Die Geschichte einer voll berufstätigen, alleinerziehenden Mutter und ihres Sohnes zeigt, wie groß der Mangel an Gesamtschulplätzen in Köln ist.
Schulplatz-Not in KölnADHS-Kind muss langen Schulweg bewältigen – Mutter fürchtet um Existenz

Sarina K. und ihr zehnjähriger Sohn sind gerade erst nach Köln gezogen. Die alleinerziehende Mutter fühlt sich von der Bezirksregierung im Stich gelassen.
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Den Start ins fünfte Schuljahr hat der zehnjährige Max, der eigentlich anders heißt, verpasst – er war krank und saß mit seiner verzweifelten Mutter zu Hause in der neuen Wohnung in Dellbrück.
Sarina K. ist alleinerziehend und voll berufstätig. Weil sie ihren Job wechseln musste, ist sie zum 1. August mit Max aus einer Kleinstadt bei Hamburg nach Köln gezogen. Max hat ADHS und eine Lese-Rechtschreibschwäche, auf der Grundschule hielt man eine Gesamtschule daher für die geeignete Schulform. Die Willy-Brandt-Gesamtschule sowie jene am Dellbrücker Mauspfad und Holweide waren indes schon voll – gerade im Rechtsrheinischen gab es für das neue Schuljahr weit mehr Anmeldungen als Plätze, 676 Kinder erhielten in Köln insgesamt keinen Platz an der Gesamtschule ihrer Wahl.
Max wies die Bezirksregierung einen Platz in der fünften Klasse an der Realschule in Deutz zu – jeden Tag zweimal 40 Minuten Fahrtweg mit Bus und Bahn, sofern alle Anschlüsse pünktlich sind.
Zehnjähriger Max hat langen Schulweg in Köln
Sorgen bereiten der Mutter nicht nur der lange Weg und die mit so langer Distanz zum Wohnort schwierige Integration: „Falls es Änderungen im Fahrplan gäbe, wäre mein Sohn total überfordert“, sagt sie. „Aufgrund seiner Konzentrationsschwäche ist es undenkbar, dass er zweimal am Tag diesen Schulweg bewältigt.“
An einer Realschule könnte Max zudem womöglich nicht richtig aufgehoben sein – „gerade um die individuelle Förderung geht es ja vor allem an Gesamtschulen“. Nicht zuletzt sei ihr neuer Job durch die zugewiesene Schule gefährdet: „Die Realschule in Deutz ist keine Ganztagsschule, ich bekomme ein massives Betreuungsproblem.“

Sarina K. ist alleinerziehend und voll berufstätig, ihr Kind soll jetzt an eine Realschule ohne Ganztag.
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Mitte Juli hat die alleinerziehende Mutter bei der Bezirksregierung beantragt, Max als Härtefall einzustufen und ihm doch noch einen Platz auf einer der Gesamtschulen im Bezirk zuzuweisen. Am vergangenen Freitag – einen Tag, nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine offizielle Anfrage zu dem Fall gestellt hat – erhielt sie eine Antwort: Die bei Max vorliegenden Diagnosen führten „nicht zur Annahme eines Härtefalls, da es sich um häufig vorkommende Beeinträchtigungen handelt und daher keine außergewöhnlich belastenden Umstände oder das Vorliegen eines besonders gelagerten Einzelfalls begründen“.
Die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler sei „Aufgabe jeder Schule, sodass die schulische und persönliche Entwicklung Ihres Sohnes, auch vor dem Hintergrund seiner Lese-Rechtschreibschwäche und ADHS, an der Realschule gewährleistet ist“. Auch die Zeugnisnoten von Max sprächen „nicht gegen den Besuch einer Realschule“.
Zumutbar ist für Kinder, die auf die weiterführende Schule wechseln, ein Schulweg von bis zu 90 Minuten einfache Strecke. Der muss gegebenenfalls geübt werden
An den drei Gesamtschulen im Bezirk gebe es keine Kapazitäten, zahlreiche Kinder hätten bereits abgelehnt werden müssen. Die Realschule im Hasental in Deutz sei „eine Schule des gemeinsamen Lernens und daher zusätzlich mit Ressourcen und Konzepten zur sonderpädagogischen Förderung ausgestattet“. Auch der Umstand, dass Sarina K. alleinerziehend und voll berufstätig sei, „führt aufgrund der hohen Fallzahlen alleinerziehender und berufstätiger Elternteile nicht zur Aufnahme an einer bestimmten Schule als Härtefall“.
Schulweg bis zu 90 Minuten ist in Köln zumutbar
In der Antwort an den „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt die Bezirksregierung zudem, die Erreichbarkeit der Realschule in Deutz „liegt im zumutbaren Rahmen. Zumutbar ist für Kinder, die auf die weiterführende Schule wechseln, ein Schulweg von bis zu 90 Minuten einfache Strecke. Der muss gegebenenfalls geübt werden“. ADHS stelle keinen Hinderungsgrund dar.
Die Mutter habe zudem „lediglich erklärt, mit dem vermittelten Realschulplatz nicht einverstanden zu sein“. Ein „formeller Widerspruch gegen die Absage an einer der Gesamtschulen gibt es nach hiesiger Kenntnis nicht“. Sarina K. vermisst bei den Antworten„ jegliche Berücksichtigung persönlicher Lebensumstände und Besonderheiten meines Sohnes“.
Sie hat inzwischen auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker angeschrieben und ihr den Fall geschildert. „Ich finde es sehr enttäuschend, dass eine Behörde so kühl beziehungsweise gar nicht reagiert, obwohl es um ein Kind geht – und nebenbei noch um eine berufliche Existenz“, sagt die Mutter. Ihr Sohn werde kommende Woche in Deutz zur Schule gehen – „es bleibt uns wohl nichts anderes übrig“.