Veedels-CheckChorweiler – ein Stadtteil auf dem Weg zur Anerkennung

Lesezeit 7 Minuten
Der Klassiker: Häuserschluchten, jede Menge Beton. 

Der Klassiker: Häuserschluchten, jede Menge Beton. 

Köln-Chorweiler – Knapp 80 Prozent der Menschen, die hier wohnen, haben keinen klassischen „deutschen“ Hintergrund – die Statistiker nennen sie „Menschen mit Migrationshintergrund“. Chorweiler hält dabei den gesamtstädtischen Rekord, auch das benachbarte Blumenberg weist hier noch 67,7 Prozent auf. Hochhäuser prägen das Viertel, auf knapp zwei Quadratkilometern Fläche wurde die Trabentenstadt einst als innovatives Beispiel hochmoderner Wohnungsbaupolitik zum Leben erweckt. Peter Schlösser (74) ist einer der relativ wenigen deutschen Anwohner, und er ist sehr glücklich darüber. „Für nichts auf der Welt würde ich meinen Wohnort tauschen wollen. Ich wollte nie woanders wohnen und werde dies auch nie wollen“, so seine klare Meinung.

Die Ergebnisse zu den bislang veröffentlichten Stadtteilen mit Bewertungen zu den Themen Verkehr, Einkaufen, Sicherheit und vielem mehr finden Sie hier.

Chorweiler kämpft bis heute mit Imageproblemen. Dies war und ist eng verbunden mit der Entstehungsgeschichte der „Neuen Stadt“, wie der Stadtteil von Beginn an genannt wurde. In den 70er Jahren begann man mit der Umsetzung einer Planung, die schon 1922 vom Architekten Fritz Schumacher entworfen worden war. Bis heute gibt es kritischen Stimmen, die davor warnen, jemals wieder einen Stadtteil auf dem Reißbrett entstehen zu lassen. Denn vieles kam anders als man es sich überlegt hatte.

Viele Einwohner können mit dem Schmuddel-Image ihres Stadtteils so gar nichts anfangen.

Viele Einwohner können mit dem Schmuddel-Image ihres Stadtteils so gar nichts anfangen.

Auf engem Raum sollte eine eigene, kleine Stadt entstehen. Wohnen, Arbeiten, Handel, Freizeit und soziale Einrichtungen sollten auf kurzen Wegen erreichbar sein. „Ich habe schon damals bei der Erbauung der Häuser hier gearbeitet. Insofern habe ich die Häuser, aber auch ihre Bewohner, wirklich von Beginn an hautnah miterlebt“, erinnert sich Schlösser an diese Zeiten.

Viele Nationen und Generationen

Geboren ist er in Zündorf, Anfang der 80er Jahre zog er – unter anderem der Liebe wegen – nach Chorweiler. „Inzwischen ist Chorweiler meine zweite Heimat geworden“, so empfindet er es. „Ich habe hier gelernt, Mensch zu sein. Ich habe andere Denkweisen kennengelernt“, sagt der Rentner. „Einfach eine andere Einstellung zum Leben.“

Schlösser ist gut vernetzt im Viertel, über die Jahre hinweg haben sich viele stabile Freundschaften entwickelt. Die Tatsache, dass viele seiner Freunde eben keine Deutschen sind, stört ihn nicht im Geringsten. Er hat viele Nationen und Religionen kennen gelernt. „Ich war schon immer ein sehr kommunikativer Mensch, ich spreche mit meinen Mitmenschen – so lernt man sich kennen“, erklärt der ehemalige „Bezirkshausmeister“. In allen Jahren war er beruflich für die wechselnden Besitzer der großen Wohnanlagen, die den Stadtteil prägen, tätig. „Dabei habe ich immer auch die Menschen gesehen, die hier wohnen. Nicht nur die technischen Gegebenheiten“, betont er.

Chorweiler hat aber mehr zu bieten: Wohlfühl-Oasen, Kunst, Kultur. 

Chorweiler hat aber mehr zu bieten: Wohlfühl-Oasen, Kunst, Kultur. 

Nachdem die ersten Häuser standen, und auch die ersten Menschen in das damals neu entstandene Viertel zogen, verlief vieles in Chorweiler nicht so, wie die Stadtplaner sich das einst ausgemalt hatten. Zunächst waren die Hochhäuser für Arbeiter und Angestellte aus der umliegenden Industrie, etwa den Ford-Werken, gedacht. Doch die wollten einfach nicht. „Es gab einen unglaublichen Leerstand. Gut ein Drittel der Wohnungen waren nicht belegt“, weiß Schlösser, der ursprünglich einmal den Beruf des Sanitär- und Heizungsbauers gelernt hat. Er weiß noch, dass das Image des Stadtteils damals sogar noch wesentlich schlechter war als heute. „Die Menschen, die in der U-Bahn saßen und hierher nach Hause fuhren, schämten sich, ihr Ziel laut auszusprechen“, so Schlösser. Die Politik musste damals eine Art „Notbremse“ ziehen.

Lex Chorweiler

Die sogenannte „Lex Chorweiler“ entstand. Mit Hilfe von Mietzuschüssen wurde der Zuzug von neuen Mietern finanziell gefördert. In der Folge zogen viele sozial schwächer gestellte Menschen nach Chorweiler – bis heute hat der Stadtteil einen Hartz-IV-Anteil von 40 Prozent und ist damit nach Finkenberg mit 43 Prozent der Stadtteil mit dem zweithöchsten Anteil an Anwohnern mit Transferleistungen. „Andere, die bisher hier wohnten, zogen wieder weg – zum Beispiel nach Blumenberg. Es entstand eine Art Fluchtbewegung“, erinnert sich Schlösser an die damalige Zeit. Auch heute noch gilt Chorweiler als Viertel, aus dem viele wieder wegziehen – stadtweit verzeichnet das Veedel nach wie vor mit die höchste Fluktuation.

Und doch hat sich vieles verändert. Die quälend langen Jahre, in denen 1300 Wohnungen unter Zwangsverwaltung standen, gehören der Vergangenheit an. Schlösser empfindet die Situation heute als durchaus positiv: „Das Verständnis füreinander und die Kommunikation miteinander sind viel besser geworden. Viele Anwohner haben zueinander gefunden. Anfangs waren viele Nationen und auch Religionen sehr isoliert. Jede Gruppe blieb für sich. Das hat sich geändert“, so sein Eindruck.

Der Nahverkehr ist ausgezeichnet.

Der Nahverkehr ist ausgezeichnet.

Als einmalig empfindet er auch den Zusammenhalt, der hier in der Nachbarschaft entstanden ist. Es sind viele, sehr unterschiedliche Kulturkreise, die hier leben. Viele Menschen mit türkischer Herkunft, einige polnische Familien, aber auch russische Spätaussiedler. „Da sind akademisch sehr gebildete Menschen mit viel Kultur hinzu gekommen – der Zuzug war eine Art Frischzellenkur für den Stadtteil“, schmunzelt er. Auch überdurchschnittlich viele Eritreer lebten hier, natürlich viele weitere Nationen. Die Hilfsbereitschaft, füreinander da zu sein, sei unglaublich groß. „Man redet miteinander. So langsam merken die Anwohner, dass es in Chorweiler eine hohe Lebensqualität gibt“, schildert er einen weiteren Eindruck.

Kultur, Einkaufsmöglichkeiten, viel Grün und ein lebendiges Miteinander, das mache Chorweiler aus. Für die Kinder des Stadtteils wird viel getan. Die Vereine im Veedel sind sehr aktiv. Es fehlt nach Ansicht vieler Anwohner allerdings eine Begegnungsstätte, die unabhängig vom City-Center funktioniert. Vor allem viele der älteren Mitbürger vermissen eine Kommunikationsstätte. Und noch etwas ist den Anwohnern hier ganz wichtig: dass man ihnen zuhört. Neue Konzepte und Pläne nicht einfach vorgeben, sondern die Menschen einzubeziehen. Ein Anfang immerhin wurde bereits gemacht bei der geplanten Platzgestaltung. „Die Menschen brauchen einen Raum. Dann entwickeln sie auch eigene Konzepte“, ist sich Schlösser sicher. Chorweiler, soviel steht für ihn fest, bietet sehr viel mehr als man glaubt – man muss es nur herausstellen.

Die Geschichte von Chorweiler

Der Name „Chorweiler“ entstand durch Zusammensetzung der Bezeichnungen Chorbusch und des Stadtteils Weiler. Das Zentrum entstand in den 70er Jahren und gilt als typisches Beispiel der Wohnungsbaupolitik dieser Epoche. Die Idee der „Neuen Stadt“ entwickelte Architekt Fritz Schumacher 1922. 1957 wurde sie wieder aufgegriffen, um die Wohnungsnot der Nachkriegszeit zu lindern.

Raum für 100 000 Menschen

Auf engem Raum sollte eine Stadt für 100 000 Menschen entstehen. Wohnen, Arbeiten, Handel, Freizeit und soziale Einrichtungen sollten auf kurzen Wegen erreichbar sein. Gebaut wurde schließlich für 40 000 Menschen, mit nur wenigen Bürobauten. Bekannte Architekten wirkten an der „Neuen Stadt“ mit. Gottfried Böhm hat sich in der Riphahnstraße mit einen Komplex aus zehngeschossigem Hochhaus und einer Wohnstraße verwirklicht. Das sozial-kulturelle Zentrum am Pariser Platz entstammt einer Idee von Hans Schilling. Da ein Großteil der Straßennamen geografische Begriffe bezeichnet, wurden die vierspurigen Zufahrtsstraßen nach den Geografen Gerhard Mercator und Matthäus Merian benannt. 

Die größten Baustellen in Chorweiler

Der Stadtteil wird vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt. 2015 waren dies 80 Prozent der Chorweiler Bürger. Jedes zweite Kind lebt in einer Familie, die Hartz IV bezieht. Gut 80 Prozent der Wohnungen werden staatlich bezuschusst, Chorweiler kämpft seit den 80er Jahren mit dem schlechten Image eines sozialen Brennpunktes.

Jahrelange Verwahrlosung

Einige der markanten Hochhäuser standen zehn Jahre lang unter einer Zwangsverwaltung, 2016 konnte die GAG Immobilien den Bestand übernehmen und saniert die Gebäude derzeit. Die Folgen der jahrelangen Verwahrlosung sind jedoch nicht von heute auf morgen zu beseitigen. Rund um das City-Center existiert eine Drogen- und Alkoholikerszene. Doch im Laufe des Jahres wird vielleicht Bewegung in diese Situation kommen. Denn im Rahmen des Projektes „Lebenswertes Chorweiler – ein Zentrum im Wandel“ werden der Pariser Platz, die Lyoner Passage und der Liverpooler Platz aufwendig umgestaltet. So soll vor allem die Aufenthaltsqualität rund um die Plätze verbessert werden. Gut acht Millionen Euro fließen in die städtebauliche Fördermaßnahme. 

KStA abonnieren