Bezirksvertretung RodenkirchenKein Austausch – Demokratie im „künstlichen Koma“

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BV Rodenkirchen

Neun Mitglieder der Bezirskvertretung saßen frisch getestet weit auseinander. 

Köln-Rodenkirchen  – Die Sitzung der Bezirksvertretung Rodenkirchen beginnt für alle Beteiligten in einem Klassenraum des Rodenkirchener Gymnasiums direkt neben der Aula. Zwei Frauen und ein Mann in weißen Schutzanzügen empfangen die Politiker und Politikerinnen einzeln. Ein Corona-Test ist angesagt. Danach steht man in Grüppchen auf dem Schulhof und wartet auf das Ergebnis. Miriam Paßmann, stellvertretende Bürgeramtsleiterin, hat das Ganze organisiert und unterstützt, wenn jemand technische Probleme beim Scannen des QR-Codes hat. Dr. Jörg Klusemann, SPD-Fraktionsvorsitzender, schüttelt den Kopf. „Das ist ja alles in Ordnung so. Aber ich bin Lehrer und sitze morgens mit 27 Schülerinnen und Schülern auf 80 Quadratmetern in einem Klassenzimmer.“

Nach und nach trudeln die Ergebnisse auf den Smartphones ein. Alle negativ. Nachdem man das Negativ-Logo am Eingang der Aula vorgezeigt hat, darf man eintreten. Die Sitzung beginnt mit einer Schweigeminute. Bezirksbürgermeister Manfred Giesen würdigt Susanne Wächter als mutige und kritische Journalistin, die viele Jahre über die Bezirksvertretung berichtet hat. Die 54-jährige Mitarbeiterin des „Kölner Stadt-Anzeigers“ ist im Januar völlig überraschend gestorben.

Meterweiter Abstand und kein Publikum 

Anschließend erläutert Giesen das Prozedere der Sitzung. Von der Verwaltung sind nur Bürgeramtsleiter Manfred Tempski und Miriam Paßmann zugegen. Publikum ist nicht zugelassen. Der Oberrang der Aula ist komplett verwaist. „Es wird zu den Tagesordnungspunkten keine Aussprache geben“, erklärt Giesen. Antworten der Verwaltung ebenso wenig. Nachfragen sind im Anschluss an die Sitzung schriftlich möglich. „Jede Fraktion hat die Möglichkeit, zu einzelnen Punkten schriftliche Bemerkungen einzureichen. Die werden dann von Frau Paßmann ins Protokoll aufgenommen“, fährt der Bezirksbürgermeister fort. Und dann wird Politik gemacht. Jedenfalls ein bisschen. Denn ein Pro und Contra gibt es ja nicht.

Neun Mitglieder der Bezirksvertretung sind vor Ort und sitzen meterweit auseinander. Alle tragen eine FFP2-Maske. In der Fraktionsvorsitzenden-Besprechung hat man sich vorab darauf geeinigt, nur über Punkte abstimmen zu lassen, die unstrittig sind. „Diese Besprechung hat über drei Stunden gedauert“, erinnert sich Andreas Wolters, Fraktionsvorsitzender der FDP, an ein zähes Ringen um die Tagesordnung.

Videokonferenzen für mehr Bürgerbeteiligung 

Angesichts der Vorbesprechung verwundert es nicht, dass nahezu alle Punkte, die Giesen aufruft, einstimmig durchgehen. „Das war ein Schatten einer Bezirksvertretungssitzung“, fasst Christoph Schykowski, Fraktionsvorsitzender der CDU, im Nachgang seine Eindrücke zusammen. Er sieht die Demokratie in ein „künstliches Koma“ versetzt und plädiert für einen anderen Rahmen. „Wenn die Pandemie uns weiterhin im Griff hat, müssen wir einen größeren Raum für die Sitzungen finden. Vielleicht die Sporthalle der Europa-Schule.“

Das gelte auch für die Beteiligung der Bürger beispielsweise bei Bebauungsplanverfahren. Giesen nennt die Rahmenbedingungen „angemessen“. Die Alternative wäre gewesen, die Sitzung abzusagen. „Das, was stattgefunden hat, war ein vernünftiger Kompromiss“, sagt er. Er sieht die Landesregierung gefordert, BV-Sitzungen per Videokonferenz möglich zu machen, bei denen Bürger zuhören können.

„Wichtig ist mir, dass wir nach Ende der Pandemie bei der Bürgerbeteiligung unverzüglich zu den alten Standards zurückkehren.“ Als Beispiel nennt er die Entflechtungsstraße Rondorf Nord-West. „Da wird ja in Kürze ein Vorschlag der Verwaltung kommen. Da werden wir die Bürger ganz bestimmt nicht nur per Aushang oder mit einer Vorlage im Internet beteiligen. Da wird öffentlich diskutiert. Zur Not per Videokonferenz.“

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Andreas Wolters fürchtet, dass zahlreiche Vorlagen und Anträge vertagt werden und irgendwann endlose Sitzungen einberufen werden müssen. „Vielleicht müssen wir dann im Mai oder Juni zweimal tagen.“ Überhaupt nichts hält er von der Idee, Vorbesprechungen der Tagesordnung mit Politikern und Bürgern im Internet zu übertragen. „Das hätte ja überhaupt keine rechtliche Bindungswirkung, weil die Entscheidungen ja später in der BV-Sitzung gefällt werden.“

Jörg Klusemann hat nach eigenen Worten eine „skurrile“ Veranstaltung erlebt, die allerdings „hervorragend organisiert“ gewesen sei. Aus seiner Sicht ist die Aula groß genug, um 19 Politiker vor Publikum tagen zu lassen: „Mit Abstand, die ganze Zeit Durchzug, und gerne vorher testen.“

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