„Corona spielt zentrale Rolle“Kölner Seelsorgen melden stark steigende Nachfrage

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Eine Frau am Telefon (Symbolbild)

Eine Frau am Telefon (Symbolbild)

Köln – Kontaktsperren, Mundschutz und alarmierende Bilder in den Medien: Die Corona-Krise schafft Probleme und weckt Ängste, die manche Menschen allein schlecht verarbeiten können. Der Besuch der Enkel bei den Großeltern wird gestrichen, Schule und Kindergarten fallen ebenso aus wie der Urlaub und Ausflüge ins Umland.

Andere verrichten ihren Job im Homeoffice – die Familien sind nun längere Zeit beieinander als gewohnt. Hinzu kommen medizinische Risiken und finanzielle Einbußen. Viel Stoff also für Konflikte. Kein Wunder, dass bei den Kölner Telefonseelsorgen reger Betrieb herrscht.

Abendschichten mehrfach besetzt

Schon vor der Corona-Krise hatten die Mitarbeiter der katholischen Telefonseelsorge viel zu tun. So gingen im Jahr 2018 bei ihr etwa 13 500 Anrufe ein, erläutert Leiterin Annelie Bracke. Wegen der Corona-Krise hat ihr Team die Abendschichten nun mehrfach besetzt, um so  zusätzlich zehn bis zwölf Prozent mehr Anrufe entgegen nehmen zu können.  „Corona spielt bei den Gesprächen eine zentrale Rolle“, sagt Bracke. In vielen anderen Telefonaten würde das Virus oft aber auch nebenbei erwähnt.

Die Leiterin der evangelischen Telefonseelsorge, Pfarrerin Dorit Felsch, berichtet, dass laut Daten der Telekom 50 Prozent mehr Menschen versuchten, ihre Hotline zu erreichen. Die Kapazität des Teams sei aber begrenzt. Insbesondere, weil viele Mitarbeiter selbst zur Risikogruppe gehörten und nun zu Hause bleiben müssten.

„Die Konflikte steigen an“

Oft würden bestehende Probleme durch die Corona-Krise verstärkt, sagt Bracke. „Die Konflikte steigen an.“ Vielfach riefen Menschen an, die auch schon zuvor allein waren. „Jemand, der einsam ist, fühlt sich der Pandemie-Situation vielleicht noch stärker ausgeliefert“, sagt Bracke. Oft handele es sich um Menschen, die im Ruhestand sind oder eine psychische Belastung haben. Daten, die sich auf die bundesweiten Telefonseelsorgen beziehen, hätten ergeben, dass 51 Prozent der Anrufer zwischen 50 und 70 Jahre alt sind.

Doch unter dem Strich bilden die Anrufer einen Querschnitt der Kölner Bevölkerung ab. Zu den Anrufern zählt die Alleinerziehende, die Tage mit ihren Kindern in der Wohnung verbringt und eine Art Lagerkoller erlebt. Menschen, deren Firmen Kurzarbeit angeordnet haben und die nun weniger verdienen. Freiberufler, die sich gerade selbstständig gemacht haben und nun vor dem Aus stehen.

Feiertage werden zur Herausforderung

Oder Abiturienten, die zu Hause sitzen und sich auf die Prüfungen vorbereiten. Sie haben zwar digitale Angebote und Online-Lerngruppen, aber manchen fällt es schwer, sich zu Hause zu konzentrieren. Single-Haushalte kämen übrigens oft erstaunlich gut zurecht mit der Ausnahmesituation, berichtet Bracke. „Viele haben ihre sozialen Netzwerke, die sie mit Telefon oder per Chat und E-Mail aktivieren können.“

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Feiertage können für die Helfer zu einer besonderen Herausforderung werden. Denn erfahrungsgemäß fühlten sich nicht wenige Menschen dann besonders allein. In diesem Jahr könnte es noch einmal schlimmer werden, weil die Familien sich nicht untereinander besuchen können. Großeltern sehen ihre Enkel nicht und Eltern nicht ihre erwachsenen Kinder. Aber viele der älteren Menschen hätten in den vergangenen Wochen einen digitalen Sprung gemacht, hätten gelernt, mit Skype und anderen digitalen Diensten umzugehen. „Aber das ersetzt nicht den persönlichen Kontakt“, sagt Bracke.

Zusätzliche Hotline geschaltet

Domforum und Stadtdekanat haben seit Ende März zusätzlich zur Telefonseelsorge eine Hotline unter dem Titel „Zeit für dich“ geschaltet. Das Telefon sei ein Beitrag, um sozialer Isolation und Vereinsamung entgegen zu wirken. „Als Kirche sind wir selbstverständlich auch und gerade jetzt, in diesen schwierigen Zeiten, für die Menschen da“, sagte der Stadtdechant Robert Kleine über das neue Angebot. „Gerade für viele ältere und alte Menschen ist der tägliche Gang in den Supermarkt, zum Gottesdienst oder woanders hin oft die einzige Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt und ins Gespräch zu kommen.“ Dies falle nun weg, es drohten Vereinsamung und soziale Isolation dieser Menschen. „Es ist wichtig, dass wir alle gerade jetzt niemanden allein lassen“, so der Stadtdechant. Auch die Johanniter haben eine neue Hotline eingerichtet.

Dorit Felsch, Leiterin der evangelischen Telefonseelsorge, hat sich mit der Pfarrerin Miriam Haseleu und dem Journalisten Wolf Meyer ein besonderes Angebot ausgedacht. Das kleine Team produziert einen Podcast unter dem Titel „Gott und Klopapier“. Hier werden kleine Geschichten zum Thema Corona erzählt. Zum Beispiel die der älteren Dame, deren Höhepunkt des Tages es war, ein Bistro in der Nähe aufzusuchen und dort eine Kleinigkeit zu essen. Wegen der Corona-Krise hat nun das Bistro zu, der Höhepunkt des Tages war weg. Die Frau erinnerte sich aber an andere ältere Menschen, die ebenfalls allein im Bistro saßen. Und so hängte sie einen Zettel am Café auf, mit der Bitte an die anderen Gäste, sich bei ihr zu melden. Mit Erfolg. Seitdem telefoniert die Frau mit anderen Senioren, die sich vielleicht ohne die Corona-Krise nie kennengelernt hätten.

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