„Sie hat keine Angst mehr“Krebskranke Kölnerin will sich letzten Wunsch erfüllen

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Nicola Thalmann im Innenhof der Palliativstation der Universitätsklinik

  • Nicola Thalmann ist unheilbar an Krebs erkrankt. Ein lange gehegter Wunsch gibt ihr Lebenskraft: einmal nach Norwegen fahren und die Polarlichter sehen.
  • Weil sie sich diese Reise nicht leisten konnte, startete sie eine Online-Spendenaktion. Das Ergebnis hat sie überwältigt. Mehr als 14.000 Euro sind durch die Spenden vieler zusammengekommen.
  • Mittlerweile bittet die Familie, nicht mehr zu spenden. Wir haben die 52-Jährige auf der Palliativstation zu einem bewegenden Gespräch getroffen.

Köln – Nicola Thalmann hat einen Traum. Sie will mit einem Wohnmobil ans Nordkap, einmal die Polarlichter sehen. So ziemlich alle Menschen träumen. Doch dass die Kölnerin noch träumt, ist besonders. Sie weiß, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Vielleicht vier Wochen, vielleicht drei Monate. Nicola ist unheilbar an Krebs erkrankt – doch die Reise könnte sie sich selbst nicht leisten.

Uniklinik Köln, Haus 6, Palliativstation. Ein unscheinbares Zimmer hinter einer noch unscheinbareren Tür auf einem langen, stillen Gang. Ein Blumenstrauß neben Desinfektionsmittel auf einem Beistelltisch, ein Rollstuhl in einer Ecke, ein Krankenhausbett. Das strahlende Lächeln einer 52-Jährigen mit kurzen grauen Haaren und buntem Kleid. Man sieht Nicola Thalmann an, wie hart die vergangenen Monate gewesen sein müssen. Sie hat sichtbar Gewicht verloren, die Haare sind kurz von monatelanger Chemotherapie.

Doch die Kölnerin wirkt stark und tapfer. Fast scheint es, als wolle sie ihre Krankheit weglächeln, als sie zum Interview aus ihrem Bett aufspringt und sich auf ein Sofa gegenüber setzt. „Ich fühle mich gut, ich denke nicht an den Tod“, sagt sie dann. Doch das war nicht immer so. Im November 2018 stellen Ärzte bei einer Untersuchung eine Diagnose, die das Leben von Nicola mit einem Mal aus den Angeln hob: Bauchspeicheldrüsenkrebs, eine der aggressivsten Krebsformen. Die Kölnerin weigerte sich aufzugeben, absolvierte in den vergangenen Monaten 17 Chemotherapien, kämpfte. Bis vor drei Wochen. Ein entscheidender OP-Termin war angesetzt, zwölf Stunden sollte der Eingriff dauern. Eine letzte Chance auf Heilung.

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Nach zwei Stunden wird Nicola schon wieder zurück in ihr Zimmer geschoben. Sie weiß sofort, was das bedeutet. „Die Ärzte kamen und sagten: »Es funktioniert nichts mehr, sie sind austherapiert«“, erinnert sie sich. Für sie und ihren Mann Jens, der bis vor einigen Wochen als Physiotherapeut in der Uniklinik arbeitete und nun seine Frau pflegen möchte, bricht eine Welt zusammen. „Das war einfach nur schrecklich“, sagt Nicola Thalmann, die früher als Kauffrau und Projektmanagerin für große Kosmetikfirmen tätig war. „Wir hatten so sehr daran geglaubt, dass es klappt.“ Knappe drei Wochen später hat Nicola Lebensmut zurückgewonnen. „Jetzt, wo ich weiß, dass ich sterben muss, kann ich das auch als Befreiung nehmen“, sagt sie. Nun will sie stark sein, stark bleiben. Für einen Traum, den sie gefühlt schon immer hatte. Einmal ans Nordkap fahren, im Wohnmobil quer durch Norwegen, auf dem Weg die Polarlichter sehen. Ein letztes Mal frei sein und Weite spüren, gemeinsame Zeit mit ihrem Mann Jens verbringen.

Ihre Schwester sagt: „Nicola war schon immer mutig.“ Der Oberarzt der Palliativstation, Klaus Maria Perrar, sagt: „Dass jemand auf eigene Faust mit dem Wohnmobil so weit reisen will, hat es zumindest auf dieser Station noch nicht gegeben.“ Ihr Mann Jens sagt: „Sie hat keine Angst mehr.“

Nicola und Jens Thalmann

Nicola und Jens Thalmann

Im Weg stand der Reise lange Zeit vor allem das Geld. Die Reise wäre für Nicola und Jens zu teuer geworden, wahrscheinlich unbezahlbar. Doch auch hier gab Nicola nicht auf, startete im Netz eine Spendenaktion. Mehr als zwölftausend Euro sind schon zusammenkommen, viel mehr, als die beiden zu träumen gewagt hatten.

Und so viel, dass die beiden bereits jetzt zunächst für einige Tage an den Gardasee aufbrechen werden. Hier haben sie viele ihrer Urlaube verbracht. Noch einmal will Nicola den See riechen, den Geruch der Motorroller dort, den Duft italienischer Speisen. Sie selbst wird dort wohl nur Suppe essen können, schon lange fällt ihr die Nahrungsaufnahme schwer. Nicola nennt die Reise einen „Probelauf“. Wie wird es ihr auf dieser kleinen Reise vor der geplanten großen Fahrt nach Norwegen ergehen? Was muss sie beachten? Was darf sie sich selbst noch zumuten? Wie wird es ihr gehen, wenn sie zurückkommt?

„Es gibt keinen Blutwert, keine Untersuchung, die prophezeien könnten, welche Chance die Erkrankung den Patienten lässt“, sagt Oberarzt Perrar. „Aber ich bin oft selbst überrascht, welche Energien solche Erlebnisse in den Patienten auslösen können. Vielen hilft eine solche Reise, doch noch einen Sinn in ihrem Leben zu erkennen.“

Es ist ein heißer Tag, die hohen Temperaturen machen Nicola zu schaffen. Kurz geht sie nach draußen, in den Innenhof der Palliativstation, gestützt von ihrem Mann. Sie bleibt an einem Lavendelbusch stehen, saugt den Duft der Pflanze förmlich auf. Es sind die kleinen, unscheinbaren Dinge, die für die 52-Jährige wichtig geworden sind. Ein leckerer Duft, ein sonniger Tag, das Trüffelgericht bei ihrem Lieblingsitaliener.

Mehr als ein Viertel der Kölner sterben an Krebs

26,3 Prozent der 2017 gestorbenen Kölner sind einem Krebsleiden erlegen – damit waren diese Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache, teilt die Krankenkasse IKK mit Verweis auf das Statistische Landesamt NRW mit. Die Sterbezahlen für 2017 sind die derzeit aktuellsten. Häufigste Todesursache waren Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hier vor allem Herzinfarkte (32,1 Prozent der Gestorbenen). An dritter Stelle folgen mit 7,7 Prozent Krankheiten des Atemsystems. Die statistische Lebenserwartung der Kölner ist laut IKK indes kontinuierlich gestiegen. Sie liegt heute bei knapp 83 Jahren bei Männern und fast 86 Jahren bei Frauen. (og)

„Jetzt lebe ich in den Tag“, sagt Nicola. Früher sagte sie: „Ich muss.“ Ich muss aufräumen. Ich muss liefern. Jetzt sagt sie: „Ich möchte.“ Ich möchte glücklich sein. Ich möchte ans Nordkap. Nicola weiß, dass sie jetzt noch nicht abschätzen kann, ob und wie ihr dieser Wunsch vergönnt bleibt. Die Ärzte können ihr nicht genau sagen, wie lange sie noch zu leben hat. Vielleicht sind es vier Wochen, vielleicht drei Monate, vielleicht sogar mehr. Nicola weiß nur, dass sie langsam schwächer wird. Vielleicht wird sie sich zumindest von der Fahrt mit dem Wohnmobil verabschieden und mit dem Flugzeug zum Nordkap reisen müssen. All das steht noch nicht fest. Doch Nicola und Jens sind fest entschlossen, Ende August in ihre große Reise zu starten. Am Geld soll es jetzt jedenfalls nicht mehr scheitern. Wann sie wiederkommen wollen, wissen sie noch nicht genau. „Und selbst wenn es gar nicht klappt, bin ich auch nicht traurig“, sagt sie. „Dann schaue ich mir die Polarlichter eben von oben an.“

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