Walter Franssen fährt seit mehr als sechs Jahrzehnten Auto. Jetzt möchte der 92-Jährige wissen, ob er noch fit genug für den Straßenverkehr ist. Dafür macht er den ADAC-Fitness-Check in Köln.
Fahr-Fitness-Check für SeniorenMit 92 noch sicher am Steuer? Kölner Senior macht den Test

Walter Franssen möchte es wissen: Kann er mit 92 noch sicher Autofahren?
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Dominik Wirtz sitzt auf dem Beifahrersitz, eine Checkliste liegt auf seinem Schoß. Seit 15 Jahren ist er Fahrlehrer, leitet eine eigene Fahrschule in Köln-Zollstock. „An der nächsten Straße bitte rechts abbiegen“, sagt er ruhig. Eine gute Dreiviertelstunde wird die Fahrt heute dauern. Wirtz achtet darauf, wie routiniert und präzise der Fahrer sein Fahrzeug bedient, ob er den Verkehr im Blick behält, sich in verschiedenen Situationen richtig verhält – und ob der Schulterblick sitzt.
Routiniert schiebt die Hand den Blinker nach oben. Gleichmäßiges Ticken, dann biegt der Wagen um die Ecke. Der Mann am Steuer ist kein Fahrschüler, nicht einmal ein Fahranfänger. Walter Franssen ist 92 Jahre alt – und fährt seit 1959 Auto.
Gemeinsam mit Fahrlehrer Wirtz absolviert er den Fahr-Fitness-Check vom ADAC, ein Angebot für ältere Menschen, die ihre Fahrkompetenz überprüfen lassen möchten. Seit über 30 Jahren ist Franssen pensioniert, er lebt mit seiner Frau Gisela im betreuten Wohnen – mit Blick auf den Rhein. Das Auto nutzen die beiden noch regelmäßig: zum Einkaufen, für Ausflüge und zuletzt sogar für eine Fahrt an die Nordsee.
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„Unser ältester Sohn meinte, ich sei zu alt zum Fahren. Der Jüngere sagte, ich solle dranbleiben“, erzählt Franssen. Auf Anregung seiner Frau meldete er sich schließlich beim ADAC: „Ich wollte mir einfach noch mal von einem kompetenten Fahrlehrer bestätigen lassen, dass es passt.“
Im Wagen wirkt Franssen entspannt, die Brille auf der Nase, die Hände ruhig am Steuer. Man merkt: Er kennt den Kölner Verkehr. Aufgeregt sei er nicht, sagt er – anders als seine Frau, die auf dem Rücksitz jede Bewegung verfolgt. Als ihr Mann vor einem Zebrastreifen anhält, den Schulterblick macht und vorsichtig abbiegt, lobt sie ihn. Die Anspannung weicht.
Der Verkehr habe sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, so Fahrlehrer Wirtz. Heute gebe es viel mehr Radfahrer, Lastenräder und E-Scooter seien dazugekommen. Seit zweieinhalb Jahren bietet er gemeinsam mit dem ADAC Fahr-Fitness-Checks für Seniorinnen und Senioren an. Die Überprüfung richtet sich an ältere Autofahrerinnen und Autofahrer, die ihre Fahrfertigkeiten freiwillig überprüfen möchten – ohne Folgen für den Führerschein. Auch wer schlecht abschneidet, muss keine Konsequenzen befürchten: Eine Meldung an Behörden erfolgt ausdrücklich nicht. Für ADAC-Mitglieder kostet der Test 75 Euro, Nichtmitglieder zahlen 95 Euro.
Ein zu Unrecht schlechter Ruf?
Ältere Menschen im Straßenverkehr haben oft keinen guten Ruf. „Schon wieder ein Unfall mit einem Senior am Steuer“ – so lautet schnell der Eindruck. Doch diese Wahrnehmung hält einem Blick in die Statistik nicht stand. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, ältere Autofahrerinnen und Autofahrer würden überdurchschnittlich viele schwere Unfälle verursachen, zeigt die Unfallstatistik etwas anderes. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren Menschen ab 65 Jahren im Jahr 2024 für gut 19 Prozent der Unfälle mit Personenschaden verantwortlich, die von Pkw-Fahrenden verursacht wurden – also für weniger, als ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde.
Sind Seniorinnen und Senioren allerdings an einem Unfall beteiligt, tragen sie häufiger die Hauptschuld als jüngere. 2023 waren mindestens 65-Jährige in mehr als zwei Dritteln der Fälle Hauptverursachende. Zum Vergleich: Bei den unter 65-Jährigen lag dieser Anteil bei gut 55 Prozent. Auffällig ist außerdem, dass nicht nur ältere, sondern auch besonders junge Fahrerinnen und Fahrer überproportional viele Unfälle verursachen.
Für den gesamten Verkehr gilt: Ältere Menschen sind, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, seltener in Unfälle verwickelt als Jüngere. Ein Grund dürfte sein, dass sie seltener am Straßenverkehr teilnehmen – etwa weil tägliche Arbeitswege wegfallen. In Köln verunglückten 2024 626 Seniorinnen und Senioren über 64 Jahren im Straßenverkehr. Die Zahl schließt sowohl Unfallopfer als auch Unfallverursacher mit ein. Damit liegt ihre Zahl nahezu auf dem gleichen Niveau wie die der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren. In dieser Altersgruppe waren 2024 671 Menschen in Köln in einen Unfall verwickelt.
Laut einem Sprecher der Kölner Polizei waren im ersten Halbjahr 2025 Seniorinnen und Senioren über 70 Jahre an 188 Verkehrsunfällen beteiligt; in 148 Fällen waren sie die Verursacher. Im ersten Halbjahr 2024 registrierte die Polizei 184 Unfälle mit Beteiligung über 70-Jähriger, davon wurden 150 von ihnen verursacht.
Eine neue Studie der Unfallforschung der Björn Steiger Stiftung, die 230.000 polizeilich erfasste Unfälle ausgewertet hat, zeichnet zudem ein differenzierteres Bild: Die meisten altersspezifischen Unfälle mit Verletzten oder Getöteten, die von älteren Menschen verursacht wurden, gehen demnach nicht primär auf kognitive Defizite zurück, sondern überwiegend auf akute medizinische Ereignisse oder Notfälle. Das Risiko solcher Vorfälle nimmt mit steigendem Alter zu – ebenso wie das Risiko geistiger Einschränkungen.
Die Studie zeigt außerdem: Das Risiko, einen Unfall mit Personenschaden zu verursachen, ist für ältere Fahrerinnen und Fahrer ähnlich hoch wie für die Hochrisikogruppe der 18- bis 24-Jährigen. Die Ursachen unterscheiden sich jedoch grundlegend: Während bei jungen Menschen häufig Unerfahrenheit und riskantes Verhalten eine Rolle spielen, sind es bei Älteren meist gesundheitliche oder medizinische Probleme.
Ein Stück Lebensqualität
Die meisten Senioren schneiden im Fahrcheck bei Dominik Wirtz gut ab. Erst drei Teilnehmern habe er empfohlen, das Autofahren aufzugeben. Er schätzt, dass er inzwischen schon fast 50 Menschen geprüft habe. „Ich glaube, diejenigen, die es eigentlich nicht mehr sollten, wissen das tief in sich drin – und kommen erst gar nicht.“ Die, die beim ersten Mal unsicher sind, machen später einen zweiten Versuch. Dann klappe es meistens besser.
Wirtz würde sich wünschen, dass Hausärzte stärker eingebunden werden, statt verpflichtende Fahrprüfungen einzuführen. Für ihn hängt sicheres Autofahren nicht vom Alter, sondern vom Gesundheitszustand ab. Ein 85-Jähriger könne genauso fit oder noch fitter im Straßenverkehr sein als ein 65-Jähriger. Er erinnert sich an einen älteren Herrn mit Krückstock: „Der hatte zwar nicht mehr die Kraft für eine Vollbremsung wie ein Mitte-20-jähriger. Aber durch Erfahrung und vorausschauendes Fahren kann man viel wettmachen.“
Für viele Menschen, sagt Wirtz, sei Autofahren ein Stück Lebensqualität. Wenn die Beine nicht mehr so wollen und das Rad im Keller bleibt, bedeutet das Auto Freiheit. Auch für das Ehepaar Franssen ist das so. Das selbstständige Einkaufen motiviere sie, mobil zu bleiben. Vor einem Jahr hatten sie überlegt, das Auto abzugeben. Doch im betreuten Wohnen hätten sie gesehen, wie wichtig Mobilität sei. Die Einkäufe könnten sie nicht ebenso einfach nach Hause tragen. „Für viele ist das Führerscheinabgeben ein Riesenschritt Richtung Friedhof“, erzählt Fahrlehrer Wirtz aus seinen Erfahrungen.
Eine Fahrprüfung wie für Fahranfänger würden die meisten Seniorinnen und Senioren allerdings nicht mehr bestehen. Häufigster Kritikpunkt: mangelnde Verkehrsbeobachtung. „Gerade beim Abbiegen wird zu selten nach hinten geschaut. Wir haben einfach viel mehr Radfahrer als noch vor 20 Jahren – da muss man sich umgewöhnen.“

Dominik Wirtz fährt lieber mit den älteren als den ganz jungen Fahrern. Die älteren Leute bringen meistens spannende Geschichten mit.
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Wirtz macht die Checks gern – nicht jeder Fahrlehrer sei dafür zu haben. „Man muss der Typ dafür sein“, meint er. Drei Fahrschulen in Köln bieten den Check aktuell an. Ihm gefallen die Gespräche im Auto: „Die Leute bringen so viele Geschichten mit – und oft spannende Lebensläufe. Mit 17-Jährigen ist das manchmal anstrengender.“
Die Anfragen kommen immer in Phasen. Zurzeit kommen viele. Dann habe er auch mal zwei solcher Checks in einer Woche. Manchmal blieb es monatelang ruhig. Die Strecke bleibt größtenteils gleich, damit die Ergebnisse vergleichbar sind. Wenn jemand keine Autobahn mehr fahren möchte, berücksichtigt Wirtz das. Er setze niemanden unnötig unter Druck. Es gehe darum, realistisch einzuschätzen, wie sicher jemand im Alltag unterwegs sei.
Geprüft wird im eigenen Auto – das schafft Vertrauen. Wirtz kann im Notfall ins Lenkrad greifen, aber nicht bremsen. Die Leute sollen sich in ihrem Fahrzeug sicher fühlen. Auch Walter Franssen war das wichtig: Schließlich sei es auch sein Auto, das er im Alltag im Griff haben müsse.
Nach gut 40 Minuten rollt der Wagen zurück vor die Fahrschule. Franssen parkt souverän ein, tritt auf die Bremse. „Ich habe mehr Meckerei erwartet“, sagt er und lächelt in Richtung seines Beifahrers. Doch Anlass dazu gab es keinen. Wirtz geht mit ihm die 16 Kompetenzbereiche durch. „Den Schulterblick könnten Sie etwas konsequenter machen“, sagt er, „aber sonst war alles gut.“ Am Ende zieht der Fahrlehrer sein Fazit: „Würde ich meinen Sohn bei Ihnen mitfahren lassen? Ja, würde ich.“ Und das sei für ihn das beste Zeichen.

