500 Jahre Kölner StreetartNeue Stadttour offenbart die Geheimnisse der Straßenkunst

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Die Historikerin Dagmar Lutz präsentiert auf der neuen Führung Werke der Kölner Streetart.

Köln-Innenstadt – Am Ende des Spaziergangs bleibt die Gruppe an Stellen stehen, die andere Köln-Besucher lieber schnell hinter sich bringen. Dagmar Lutz hingegen kann dem Hinterhofcharakter, den Köln rund um den Hauptbahnhof zuweilen reichlich verströmt, durchaus etwas abgewinnen: „Solche Unorte haben immer was.“ Vor allem für Streetart-Künstler, die gern bei Dunkelheit arbeiten – und illegal.

„500 Jahre Streetart in Köln“ hat Dagmar Lutz ihre Führung durch die Kölner Altstadt genannt und den Begriff Streetart damit auch zeitlich sehr weit gefasst. Die 20 Teilnehmer bewegen sich an diesem Abend auf den Spuren von Kunst im öffentlichen Raum, die es wahrscheinlich schon immer gegeben hat. Im spannendsten Fall sind die Werke verbotenerweise entstanden und stoßen eine öffentliche Diskussion an.

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Diese an Videospiele angelehnte Figur stammt von dem französischen Künstler „Invader“.

Dagmar Lutz, bildende Künstlerin und Kunsthistorikerin, lässt ihre Zuhörer am Anfang der Tour wissen, dass selbst das Denkmal für König Friedrich Wilhelm III. auf dem Heumarkt nach seinem Niedergang im Zweiten Weltkrieg und den Jahren danach mit Hilfe von Streetart Wiederauferstehung feierte: Maler und Bildhauer Herbert Labusga habe 1985 in einer Nacht- und Nebelaktion ein neues Reiterstandbild aus Styropor auf einen Sockel gestellt. „Die Kölner waren ganz begeistert“, sagt Dagmar Lutz: „Ohne die verbotene künstlerische Aktion wäre das Ganze vielleicht nie wieder in Bronze hier gelandet.“

Neue Stadttour: Köln abseits der bekannten Sehenswürdigkeiten

Die Führung ist Teil des Programms „Urlaub in Köln“, das die „Akademie för uns kölsche Sproch“ und die „SK Stiftung Kultur“ der Sparkasse KölnBonn in den beiden letzten Ferienwochen anbieten. Der Anspruch der Veranstalter ist es, den Teilnehmern Köln abseits der üblichen Sehenswürdigkeiten näher zu bringen. 26 Touren zu Fuß werden angeboten, 13 mit dem Rad, acht Angebote gibt es für Kinder sowie drei mit dem Schiff.

Viele Programmpunkte richteten sich an Einheimische, die sich schon gut in Köln auskennen, aber noch etwas Neues dazu lernen wollten, so Ralf Convents von der SK Stiftung. Luftschutzrelikte aus dem Zweiten Weltkrieg werden ebenso vorgestellt wie Naturschutzgebiete am Stadtrand oder Architektur des Brutalismus.

Kölnerin nach der Führung: „Man weiß nie alles“

Dagmar Lutz hingegen widmet sich Streetart, an der man in Köln oft achtlos vorbei gehen kann. Die fratzenartigen Grinköpfe zum Beispiel, die schon vor Jahrhunderten an Kölner Hausfassaden angebracht wurden, etwa um Seilwinden daran zu befestigen, sind nicht jedermann geläufig. Auch am Brauhaus „Gilden im Zims“ am Heumarkt grinst noch ein steinerner Unhold herab. Daniela Schmitz aus der Südstadt hat die Figuren bisher noch nicht wahrgenommen. „Man weiß nie alles“, sagt die Teilnehmerin, auch als geborene Kölnerin nicht.

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Auch alteingesessene Kölner können bei der Führung noch etwas dazulernen.

Auch das kleine Mosaik an der Ecke Heumarkt/ Salzgasse ist leicht zu übersehen. Hier, in etwa drei Metern Höhe, hat der französische Künstler Invader einen kleinen Tintenfisch im pixeligen Stil alter Computerspiele dargestellt – in diesem Fall ist es Streetart im strengen Sinne, eine Erlaubnis gab es dafür nämlich nicht. Invader suche sich meist stark belebte Punkte aus, sagt Dagmar Lutz: „Seine Arbeiten werden aber relativ oft entfernt.“

Stadt Köln lässt Streetart teilweise entfernen

Das galt auch für die Arbeiten des Züricher Graffiti-Pioniers Harald Naegeli, der Anfang der 1980er Jahre nach Köln flüchtete, um einer Strafe wegen Sachbeschädigung in seiner Heimat zu entgehen. Dagmar Lutz‘ Gruppe ist mittlerweile zwischen Breslauer Platz und Musical Dome in den Betongewölben unterhalb der Bahngleise des Hauptbahnhofs angekommen.

Es ist dunkel und schmutzig hier. Leider habe die Stadt die Strichmännchen, die Naegeli hier einst illegal hinterließ, „rigoros entfernt“, ruft Dagmar Lutz gegen den Lärm eines Lkw an.

Legale Streetart hat oft bessere Überlebenschancen

Streetart mit offizieller Genehmigung hat oft eine höhere Lebensdauer. Das „Kalte Eck“, eine Außeninstallation, mit dem Tom Fecht an Menschen erinnert, die an den Folgen von Aids verstorben sind, kann seit 1998 im Pflaster des Altstadt-Ufers bewundert werden. „Die Rückeroberung der Stadt Köln durch die Künstler“, ein Wandbild von Thomas Baumgärtel und dem Künstlerkollektiv „Captain Borderline“, ziert seit 2011 großformatig eine Hausfassade an der Marzellenstraße.

Das kleine Skelett auf dem Ausleger eines Pfeilers der Hohenzollernbrücke darf dort seit Jahren auch ohne offizielle Erlaubnis über dem Rhein balancieren. Niemand weiß, wer es auf welche Weise dort angebracht hat. Dagmer Lutz spricht von Kölns bestgehütetem Geheimnis. Annett Bormann und Andreas Sering haben an diesem Abend ganz neue Facetten Kölns kennen gelernt. Für sie steht fest: „Man muss viel bewusster durch die Stadt gehen.“

Nähere Informationen unter www.urlaubinkoeln.de

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