Statt GeldstrafeWenn Schwarzfahren für Kölner im Gefängnis endet

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Mariam, der in einer Kölner Notunterkunft lebt, zeigt eine Zahlungsaufforderung der KVB wegen Schwarzfahrens. Man sieht nur Schultern und Hinterkopf des Mannes, der unerkannt bleiben möchte, und den Zettel mit der Zahlungsaufforderung.

Mariam (46) aus Köln zeigt seine Zahlungsaufforderung.

Sollte Armut vor Strafe schützen oder nicht? Mariam aus Köln erzählt, wie er wegen Fahrens ohne Fahrschein mehrfach in Haft kam. 

Vor 15 Jahren kam Mariam aus Rumänien nach Deutschland. Seine Schwester hatte eine Pizzeria in Dormagen, er wollte hier sein Leben aufbauen, doch es misslang. „Ich hatte einfach nie Glück, alle meine Pläne sind gescheitert“, sagt der 46-Jährige bei einem Gespräch in einem Café am Bahnhofsvorplatz. Längst pendelt Mariam zwischen Kölner Notunterkünften, Platte und Gefängnis.

Er zeigt eine neue Zahlungsaufforderung der KVB, 70 Euro, kürzlich ist er wieder beim Schwarzfahren erwischt worden. „Ich war schon mindestens viermal wegen Schwarzfahren im Knast“, sagt er, ein paar Mal auch wegen Diebstahl. „Irgendwann kriege ich immer eine Geldstrafe, und die kann ich oft nicht bezahlen.“

Auf dem Bild ist eine Hand von Mariam zu sehen, einem 46-Jährigen Kölner, der viermal wegen Schwarzfahrens im Gefängnis saß. Dazu ein Zettel mit einer Zahlungsaufforderung der Köner Verkehrsbetriebe.

Zahlungsaufforderung der KVB

Ohne Papiere in Köln: Lob für das Neun-Euro-Ticket

Mariam lebt ohne Papiere in Deutschland, Anspruch auf Sozialleistungen hat er nicht. Er verkauft eine Obdachlosenzeitung und sammelt Flaschen. Als es im Sommer für drei Monate das Neun-Euro-Ticket gab, „habe ich das sofort gekauft, das war super“, sagt er. „Jetzt kommt bald das Ticket für 49 Euro, das ist teuer, aber wenn ich spare, schaffe ich vielleicht, es zu kaufen.“ Und wenn nicht? „Komme ich vielleicht irgendwann wieder in den Knast.“

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Monatlich im Schnitt 4570 Menschen verbüßten im Jahr 2019 in Deutschland eine Ersatzfreiheitsstrafe. Laut Bundesjustizministerium stieg die Zahl der Menschen, die wegen nicht bezahlter Geldstrafen in Haft sitzen, zwischen 2003 und 2020 um 27 Prozent.

Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln: „Es sind meistens klassische Armutsdelikte“

Davon entfallen nach einer Studie der Soziologin Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie der Universität Köln ein Viertel bis ein Drittel auf Eigentumsdelikte, jede vierte bis jede fünfte Inhaftierung geht aufs Schwarzfahren zurück.

Wer wiederholt ohne Fahrschein fährt, kommt ins Gefängnis, wenn er eine Geldstrafe nicht bezahlt. Davor stehen Möglichkeiten der Ratenzahlung, der gemeinnützigen Arbeit, auch der Pfändung, die aber vielen gar nicht bewusst sind. „Die bei Ersatzfreiheitsstrafen zugrundeliegenden Vergehen sind meistens klassische Armutsdelikte“, sagt Bögelein. „Drei Viertel der Betroffenen sind Langzeitarbeitslose, jeder fünfte hat keinen festen Wohnsitz, überdurchschnittlich viele haben eine Suchterkrankung – 15 Prozent sind suizidgefährdet.“ Mariam ist demnach ein relativ klassischer Fall.

Es gibt einen Gesetzentwurf der Ampelkoalition, wonach künftig zwei Tagessätze der Geldstrafe bei Zahlungsunfähigkeit mit einem Tag Gefängnis abgegolten werden – und die Strafen dadurch halbiert werden. „Dadurch käme allerdings kein Mensch weniger in Haft“, sagt Bögelein, die zur wachsenden Zahl von Kritikerinnen der Vollstreckungspraxis gehört. „Jede Haftstrafe entfernt einen Menschen von der Gesellschaft“, argumentiert sie.

Man argumentiert nie, dass Managerinnen und Manager, die Kokain nehmen, in Haft müssten, um von den Drogen wegzukommen
Nicole Bögelein, Soziologin, die zu Ersatzfreiheitsstrafen forscht

Die Rechtsauslegung in Schweden hält die Kölner Soziologin für angemessener: Dort kommen nur Menschen ins Gefängnis, die willentlich ihre Geldstrafe nicht bezahlen. Die deutsche Gesellschaft argumentiere oft, dass Ersatzfreiheitsstrafen auch beim Drogenentzug helfen würden, sagt Bögelein.

„Aber man argumentiert nie, dass Managerinnen und Manager, die Kokain nehmen, in Haft müssten, um von den Drogen wegzukommen.“ Sie hält es „für nicht humanistisch und nicht zeitgemäß“, wenn Menschen wegen nicht bezahlter Fahrscheine und anderer Bagatelldelikte ins Gefängnis kommen.

„Allen Seiten geholfen wäre, wenn ein Richter sofort gemeinnützige Arbeit anordnen könnte“, sagt Angela Wotzlaw, Leiterin der Kölner JVA. Bislang seien zwar entsprechende Vereinbarungen mit der Staatsanwaltschaft möglich, würden aber selten getroffen. „Gemeinnützige Arbeit zu leisten, wäre sozial für die Betroffenen und auch wirtschaftlich sinnvoller“, sagt sie. „Die relativ kurzen Haftzeiten von oft nur drei Monaten tragen in der Regel nicht zur Resozialisierung bei – und sind für den Staat teuer.“

Kölner Gefängnisleiterin hält nichts von Möglichkeit des „Freikaufens“

Nichts hält Wotzlaw von einem sogenannten Freiheitsfonds, mit dessen Hilfe Betroffene von Ersatzfreiheitsstrafen aus dem Gefängnis freigekauft werden. Das Land Bremen informiert Insassen über den aus Spenden finanzierten Fonds und ermöglicht ihnen so die Chance, sich „freizukaufen“. „Wenn jeder einfach freigekauft wird, gibt es keinen positiven Lerneffekt bei strafbarem Fehlverhalten“, sagt die Kölner Gefängnisleiterin. „Und es ist ja auch nicht immer so, dass die Betroffenen nicht zahlen könnten.“

In Köln hat der Vringstreff beschlossen, aus Spendengeld eine eigene „Freikauf-Aktion“ für Betroffene von Ersatzfreiheitsstrafen zu starten. Die Kölner Grünen wollen sich für eine Aussetzung von Strafanträgen nach „Fahren ohne Fahrschein“ bei der KVB starkmachen.

Wer in Köln dreimal binnen eines Jahres oder viermal innerhalb von zwei Jahren ohne Ticket erwischt wird, muss mit einer Strafanzeige rechnen. 2000 Strafanzeigen haben die KVB im vergangenen Jahr ausgestellt. „Für uns ist wichtig, dass der Kunde das erhöhte Beförderungsentgelt zahlt und künftig mit einem gültigen Ticket unterwegs ist“, sagt Sprecher Matthias Pesch. An der politischen Diskussion, ob von Strafanzeigen ähnlich wie in Bremen abgesehen werden könnte, beteiligten sich die KVB nicht. 


Diskussion mit Ex-Justizminister Biesenbach in Köln

Über das Thema Ersatzfreiheitsstrafe diskutieren Peter Biesenbach, ehemals Justizminister NRW, die Kriminologin Nicole Bögelein und Petra Hastenteufel von der Oase e.V. mit  Betroffenen am Mittwoch, 30. November, um 19 Uhr  in der Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 8 Moderation: Martin Stankowski. Eintritt: sieben Euro.

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