Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Selbstverwaltung als Experiment

Lesezeit 3 Minuten

Vorstand Joachim Steinhaus mit Mirjam Kohler, Maximilian, Maya, Rabea, Lena und Lionel

Widdersdorf – Am Rande von Widdersdorf steht ein Experiment, das sich schon rein äußerlich von den umliegenden Reihenhäusern unterscheidet. 74 Wohnungen in einem Backsteinbau bilden den Versuchsraum für eine Idee, die in ihrer Größe zum Zeitpunkt des Baubeginns einmalig in Nordrhein-Westfalen war. Im Jahr 2009 schlossen sich mehr als 100 Interessierte zu einer Genossenschaft zusammen, gemeinsam wollte man den Bau „Gut in Widdersdorf“ finanzieren. Basisdemokratisch ging es damals zu, die Stimme jedes Genossenschaftsmitgliedes wurde gehört. Viel Idealismus war auch dabei, junge Familien suchten nach einem Wohnort im Grünen, ältere Mitstreiter wollten sich verkleinern. „Vielleicht waren wir etwas zu idealistisch“, sagt Genossenschaftsvorstand Joachim Steinhaus. So konnten beispielsweise Wohnungen nach den Wünschen der zukünftigen Mieter zugeschnitten werden, Gestaltungsfragen entschied man in großer Runde. Das habe den gesamten Bau verlangsamt, mit den gesammelten Erfahrungen würde man heute anders verfahren.

„Geglückt ist das Experiment trotzdem“, findet Steinhaus. Auf engem Raum leben heute etwa 150 Menschen zusammen, die Bewohner verteilen sich nach Alter und Geschlecht recht gleichmäßig. Seit dem Erstbezug 2014 gab es zwar einige, bei denen die anfängliche Begeisterung schnell in Umzugspläne mündete. Doch damit könne man umgehen, sagt Mirjam Kohler, die mit ihrer Familie selbst in einer der Wohnungen lebt: „Es ist ein engeres Zusammenleben, als man das aus der Stadt gewohnt ist.“ Alle anfallenden Aufgaben, von der Gartenpflege bis zu Handwerkertätigkeiten, werden ehrenamtlich ausgeführt. Auf dem Spielplatz im Innenhof ist immer viel los, der enge Kontakt war manchen zu viel. Doch die große Mehrheit ist geblieben, sie schätzen den intensiven Kontakt. „An kaum einem Ort wachsen Kinder heute noch so eng zusammen auf“, beschreibt Kohler ihre Motivation.

Neben der Möglichkeit zur eigenständigen Verwaltung und Organisation spielt auch das Finanzielle eine Rolle: Jedes Mitglied musste 500 Euro pro Quadratmeter Wohnung als Einlage hinterlegen, zwei Drittel der Wohnungen werden staatlich gefördert. Für diese liegt die Kaltmiete zwischen sechs und sieben Euro, die nicht geförderten Wohnungen kosten etwa neun Euro. Mit der Miete wird der Kredit über 16 Millionen für den Bau abbezahlt, Gewinne macht die Genossenschaft nicht. „Die Hoffnung ist, hier stabil leben zu können. Niemand kann einen rauswerfen“, sagt Steinhaus. Als Miteigentümer engagierten sich die Bewohner mehr, als wenn sie einfache Mieter wären.

Die Integration des markanten Baus ins Veedel sei überwiegend gut gelungen. Anfangs habe es einigen Gegenwind gegeben, als bekannt wurde, das geförderter Wohnungsbau entstehen sollte. Die Nachbarn hätten Bilder von Hochhäusern im Kopf gehabt, doch von diesen Zweifeln sei inzwischen nichts mehr übrig, meint Steinhaus. Nicht zu vernachlässigen sei die Bedeutung der Lage: außerhalb zwar, aber immerhin noch Köln. „Das war den Leuten extrem wichtig“, sagt Steinhaus. Lieber zahle man ein paar Tausend Euro mehr, als über die Grenze nach Bergheim zu ziehen – obwohl diese nur ein paar Meter entfernt liegt.