„Leute haben schon Straßenseite gewechselt“Kölner erzählt, wie es ist, komplett tätowiert zu sein

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In unserer Serie „Wie es ist“ erzählen Menschen von einem außergewöhnlichen Schritt in ihrem Leben, einem außergewöhnlichen Hobby, einer Eigenschaft oder einem Beruf. In dieser Folge: Léon Sebastian Tiesler, Tätowierer.

Mittlerweile ist man eher etwas Besonderes, wenn man kein Tattoo hat. Doch gerade, wenn man viele hat, wird man direkt in eine gewisse Schublade gesteckt. Ich spiele gerne mit solchen Vorurteilen. Ich kann auch ‚hart' auftreten, wenn ich das möchte, und ich mache das auch, wenn ich es für richtig halte. Aber eigentlich bin ich nicht so. Gerade viele ältere Menschen können auch nicht damit umgehen, dass ich so aussehe, aber freundlich bin.

Manche Menschen sind halt vorurteilsbelastet und behandeln einen dann auch dementsprechend. Ich habe es schon im Urlaub erlebt, dass Menschen die Straßenseite gewechselt haben oder ich im Restaurant nach hinten gesetzt wurde, gerade auch wegen der Tätowierungen im Gesicht.

Das Bild zeigt Léon Sebastian Tiesler in einem weißen Unterhemd. Seine zahlreichen Tattoos auf dem Arm, am Brustbein, am Hals und im Gesicht sind gut zu erkennen.

Léon Sebastian Tiesler hat zwischen 30 und 60 Tätowierungen, genau kann er es nicht mehr sagen. Sogar im Gesicht hat der 30-jährige Kölner zwei kleine Tattoos.

Das sind die extremen Fälle, je nachdem, wohin man in den Urlaub fährt. Klar, wenn ich nach New York fahre, interessiert es niemanden, wie ich aussehe, aber wenn es zum Beispiel an die italienische Riviera geht, falle ich schon auf.

Ich merke dann deutlich, dass die Leute es nicht gut finden, wie ich aussehe. Sie starren dann aber nicht, sondern weichen dem Blick eher aus. Und mich darauf anzusprechen oder etwas Negatives zu sagen, das trauen sich die meisten nicht.

Es fasziniert mich, wie Menschen auf die vielen Tattoos reagieren.
Léon Sebastian Tiesler

Angefangen hat alles vor 14 Jahren. Mein erstes Tattoo habe ich mir mit 16 stechen lassen, einen Anker am linken Unterarm. Ich habe es aber auch nur bekommen, weil meine Eltern ihren Scheidungskrieg über mich ausgetragen haben und es mir dann erlaubt haben.

Heutzutage finde ich 16 zu früh, und ich selbst habe dann auch erst mit 18 weitergemacht. Schon da hat es mich gereizt und fasziniert, wie Menschen auf die vielen Tattoos reagieren und dass es eben diese gewisse Distanz dem gegenüber gibt.

Jedes Tattoo erinnert an eine Reise

Ich war zu dieser Zeit in der Punk- und Hardcoreszene unterwegs, da waren Tattoos gang und gäbe und ich hatte auch viele ältere Freunde, die schon volltätowiert waren. So kam es, dass immer mehr Tattoos auch bei mir dazu kamen.

Bis ich dann irgendwann angefangen habe, mir erstmal nur noch im Ausland neue stechen zu lassen und jedes Tattoo mit einer Reise und einem ganz bestimmten Erlebnis verbinde.

Heute habe ich 30 bis 60 Tattoos, je nachdem, ob man sie einzeln sieht oder als ein Gesamtes. Für mich vermitteln sie zum einen eine gewisse Ästhetik, gerade wenn man mehrere hat. Zum anderen haben viele meiner Tattoos eine tiefgründige Bedeutung für mich.

Zum Beispiel habe ich ein großes, organisches Herz auf der Brust, in dem sieben Schwerter stecken, das basiert auf einem Amulett, ein Erbstück von meinem Großvater. Im Gesicht habe ich Sol stehen, das heißt auf Spanisch Sonne. Es ist für mich der Reminder, dass ich gute und positive Energie ausstrahlen muss.

Rechte Hand bewusst nicht tätowiert

Beruflich hatte ich nie Probleme. Ich habe für eine kurze Zeit Mediengestalter gelernt, das aber wieder abgebrochen. Danach war ich eine ganze Zeit lang Restaurant-Leiter in einem sehr guten Steakhaus. Auch da hatte ich schon Tätowierungen im Gesicht, nicht frontal, aber seitlich.

Meine rechte Hand ist allerdings nicht tätowiert, nur unten in der Schattenkante. Das habe ich ganz bewusst gemacht. Wenn ich jemandem die Hand gebe, sieht man keine Tattoos. Ich wusste, dass die Menschen eben unterschiedlich auf dieses Thema reagieren.

Das Bild zeigt Léon Sebastian Tiesler in einem weißen Unterhemd. Seine zahlreichen Tattoos auf dem Arm, am Brustbein, am Hals und im Gesicht sind gut zu erkennen.

Der 30-jährige Kölner spielt bewusst mit den Reaktionen der Menschen. Für ihn sind seine Tattoos viele Erinnerungen im Leben.

In meinem näheren Umfeld sind die Reaktionen aber überwiegend positiv. Meine Großeltern zum Beispiel finden meine Tattoos tatsächlich super. Bei meinen Eltern ist es etwas anders. Es hat beiden nicht gefallen, dass es immer mehr geworden ist.

Ich komme aus einem relativ konservativen Elternhaus, also sonntags morgens zusammen Klassik-Musik hören und sowas. Klar war es für mich in der Jugend auch so ein bisschen der Ausbruch, das Kontrastprogramm, Grenzen austesten. Aber vor allem mein Vater hat mir auch immer wieder gesagt, dass ich, wenn ich so viele Tätowierungen habe, nie einen vernünftigen Job bekomme.

Und ich plane noch mehr Tattoos, auch wenn ich weiß, dass sie gesundheitsschädlich sein können. Ich selbst hatte Glück, und es ist noch nichts passiert. Nur manchmal im Sommer wird die Haut, die tätowiert ist, heißer und schwillt an. Aber das heilt nach ein paar Stunden wieder ab.

Ich bereue auch keines meiner Tattoos. Vor ein paar Jahren hatte ich mir aber tatsächlich mal den Anfangsbuchstaben meiner damaligen Freundin stechen lassen, aber bewusst an der Innenseite des Fingers. Denn da ist die Haut so dünn, das verschwindet nach einiger Zeit von allein. Jetzt sieht man nur noch einen leichten Schatten.“

Haben Sie auch etwas absolut Außergewöhnliches zu erzählen? Ein Hobby, das sonst keiner hat? Etwas, auf das Sie jeden Tag angesprochen werden oder etwas, das Ihr Leben auf den Kopf gestellt hat? Dann schreiben Sie uns mit dem Betreff „Wie es ist“ eine E-Mail an leserforum@kstamedien.de.

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