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RuppiDer Weg zurück in die Gesellschaft

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Eines der Zimmer im Wohnheim "Haus Rupprechtstraße"

Eines der Zimmer im Wohnheim "Haus Rupprechtstraße"

Sülz –  In dem Zimmer wohnt ein Gladbach-Fan. So viel ist klar. Ein grünschwarzer Schal hängt mitten auf der großen Wand. "Ja, das ist mein Lieblingsverein", sagt Bewohner Michael Lamprecht (Name geändert). "Aber ich mag generell Fanschals." In einer Nische des kleines Raumes hat er eine ganze Sammlung aufgehängt, eine bunt-wollene Hommage an die Fußballwelt.

Das Zuhause ist gemütlich, wenn auch klein. Etwa 18 Quadratmeter, ein Zimmer mit Bett, Tisch und zwei Stühlen und einigen anderen Dingen, eine Küchenzeile und ein Bad - 155 Euro kostet es im Monat. Die günstige Bleibe ist aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen zu haben: Die Bewohner müssen männlich sein, eine Bewährungsstrafe erhalten haben oder gerade aus der Haft entlassen worden sein.

Das "Ruppi", wie das Wohnheim "Haus Rupprechtstraße" in Sülz auch liebevoll von Mitarbeitern und Bewohnern genannt wird, ist ein Wohnheim für Männer, die straffällig geworden sind und nun ihren Weg zurück in die Gesellschaft finden sollen, eine Wohnung, einen Job, ein geregeltes Leben.

Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Köln. Sie wird dieses Jahr 40 Jahre alt und hat zum Jubiläumsfest geladen. Lamprecht zeigt den Gästen sein Zimmer: Nachbarn, Bewährungshelfer, Polizisten. Doch, ja, die Enge sei gewöhnungsbedürftig gewesen, sagt er. Sein Aufenthalt in der JVA liegt schon länger zurück. "Mit 24 Jahren saß ich sechs Monate in Untersuchungshaft." Heute ist er 52 Jahre alt, hat eine Bewährungsstrafe, die dritte Langzeittherapie wegen Drogenmissbrauchs hinter sich - und möchte künftig ein anderes Leben führen . "Ich habe zwei Kinder in Duisburg. Die besuche ich regelmäßig", schildert er. "Hier ist man wirklich sehr gut betreut."

Im Haus "Ruppi" können die Männer 18 Monate bleiben. Fünf feste Mitarbeiter und der Leiter der Einrichtung, Karl-Peter Ochs, unterstützen sie bei der Wohnungs- und Jobsuche. 27 Zimmer mit einer Größe von 18 bis 20 Quadratmetern stehen ihnen zur Verfügung. Es gibt einen Freizeitraum, einen PC mit Internet, einen Kraftraum und eine Holz- und Metallwerkstatt, wo die Männer arbeiten, die nicht gerade eine Ausbildung absolvieren oder eine Schule besuchen, jeden Tag von 8 bis 14 Uhr. Außerdem arbeiten die Bewohner im Garten und pflegen einen Spielplatz in Zollstock sowie die Gräber von Obdachlosen auf dem dortigen Friedhof.

Ein strukturierter Tag sei wichtig, sagt eine Mitarbeiterin, die durch das Haus führt. Während der Arbeitszeit dürften die Bewohner keine Besucher empfangen, sonst jederzeit. Ein Pförtner passt auf, wer kommt und geht. Klare Regeln und Routine sorgen für ein reibungsloses und friedliches Miteinander. Das war nicht immer so einfach, wie sich eine Mitgründerin, die ehemalige Richterin Barbara Schellhoss, erinnert: "Als wir das Haus Rupprecht vor 40 Jahren gegründet haben, waren wir totale Idealisten", erzählt sie. Beseelt vom Geist der 68er, hatte sie mit anderen Mitgliedern des Fördervereins Bewährungshilfe Köln, der bereits 1958 gegründet worden war, wie ihrem Mann Hartmut Schellhoss und Wolfgang Stein, die Einrichtung ins Leben gerufen. Die Wohnmöglichkeit sollte straffälligen Menschen dabei helfen, ihren Weg zurück in die Gesellschaft zu finden.

Als das Haus endlich gebaut wurde, im Jahr 1977, war es Herbst geworden, auch im übertragenen Sinne. Die RAF mordete, die Aufbruchsstimmung war verflogen, das Verständnis für Straftäter gesunken.

Das Wohnhaus erhielt 44 Zimmer. Ein Heimcharakter sollte ausdrücklich vermieden werden. Mitgründer Hartmut Schellhoss erläutert das Anfangskonzept in einer Festschrift zum Jubiläum: "Ein demokratisches Modell mit einem Optimum an Mitbestimmung" wünschten sie sich. Auch weil die finanziellen Mittel fehlten, wurden drei staatliche Bewährungshelfer für den Betrieb "abgeordnet".

Das ging schief. Wolfgang Heidemann, Vorsitzender des Fördervereins Bewährungshilfe, berichtet anlässlich der Jubiläumshilfe von den Startschwierigkeiten: "Es traten bald große Probleme auf, das waren Alkohol- und Drogenkonsum, unkontrollierte Besuche von zahlreichen Personen, Ruhestörung der Nachbarschaft und deren massiven Proteste." Das Haus geriet in negative Schlagzeilen. Die Stadt Köln intervenierte. 1980 wurde ein neues Konzept entwickelt. Die Bewohnerzahl wurde auf 27 reduziert, ein Leiter und vier Sozialarbeiter wurden fest eingestellt, dazu Pförtner, ein Werktherapeut, ein Lehrer und ein Hausmeister.

Seitdem ist Ruhe eingekehrt. Im Laufe der Jahre hat sich Routine eingestellt. Die Einrichtung hat einen guten Ruf. "Wir haben knapp 30 Plätze und bekommen jährlich 150 bis 180 Bewerbungen", schildert Leiter Ochs. Es sei nicht eben leichter geworden für die "Ruppi"-Bewohner, sich einen Platz in der Gesellschaft zurückzuerobern. "Vor 40 Jahren gab es immer noch irgendeinen Job, und das Wohnungsamt hatte noch ein Belegrecht bei Wohnraum. Heute fangen unsere Bewohner bei einer Zeitarbeitsfirma an - und die GAG ist mittlerweile eine Aktiengesellschaft."

Hilfe, wie sie das Haus "Ruppi" leistet, ist gefragt. Das sieht auch die Polizei so. "Es ist wichtig, dass die straffällig gewordenen Männer wieder gut in die Gesellschaft integriert werden", sagt Bezirkspolizist Peter Scherff. Die Bewohner wissen die Unterstützung ebenfalls zu schätzen. "Ich bin auf jeden Fall froh, hier zu sein", sagt einer von ihnen. Bislang sei er mit Bewährungsstrafen davon gekommen, wegen schwerer Körperverletzung, mehrfach, insgesamt sechs Jahre. Die Richter hätten wohl Verständnis wegen seiner Familiengeschichte gehabt, "weil die ja alle auch schon im Knast sind".

Der junge Mann hat ein großes Stück seiner Kindheit im Heim verbracht. Nun plant er seine Zukunft. Erst einmal macht er eine Therapie, dann möchte er einen neuen Job, vielleicht als Verkäufer, eine eigene Wohnung, gerne auch schneller als nötig. Denn etwas stört ihn schon: "Eine Frau kannst du hier nicht mit hinbringen. Wenn die mitbekommt, in was für einem Heim du wohnst, bist du sie gleich wieder los."

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