Prostituierte Bibi Drall zum Welthurentag„Man erhält keinen Respekt in der Sexarbeit”

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Sexarbeiterin Bibi Drall

Köln – Zur Sexarbeit ist Bibi Drall, die mit bürgerlichem Namen anders heißt, eher zufällig gekommen. Vor gut 15 Jahren lernte die Mittdreißigerin einen Studenten kennen, der ihr für sexuelle Dienstleistungen Geld gab. „Der fand mich toll, wollte aber auch bezahlen.“ Die gelernte Altenpflegerin, die  in einem beschaulichen Ort in Baden-Württemberg aufgewachsen ist, hatte „Blut geleckt“, wie sie sagt. Heute arbeitet sie nicht nur gern als Sexarbeiterin, sondern engagiert sich auch dafür, Vorurteile gegenüber Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern abzubauen. Drall und René Pieper vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) sprechen mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ anlässlich des Internationalen Hurentags.

Der Internationale Welthurentag ist ein inoffizieller Gedenktag, der an die Diskriminierung von Sexarbeitenden und deren oftmals ausbeuterische Lebens- und Arbeitsbedingungen erinnert. Mehr als 100 Prostituierte hatten 1975 die Kirche St. Nizier im französischen Lyon besetzt, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Razzien der Polizei hatten dafür gesorgt, dass die Sexarbeiterinnen mehr und mehr im Verborgenen arbeiten mussten, wo sie mehr Gewalt ausgesetzt waren. Der Gedenktag wird seit 1976 jährlich am 2. Juni gefeiert.

Drall hat in den vergangenen 15 Jahren in verschiedenen Bereichen in der Sexarbeit gearbeitet. Sie hat auf der Straße angeschafft, war in Laufhäusern und Bordellen, hat als Escort-Dame gejobbt. Derzeit arbeitet sie in Köln, reist aber auch quer durch Deutschland. In jeder Stadt mietet sie sich ein Zimmer oder ein Apartment, in denen sie ihre Kunden, in der Regel Stammäste, empfängt. Abhängig sei sie von niemanden, sagt sie. „Ich muss das alleine machen, ich bin mein eigener Boss.“

Zwischen 2500 und 5000 Sexarbeitende in Köln

Bundesweit gibt es Schätzungen zufolge zwischen 400.000 und 800.000 Sexarbeitende, registriert sind aber nur etwa 40.000. In Köln geht die Stadt von 2500 bis 5000 Prostituierten aus. Sexarbeit ist vielfältig. Es gibt sie auf der Straßen wie der Geestemünder Straße, der Brühler Landstraße und am Eifeltor. Sie findet auch in privaten Wohnungen, Bordellen oder Laufhäusern statt.

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Ausbeutung und Diskriminierung in der Sexarbeit betrachtet Drall sehr differenziert. Richtig sei, dass es auf dem Straßenstrich häufig zu Zwangsprostitution und Gewalt komme. Durch häufige Kontrollen durch die Behörden verlagere sich die Sexarbeit aber auch in Privatwohnungen, wo es weniger Transparenz gebe. „Gewalt gibt es oft, wo Frauen in die Illegalität abdriften“, sagt Drall. Allerdings übten viele Sexarbeiterinnen ihren Beruf durchaus selbstbestimmt aus. Das gelte auch für Frauen mit Migrationshintergrund, die ihre Dienste mitunter für wenig Geld auf der Straße anbieten. „Je nachdem wo sie herkommen, sind 30 oder 50 Euro viel Geld.“

„Druck auf der Straße ist groß”

„Der Druck auf der Straße ist schon sehr groß“, ergänzt der Leiter des Gewaltschutzzentrums und der Prostituiertenhilfe des SkF, René Pieper. Viele der Prostituierten an der Geestemünder Straße kämen aus Osteuropa. Mit dem Geld, das sie in der Sexarbeit verdienen, müssten sie oft ihre Familien in der Heimat unterstützen. Manche von ihnen seien unter falschen Versprechungen nach Köln gelockt worden, andere hätten einen anderen Job verloren und seien mittellos weil sie kein Anrecht auf soziale Leistungen in Deutschland hätten. „Natürlich spielen auch Schleuser, Zwangsprostitution und Drogen eine Rolle.“ Einem Bericht der Stadt Köln zufolge sind 55 Prozent der Sexarbeiterinnen an der Geestemünder Straße drogenabhängig.

Das Projekt an der Geestemünder Straße im Kölner Norden, empfindet Drall als Vorzeigeprojekt. Hier arbeiten Straßensexarbeiterinnen seit 2001 in einem geschützten Raum. Sie erhalten Beratungen durch Sozialarbeiterinnen des SkF, die täglich vor Ort sind, und des Gesundheitsamts. Gegen gewalttätige Kunden gibt es Alarmknöpfe, die transparenten Arbeitsbedingungen sorgten dafür, dass es kaum Übergriffe gebe, sagt Drall. „Es gehört viel Mumm dazu, auf der Straße zu arbeiten. Die Frauen verdienen Schutz und an der Geestemünder Straße bekommen sie ihn. Es ist eines der besten Projekte, die es in Deutschland gibt.“

Vorzeigemodell Geestemünder Straße

Das Nordische Modell, nachdem Prostitution verboten ist und Kunden belangt werden können, lehnt Drall ab. „Prostitution findet überall statt, auch in Ländern, in denen das Modell gilt. In Schweden gibt es Prostitution in Massen.“ Frauen würden aber in die Illegalität gedrängt, wo es wiederum wenig Transparenz darüber gebe wie Sexarbeit durchgeführt werde. „Alles verlagert sich in den Untergrund, wo man erpressbar ist.“

Demo gegen Stigmatisierung

Drall engagiert sich auch gegen die gesellschaftliche Diskriminierung von Sexarbeit. 2020 protestierte sie mit anderen Sexarbeiterinnen vor dem Landtag in Düsseldorf. „Man erhält keinen Respekt als Sexarbeiterin, man wird stigmatisiert. Ich zahle meine Miete und meine Steuern, da soll es egal sein, wie ich mein Geld verdiene.“ Dass sie wegen des seit 2017 geltenden Prostitutionsschutzgesetzes einen „Hurenausweise“ mit sich tragen muss, empfindet sie als Benachteiligung. „Niemand sonst, der freiberuflich arbeitet, muss einen solchen Ausweis haben.“

Das Gesetz sieht Beratungen für die Sexarbeiterinnen vor, zudem müssen sie sich anmelden und Steuern zahlen. Auch Pieper sieht im Gesetz Licht und Schatten. Gut sei es, dass Bordelle kontrolliert würden. Andererseits würden Frauen mit dem Gesetz stigmatisiert. „Man hat sie weiter in die Ecke gedrängt.“ Alle zwei Jahre müsste die Sexarbeiterinnen eine gesundheitliche Beratung aufsuchen. „Dann entscheidet jemand, ob man den Beruf noch weiter machen darf oder nicht.“ Wer das nicht will, taucht in die Illegalität ab.

Aussteigen will Bibi Drall noch lange nicht, sie kann sich vorstellen noch bis Anfang 50 als Sexarbeiterin zu arbeiten. „Ich habe aber jeden Tag die Möglichkeit auszusteigen, wenn ich das nicht mehr machen will.“

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