„Gefühlsexplosion“Summerjam startet heute – mit diesen Bands aus Köln

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Kölner Präsenz auf dem Summerjam-Festival: v.li. Memoria, Junior Carl und Conscious Culture. 

Köln – Gentleman und Patrice sind die Aushängeschilder der Kölner Reggae-Szene, die dieses Jahr vom 1. bis 3. Juli erstmals nach pandemiebedingtem Ausfall wieder auf der großen Bühne des Summerjam in Chorweiler auftreten werden. Doch es gibt auch eine Reihe von jungen Reggae-Musikerinnen und Musikern aus Köln, die zwischen den Top-Acts mitmischen. Und dabei einiges zu sagen haben. Zum Beispiel die achtköpfige Band Memoria aus Mülheim.

Sänger Inti Ayvar Waltz stand 2018, zehn Jahre nach seinem ersten Besuch des Summerjam mit den Eltern, selbst auf der Bühne am Fühlinger See. „Das war ein richtig heißer Tag, eine Gefühlsexplosion, weil wir vorher Organisationsstress hatten. Aber auf der Bühne konnten wir dann sehen, wie alle Leute angerannt kamen und wie voll es war. Das war wie nach Hause kommen“, sagt der Musiker im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

In der Kölner Keupstraße aufgewachsen

Memoria – das sind drei Schwestern und fünf Jungs, wobei auch Waltz Bruder mitspielt. Die anderen sind zwar nicht blutsverwandt, aber gehören eigentlich auch zur Familie. „René ist zwei Wohnungen über uns großgeworden und mit den Mädels sind wir so eng aufgewachsen. Das ist mehr als Freundschaft, unsere Familien sind miteinander verwoben“, erzählt Waltz. Aufgewachsen seien sie alle in der Keupstraße in Mülheim.

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Als Proberäume dienten auf der Schäl Sick schon diverse Lokalitäten: Zunächst das Jugendzentrum Mülheim, wo die Jugendlichen ab 2009 spielten, dann das Kinderzimmer und schließlich der Keller. „Das Tolle war, dass die Nachbarn so wohlwollend waren, was nicht gerade eine typische Erfahrung in Deutschland ist. Die haben das unterstützt“. Als sich die Auftritte am an den Wochenenden dann häuften, seien sie in einen Proberaum nach Zollstock gezogen. Mit der Kölner Musikszene ist Memoria eng verquickt.

Weitere Kölner Acts auf dem Summerjam

Junior Carl legt mit seinem Debüt-Album „Natürliche Mystik“ einen urbanen Mix aus Hip Hop und karibischen Elementen vor. Der Musiker ist in Köln aufgewachsen und hatte mit elf Jahren seine erste Band. Mit 17 begann er sich für Reggae und Dancehall zu interessieren und reiste nach Jamaika. In Köln war er später festes Mitglied des Soundsystems „Pow Pow Movements“.

Die drei Frontfrauen von Conscious Culture orientieren stark an der „Goldenen Ära“ des jamaikanischen und englischen Reggaes der 70er Jahre. Dabei verbindet die acht-köpfige Band den entspannten Roots-Reggae-Sound mit modernen Elementen wie Dub, Dancehall und Modern Roots. Die Musiker aus Köln haben unter anderem ecuadorianische, kongolesische und zypriotische Wurzeln. Auf Shows präsentieren sie eigene Stück sowie ausgewählte Coverversionen von Klassikern.

Elroi entdeckte die Reggae-Musik als er 13 Jahre alt war. „Über den Reggae habe ich erst verstanden, wie Musik funktioniert. Die Helden meiner Kindheit waren Bob Marley, Peter Tosh und natürlich auch Gentleman“, sagte er. Nach dem Abitur reiste er erstmals nach Jamaika – für zwei Monate mit dem Rucksack. Dort lernte er Studios und Musiker kennen. (gam)

„Wir sind Betroffene des Nagelbombenattentats auf der Keupstraße und waren daher immer bei dem Event „Birlikte“ dabei. Wir sind mit dem Edelweißpiratenfestival in der Südstadt vernetzt und mit den Leuten von Arsch Huh“, erzählt Waltz. Doch ein rein lokaler Act sind die Anfang- bis Mittezwanzigjährigen längst nicht mehr. Sie bespielen nicht nur die großen deutschen Reggae-Festivalbühnen wie das Summerjam oder den Ruhr Reggae Summer, dieses Jahr treten sie auch erstmals auf dem großen europäischen Reggae-Festival „Rototom“ zwischen Barcelona und Valencia auf – auch wenn die Pandemie sie zunächst stark ausgebremst habe.

„Vor Corona ging unsere Karriere steil nach oben, 2017 haben wir unsere erste EP veröffentlicht, waren auf Festivals, hatten zum ersten Mal eine ausverkaufte Wintertour. 2019 haben wir eine weitere Wintertour abgesagt – wenn wir gewusst hätten, dass wir zwei Jahre zwangsfrei haben, hätten wir das nicht gemacht“. Waltz ist schon sehr auf das spanische Publikum gespannt: „Die verstehen unsere Lieder. Da wir auch die Kolonialgeschichte Lateinamerikas thematisieren, wird das eine interessante Erfahrung“. Lateinamerikanische Bezüge haben die Jungs und Mädels vielfach: Waltz ist Deutsch-Peruaner, die weiblichen Mitglieder haben venezolanische Wurzeln, und chilenische sowie rumänische Bezüge gibt es ebenso in der Band. Doch aus Köln kommen sie alle.

Songs über Korruption und soziale Ungerechtigkeit

Die lateinamerikanische Realität, geprägt von Ungleichheit, kolonialen Strukturen und Korruption, beschäftigt Memoria in ihren Liedern sehr. Doch auch die soziale Ungerechtigkeit vor der eigenen Haustür lässt die jungen Musiker nicht los. „Wie kann es sein, dass ein großer Teil der Gesellschaft sich tot arbeitet und mit seinem Gehalt kaum Fixkosten decken, geschweige denn Aktivitäten für die Kinder zahlen kann?“

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Waltz hat es am eigenen Leib gespürt: „In unserer nächsten EP „What goes around“ reflektieren wir, was wir während der Pandemie gemacht haben. Ich war Spargelernter, habe auch Äpfel geerntet, in der Küche gearbeitet, geputzt – alles Dinge, die ich vorher nicht gemacht habe“. Ihm fehle die Wertigkeit und der gesellschaftliche Respekt für die Arbeit, während es auf der anderen Seite Menschen gebe, die aufgrund von Erbschaften an große Vermögen gelangten, die nicht einmal versteuert würden. Memoria hat auch in Zukunft noch einiges zu sagen.

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