Punktlandung in MeschenichIdylle im Schatten des Kölnberg

Lesezeit 4 Minuten
Das Tagwerk ist beendet, der Rasen wieder so, wie sich ihn Anita und Franz Bergmann wünschen.

Das Tagwerk ist beendet, der Rasen wieder so, wie sich ihn Anita und Franz Bergmann wünschen.

Meschenich – Die erste Begegnung endet mit einer Enttäuschung. „Da bin ich hier falsch“, antwortet der ältere Mann mit Jogging-Hose und Besen, als wir ihn nach Meschenich fragen. „Ich habe keine Zeit.“ Komisch, denn seine Garage sieht aus wie abgeleckt. Das ist schon das zweite Hindernis bei der Punktlandung. Das erste liegt eine halbe Stunde zurück. Schließlich benötigte die leicht grobmotorisch veranlagte Reporterin gefühlte 30 Anläufe, bis sie überhaupt den Kölner Stadtplan getroffen hatte. Doch dies nur am Rande.

Dennoch. Das beschauliche Meschenich erweist sich als Volltreffer. Vom Stress geplagt ist hier nur einer. Ansonsten treffen wir freundliche Bewohner, die alle Zeit der Welt haben. Wie Jutta Hiller. Die gebürtige Duisburgerin grüßt gleich vom Balkon. Ihr Schicksal sind die drei großen Ms – Mallorca, Mann, Meschenich. Damit ist im Grunde schon alles erzählt. Jetzt lebt Jutta schon seit 25 Jahren im Kölner Süden, arbeitet bei Kämpgen auf der Schildergasse und fühlt sich in ihrem Dorf sehr wohl. Mischlingshündin Mica ebenfalls, hat sie doch viel Auslauf auf den Maisfeldern, die gleich hinter dem Haus beginnen. Den Garten mit der gemütlichen Laube nutzen alle Mieter gemeinsam. „Es ist eine tolle Gemeinschaft, fast wie in einer Familie. Alle sind ungefähr in meinem Alter. Da geht es etwas ruhiger zu.“

Genau das ist es, was Sarah Zimmermann gar nicht mag. Für eine 20-Jährige ist Meschenich vor allem eins – tote Hose. „Wenn man hier überhaupt etwas unternehmen will, bleibt einem nur die Kneipe Alt-Meschenich.“ Sportfeste seien schon echte Höhepunkte. „Da trifft man wenigstens mal ein paar Bekannte.“ Ansonsten zieht es die gelernte Kinderpflegerin, die derzeit auf Jobsuche ist, eher in die Stadt – nach Brühl.

Alles zum Thema Schildergasse

Stimmt. Denn Meschenich zeigt sich uns vor allem von seiner ländlichen Seite: Kürbis- und Zucchini-Felder entlang der Zaunhofstraße, Felder, deren einzige Abwechslung ein paar Strommasten bieten. Es riecht nach frisch gemähtem Gras. Gärtner Marc Jonath (49) knattert mit seinem Rasenmäher über die Wiesen. Er trägt Kopfhörer von der Größe eines Flugzeug-Einweisers. Gar nicht so einfach, ihn anzusprechen. Jonath arbeitet für einen Gartenbaubetrieb im Auftrag der Stadt. Seit zwei Jahren pflegt er die Anlage mit einem Bolzplatz, der von Kölns sinnlosesten Zäunen umgeben ist. Rechts Felder, links Felder, vorne Wiese, hinten Wiese. Was Jonath ärgert: Dass die Jungs, die in diesem Käfig kicken, immer ihren Müll liegenlassen. Den muss er dann wegräumen. Ein paar hundert Meter entfernt baut sich der Kölnberg auf. 1318 Wohnungen, in denen Menschen aus 68 Nationen wohnen. Eine Kleinstadt mitten im Dorf – trotz aller Bemühungen immer noch ein Brennpunkt. Die Häuser wollen so gar nicht in die dörfliche Idylle passen.

Die Ur-Meschenicher haben sich immer noch nicht an ihn gewöhnt. „Seit der Kölnberg da ist, hat sich der Ort verändert“, sagt Herbert Bernhardy. Er kommt vom Rentner-Tennistreff des Sport-Club 1923 Meschenich, hat gerade das Doppel verloren. Es könnte alles so schön sein, wenn nicht die vielen Einbrüche wären. Für den 64-Jährigen steht fest: „Das hat mit den Hochhäusern zu tun.“ Ins Vereinsheim des SC Meschenich sei auch schon eingebrochen worden. „Die Täter reißen die Zäune ein, aber die Stadt tut nichts dagegen“. Ob er denn ein paar der Bewohner des Kölnberg kenne, wollen wir wissen. „Nein. Die wollen lieber unter sich bleiben“, sagt er und fügt einschränkend hinzu: „Aber natürlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren.“

Ganz so schlimm scheint es dann doch nicht zu sein, denn die Struktur des Viertels habe sich in den vergangenen Jahren gebessert. „So langsam sind junge Familien mit Kindern in die neue Siedlung zwischen den Feldern gezogen. Die kommen auf uns Alteingesessene zu.“ Auch sein Sportverein profitiere davon. „Wir haben schon 65 Kinder im Tennis-Club. Vor drei Jahren waren es noch zehn.“

Auf der Zaunhofstraße treffen wir Familie Bergmann bei der Rasenpflege. Anita (77) hat das Tennisspielen im MSC vor sieben Jahren aufgegeben, an dem Verein hängt sie immer noch. Wenn es auf Tour geht, wird sie von den Clubmitgliedern selbstverständlich gefragt, ob sie mitfahren möchte.

Doch jetzt ist mal wieder der Rasen dran. Ihr Mann Franz hat das Mähen gerade hinter sich. Anita kniet im Vorgarten, bringt mit der Schere jene Halme auf Länge, die der Mäher nicht erwischt hat. „Wir sind an Heiligabend 1963 hier ins Haus eingezogen“, erinnert sich ihr Mann noch ganz genau. „Das weiß ich deshalb so genau, weil ich am 2. Januar 1964 als Chemiker bei Sandoz in Basel angefangen habe.“

Anfangs habe es rund um ihr Haus nur den Ascheplatz und die Grundschule Kettelerstraße gegeben. Die Tochter ist längst in Lübeck mit einem Mediziner verheiratet. Manchmal macht sich Anita Bergmann Gedanken, wenn es ihr und ihrem Mann gesundheitlich nicht mehr so gut gehen sollte. Zur Tochter zu ziehen, kommt für sie nicht in Frage: die gute Nachbarschaft und den Zusammenhalt. So etwas gibt man so schnell nicht auf.

KStA abonnieren