Mitarbeiter in UkraineKölner Unternehmen wappnet sich für den Ernstfall

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Militärtransport im Osten der Ukraine.

Köln – Marschiert Russland in der Ukraine ein? Gibt es eine Cyberattacke auf den osteuropäischen Staat? Müssen meine Mitarbeiter an die Front? Für den Kölner Jan Webering stellen sich in diesen Wochen unerwartete Fragen, die für die Zukunft des von ihm geführten Unternehmens Avenga entscheidend sein können.

Avenga entwickelt für Pharma-Unternehmen, Autokonzerne oder auch Versicherungen Webseiten und Apps. Ihren Sitz hat die Firma nahe dem Kölner Hauptbahnhof, der Name erinnert absichtlich an das Superhelden-Kollektiv „Avengers“. Mehr als 4000 Mitarbeiter gehören zum Netzwerk an Standorten in den USA, in Asien und auch in Osteuropa – mehr als 1200 Entwickler arbeiten an acht Standorten in der Ukraine. Erst im November hatte Webering das ukrainische Unternehmen Perfectial übernommen.

Jan Webering, Avenga CEO

Jan Webering

Und damit ist die geostrategische Lage jetzt auch sein Problem. Einen Fünf-Punkte-Plan, der mehrere Eskalations-Szenarien berücksichtige, hat das Kölner Unternehmen aufgesetzt. „Wir wollen vorbereitet sein“, sagt Jan Webering, CEO von Avenga dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

„Wir gehen nicht davon aus, dass es scheppert“

Mehr als 100.000 Soldaten sollen es sein, die Russland nach westlichen Angaben an der Grenze zur Ukraine positioniert hat – samt Panzern und weiterem Kriegsgerät. Russlands Präsident Wladimir Putin spielt die Situation herunter, fordert aber, dass die Nato ihre geplante Osterweiterung – explizit in Richtung Ukraine – stoppen solle. Aus Furcht vor einem Einmarsch Russlands bereiten sich sowohl die Ukraine als auch die Nato vor, positionieren Soldaten und Kriegsschiffe.

„Wir haben die Situation zwischen Russland und der Ukraine vor der Übernahme bewertet und festgestellt, dass es eine Bedrohung gibt, aber kein fatales Risiko“, sagt Webering. „Wir gehen nicht davon aus, dass es dort scheppert, müssen aber auf den Ernstfall vorbereitet sein.“ Man habe daher direkt Pläne geschmiedet, um auf verschiedene Szenarien reagieren zu können.

1900 Mitarbeiter in Polen übernehmen

„Unser Fünf-Punkte-Plan geht von Bedrohungsszenarien über Cyberangriffe bis hin zu physischen Angriffen auf die Städte aus“, sagt Webering und erklärt, dass er aber nicht mit einer Eskalation rechnet. „Pläne dienen auch dazu, dass man sie weglegt – und wenn doch etwas passiert, ist man vorbereitet und kann sie wieder aus der Schublade holen.“ Er wolle nicht derjenige sein, der in letzter Sekunde alles versuchen müsse, seine Mitarbeiter aus einer Situation zu retten, die vermeidbar gewesen wäre.

Im Fokus des Plans stünden die Sicherheit der Mitarbeiter und die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs. „Wenn es zu einem Kriegseinsatz unserer Entwickler kommen sollte, können unsere 1900 Mitarbeiter aus Polen übernehmen“, erklärt der Geschäftsführer. Eine der ersten Maßnahmen war nämlich, sämtliche Dateien auf Datenspeicher in Westeuropa oder in die Cloud, also in verschlüsselte Online-Systeme zu übertragen. Die seien von jedem Mitarbeiter von überall erreichbar. 

Die Bedrohung als Ziel

Sollten Mitarbeiter entgegen der aktuellen Erwartungen tatsächlich das Land verlassen müssen, so bereite Avenga deren Unterbringung im Ausland vor.

Lediglich beim Thema Familien äußert sich Webering vorsichtig. Es sei durchaus möglich, dass im Falle einer Eskalation die Mitnahme der gesamten Familie nicht möglich wäre. „Wir gehen aber auf die Mitarbeiter zu, um ihnen unsere Möglichkeiten mitzuteilen.“ Entscheidend ist in dem Fall auch die Politik der angrenzenden Länder und der Europäischen Union.

Das Unternehmen stellt finanzielle Unterstützung für die Mitarbeiter in Aussicht, mit der Begründung, als profitables und wachsendes Unternehmen gut aufgestellt zu sein. Unabhängig davon versuche das Unternehmen, jedem Mitarbeiter zu helfen, der freiwillig das Land verlassen wolle.

80 Kilometer vor der Europäischen Union

Nicht zu vergessen sei, dass die Ukraine ein flächenmäßig großes Land ist: „Mehr als 80 Prozent unserer ukrainischen Mitarbeiter wohnen und arbeiten außerhalb der derzeit bedrohten Gebiete. Sie befinden sich mehr als tausend Kilometer von den Zonen einer möglichen militärischen Eskalation und nur 80 Kilometer von der EU-Grenze entfernt.“

„Wir haben außerdem keinen einzigen ukrainischen Kunden“, sagt Webering. International rege sich dennoch Sorge um die Geschäftsfähigkeit: „Unsere Kundschaft fordert aufgrund der aktuellen Berichterstattung ein zusätzliches Maß an Informationen.“ Fragen, die man beantworten wolle. 

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Unternehmen mit Standorten in der Ukraine rät Webering, sich auf eine drohende Eskalation vorzubereiten. Etliche hätten das ohnehin getan. „Ich glaube, es ist fahrlässig, nicht auf eine solche Situation zu reagieren – man kann ja nicht sagen, da passiert nichts.“

Er glaubt aber, dass bei einer Eskalation für Russland zu viel auf dem Spiel stehe. „2014 haben sie die Krim in kürzester Zeit annektiert, das ging ganz schnell. Nun werden seit einem halben Jahr Schulbusse mit Soldaten zur Grenze gebracht. Vielleicht ist die Bedrohung an sich das Ziel.“

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