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Interview mit Christine Westermann„Ich kann gut brüllen“

Lesezeit 6 Minuten

Christine Westermann beim Interviewtermin im MAKK

KölnFrau Westermann, Ihr Buch „Da geht noch was – Mit 65 in die Kurve“ erschien vor zwei Jahren. Darin erzählen Sie vom Älterwerden. Dieses Jahr werden Sie 67. Hält die gefundene Gelassenheit noch an?

Sie ist sogar stärker denn je. Ich glaube aber, dass es wieder emotionaler wird, wenn ich auf die 70 zugehe. 

Waren die runden Geburtstage immer schon schwierig für Sie? 


Eigentlich nicht. Geburtstage waren immer unglaublich wichtig in meinem Leben. Die  40 war spannend, da haben sich bei mir die Lebensumstände geändert, eine lange Beziehung ging zu Ende. Als ich 50 wurde, war ich gerade nach Amerika gezogen. Die 60 habe ich laut , lange und fröhlich gefeiert,  aber die 65 hat mich dann doch schwer bewegt.

Was haben Sie zu dieser Zeit gefühlt?

Ein Gefühl der Endlichkeit. Dass weit mehr Leben hinter mir liegt, als vor mir. Zwei Fragen haben mich umgetrieben: Wo will ich noch hin mit meinem Leben und wo will das Leben noch hin mit mir?

Sie beschreiben diese Gefühle auch als Hilflosigkeit und Melancholie. War Ihnen direkt klar, dass die etwas mit dem Älterwerden zu tun haben?

Am Anfang dachte ich, es sei eine dieser Phasen,  in denen man etwas wehmütiger oder stiller ist. Aber irgendwann war mir klar, dass diese Gefühle auch mit meiner großen Lust zu leben, die Jahre möglichst vollzupacken, zu tun haben. Ich habe mit mir gehadert: Jetzt wo ich weiß, wie das Leben funktioniert, dass sich Schönes mit weniger Schönem abwechselt,  ich mit Niederlagen besser zurecht komme und um meine Stärken und Schwächen weiß, jetzt habe ich vielleicht  nur noch wenig Zeit?  Das hat mich sehr wehmütig, sehr unruhig gemacht. Da muss, da soll noch viel kommen, bitte. Das wollte ich unbedingt.

Leben Sie deswegen jetzt schneller?

Nein. Ich habe mittlerweile eine sehr schöne Ruhe und Gelassenheit gefunden. Nicht auf irgendetwas warten, sondern leben, jeden Tag. Eigentlich ganz einfach.

Bewusster?


Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin? Nein. Ich muss mir immer noch manchmal sagen, den Augenblick, jetzt und hier festzuhalten. Und mich nicht schon auf etwas zu freuen, das erst in ein paar Wochen kommt.

Ist der Tod ein Thema in ihren Gedanken?

Ganz sicher. Ich habe ein unglaublich privilegiertes Leben.  Ich bin mit Leidenschaft Journalistin. Ich habe meinen Traumberuf. Ich bin gesund, ich habe wunderbare Menschen um mich herum. So wie ich bin, bin ich im Gleichgewicht, erlebe eine stille Zufriedenheit. Und das würde ich gern ins Unendliche ausdehnen, in die Ewigkeit. Deshalb ist der Tod schon eine Bedrohung.

Sie erzählen in Ihrem Buch auch von Selbstzweifeln. Haben Sie diese mittlerweile abgelegt?

Ich mache seit einiger Zeit eine Ausbildung zur Achtsamkeitstrainerin - ich will aber gar nicht andere beraten, sondern nur mich selbst. Ich merke viel schneller und auch bewusster als früher,  wenn der Kopf sich selbstständig macht. Wenn ich mir in Gedanken etwas zurechtzimmere, das mit der tatsächlichen Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun hat.  In der Theorie habe ich diese Technik schon super drauf, in der Praxis hakt es hin und wieder noch ordentlich.  Wer das mit der Achtsamkeit richtig verstanden hat, der geht, glaube ich, federleicht durchs Leben. Da will ich hin.  

Während Sie das Buch geschrieben haben, haben Sie auf Einladung des WDR für eine Fernsehdokumentation ein spirituelles Zentrum besucht. Dort sind Sie das erste Mal in Berührung gekommen mit der sogenannten Achtsamkeit.

Ich wusste überhaupt nicht, was da auf mich zukommt. Später habe ich dann eine große Dankbarkeit empfunden, dass ich das machen durfte. Für den Film habe ich auch Georg Lollos getroffen, den Achtsamkeitstrainer, der mich jetzt noch unterrichtet. Ich habe mich dadurch verändert. Langsam, aber sicher. Und bin gespannt, zu erfahren, wer und wie ich in drei Jahren bin, wenn die Ausbildung vorbei ist. So hat es in meinem Leben einen ganz sachten Richtungswechsel gegeben.

Durch Zufall.

Ich glaube ja, dass Dinge im Leben nicht zufällig passieren. Es fällt mir etwas zu. Da oben bringt einer Dinge auf Wiedervorlage. Sachen, die ich nicht begreifen will, die schmerzhaft sind oder schwer fallen, werden immer wieder vorgelegt. Bis man es irgendwann verstanden hat und anders macht. 

Warum Christine Westermann ab jetzt alle Geburtstage groß feiern möchte, lesen Sie im nächsten Abschnitt.

Werden Sie Ihren 67. Geburtstag feiern?

Ja, klar. Und wie. Ich habe mir vorgenommen, alle Geburtstage jetzt ganz groß zu feiern. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Gibt es etwas, dass Sie unbedingt noch machen möchten in Ihrem Leben?

Viele Dinge, ja. Eines steht ganz vorn:  ich möchte noch mal durch Vietnam fahren.  Ich bin da spontan zu meinem 50. Geburtstag hin gereist, weil ich schon immer eine Affinität zu dem Land gespürt habe. Als Schülerin habe ich auf den Straßenbahnschienen gesessen und gegen den Vietnam-Krieg protestiert. Danach habe ich viele Filme, Dokumentation über Vietnam gesehen. Ich durfte aber bei meiner Reise  Ho-Chi-Minh-Stadt und das Mekongdelta  nicht verlassen, weil zu der Zeit ein heftiger Taifun über das Land gegangen war und alles unter Wasser stand. Deswegen habe ich beschlossen, am Morgen meines 50.Geburtstages  zurück nach San Francisco zu fliegen, wo ich zu der Zeit lebte. Zu Hause habe ich mir dann sehr fröhlich mit einem kalten Bier zugeprostet. Und Fisch in Tomatensoße aus der Dose gegessen, der gehörte in meiner Amerikazeit zu meinen Grundnahrungsmitteln.

Es geht auch mit 66 noch was. Ab Oktober sind Sie Teil der Neuauflage des Literarischen Quartetts, das bekannt dafür war, dass die Gäste ordentlich ausgeteilt haben. Können Sie gut streiten?

Nein, eigentlich bin ich harmoniebedürftig. Aber wenn mich einer aufregt, schieße ich zurück. Ich kann ordentlich brüllen. Was im Fernsehen natürlich nicht passieren wird. Obwohl, wer weiß …

Was, wenn die Kritiker den Finger heben?

Kritik wird auf uns einprasseln, da bin ich mir sicher. Aber das werde ich lernen, auszuhalten. Wenn einem nicht gefällt, was ich tue, dann ist das eben so. Aber warten wir mal ab, das sage ich jetzt so …..

„Zimmer frei“ endet im Sommer 2016. Auch damit sind Sie im Reinen, richtig?

Es ist gut, dass es zu Ende geht. Nach 20 Jahren aufzuhören,  ist genau richtig. Aber traurig werde ich am letzten Sendungsabend schon sein. Und ich bin nicht nur ein gute Brüllerin, ich bin auch eine hervorragende Weinerin.

Christine Westermann (66) liest am Freitag aus ihrem Buch „Da geht noch was – Mit 65 in die Kurve“ um 20.15 Uhr im Senftöpfchen Theater. Karten kosten 20,90 Euro.

Das Gespräch führte Jenny Filon