich seit 70 Jahren um den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen mit Osteuropa bemüht. „Wir haben uns dabei immer auch als Brückenbauer gesehen.“ Aus Geschäftspartnern seien vielfach Freunde geworden. „Wir appellieren daher auch an unsere vielen russischen Freunde und Partner: Erheben Sie Ihre Stimme und helfen Sie mit, diesen Krieg zu beenden“, sagt Hermes, der auch Vorstandsvorsitzender der Dortmunder Firma Wilo ist, eines Maschinenbauunternehmens mit fast 8000 Beschäftigten.

Die Wirtschaft NRWs ist seit Jahrzehnten eng mit der russischen verzahnt, stärker als das im Rest Deutschlands der Fall ist. Unter Top 50 Auslandsunternehmen in Russland sind fünf Firmen aus NRW, darunter Metro (208 Milliarden Rubel Umsatz), der Uniper (85 Milliarden, Henkel (80 Milliarden) und Bayer (65 Milliarden).

Henkel hat 600 Mitarbeitende in der Ukraine

Henkel etwa ist stark in der gesamten Region. „Das Hauptanliegen ist jetzt die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Land. Wir sind in engem Austausch mit ihnen und haben sie angewiesen zuhause zu bleiben. Wir beschäftigen in der Ukraine rund 600 Mitarbeitende“, sagte eine Sprecherin. Das Unternehmen hat dort vier Produktionsstätten. „Keiner unserer Standorte befinden sich in den von Separatisten besetzten Gebieten. Wir haben heute Morgen beschlossen, alle Standorte vor Ort zu schließen.“ Das genaue Ausmaß, auch das der zu erwartenden weiteren Sanktionen, lasse sich weiterhin schwer abschätzen.

Die Metro verfügt über 93 Märkte in Russland und 26 in der Ukraine. Allein in der Ukraine soll die Handelsketter 3500 Mitarbeiter haben, in Russland 10.000.

Uniper mit traditionell starken Verpflechtungen

Der Energieversorger Uniper, einst Teil von Eon, hat traditionell Verflechtungen nach Russland und früher in die Sowjetunion. „Wir sind zutiefst besorgt über die Eskalation der Situation durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und verfolgen die Lage mit größter Aufmerksamkeit“, sagte ein Uniper-Sprecher. „Unsere Aufgabe ist es, die Energieversorgung zu sichern, unsere Kunden sind bei der Versorgung mit Strom, Gas und Wärme auf uns angewiesen. Dies ist auch in Russland der Fall.“ Die Uniper Aktie hat allein in den letzten fünf Handelstagen gut ein Viertel ihres Wertes eingebüßt.

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Von Chemie- und Agrar-Konzern Bayer aus Leverkusen hieß es: „Die Sicherheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat für uns jetzt oberste Priorität. Wir ergreifen alle geeigneten Maßnahmen, um sie zu schützen. Zugleich setzen wir alles daran, die Versorgung der Zivilbevölkerung mit unseren Produkten – darunter lebenswichtige Medikamente und Agrarprodukte zur Absicherung der Nahrungsmittelversorgung – weiterhin zu gewährleisten.“

Deutsche Bank und Commerzbank besorgt

Deutsche Bank und Commerzbank haben sich sehr besorgt über die Entwicklung in der Ukraine geäußert. „Wir haben uns auf verschiedene Szenarien vorbereitet und Notfallpläne entwickelt“, teilte ein Sprecher der Deutschen Bank  mit. „Wir haben unser Engagement in Russland in den vergangenen Jahren erheblich verringert, und unsere Risiken sind unter Kontrolle.“ Deutschlands größtes Geldhaus betreibt in Russland ein Technologiezentrum und kommt daher auf eine vergleichsweise hohe Zahl von etwa 1500 Mitarbeitern in dem Land. Dazu kommen knapp 40 in der Ukraine.  Die Commerzbank hat 135 Beschäftigte in Russland und einen in der Ukraine.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zeigt sich „erschüttert“ über den russischen Angriff auf die Ukraine. „Wir verurteilen den Überfall auf die Ukraine auf das Schärfste“, erklärte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Donnerstag. Er forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, die Kampfhandlungen einzustellen. Der Angriff sei „ein vorläufiger, sehr dramatischer Höhepunkt in einem seit längerem laufenden Umbruchprozess der globalen Ordnung“. Die deutsche Industrie unterstütze „alle Entscheidungen und Maßnahmen Deutschlands, der EU und der internationalen Gemeinschaft“, um auf den Angriff „schnellstmöglich und konsequent“ zu reagieren, erklärte Russwurm weiter. Es müsse alles getan werden, um Menschenleben zu retten.

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