VeedelsspaziergangMit Hans Süper durch Köln-Sülz

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Das Wirtshaus Sölzer Klaaf ehrt den Musiker und Komödianten Hans Süper mit einem nach ihm benannten Saal.

Das Wirtshaus Sölzer Klaaf ehrt den Musiker und Komödianten Hans Süper mit einem nach ihm benannten Saal.

Sülz – Immer mehr gestresste und rastlose Menschen nehmen die Hilfe eines Coachs in Anspruch, um ihr Alltagstempo zu drosseln und Entschleunigung zu lernen. Wofür diese Menschen mitunter viel Geld ausgeben, bekommt man in Sülz hingegen gratis. Man muss sich nur einen halben Tag lang an die Fersen eines bestimmten Mannes heften, und schon erlebt man ein Lehrstück in Sachen Wiederentdeckung der Langsamkeit.

Die Methode basiert allerdings nicht auf einer empirischen Untersuchung, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass einfach jeder diesen Hans Süper kennt.

Einer winkt garantiert

Zehn Meter auf dem Bürgersteig geradeaus laufen, ohne stehen zu bleiben? Unmöglich. Im Eiscafé Platz nehmen, um schnell einen Kakao zu trinken? Niemals. Zumindest nicht schnell. Mit Hans Süper an der Seite kommt man nicht einmal ohne Zwischenstopp über den Zebrastreifen auf der Sülzburgstraße, weil garantiert ein Autofahrer hupt oder winkt, die Scheibe runterlässt und einen Satz fallen lässt, den unser Urkölner auf gar keinen Fall kommentarlos in der Luft hängen lassen kann. Wahrscheinlich liegt er selbst nicht ganz falsch mit seiner Mutmaßung, dass man seine „Schnauze zweimal beerdigen muss“, bevor endgültig Ruhe ist.

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Als Ausgangspunkt für unseren Veedelsspaziergang wählt der kölsche Musiker und Komödiant die Kaffee-Ecke im Edeka-Markt; nicht gerade der Ort, um maximale Aufmerksamkeit zu erregen, möchte man meinen. Irrtum. Mit Sicherheit fiele man weniger auf, wenn man sich mit Brad Pitt in dem Lebensmittelmarkt verabredet hätte.

Süpers weißgraue Locken wirken geradezu magnetisch. Oder liegt es an diesem unerschöpflich erscheinenden Reservoir, aus dem der Mann mit dem kaum bleistiftbreiten Oberlippenbart Sprüche schöpft?

Selbst wenn der 78-Jährige von den schweren Phasen in seinem Leben spricht, blitzt der Schalk aus seinen blassblauen Augen. „Ich war ja immer der Schönste, ich war als Kind schon schön“, lautet seine Erklärung dafür, dass er in der Endphase des Krieges während des sieben Wochen dauernden Fußmarsches von Sachsen zurück nach Köln so erfolgreich „beim Kötten“ war und bei den Bauernhöfen unterwegs stets ein paar Lebensmittel ergattern konnte.

Hans Süper kam – wie es sich für einen echten Kölner gehört – im Klösterchen zur Welt. Und da selbst großartige Unterhaltungskünstler wie er ihre Sprechfähigkeit erst nach der Geburt erlangen, konnte die Hebamme seinerzeit bei der Entbindung assistieren, ohne von Lachwehen geschüttelt zu werden.

Süper wuchs am Großen Griechenmarkt auf, verließ die Stadt nur im Zuge der Kinderlandverschickung und lebt seit 1945 in Sülz. Bis vor zwei Jahren war das noch die elterliche Wohnung an der Luxemburger Straße, jetzt sind Hans und Helga Süper im Edeka-Komplex an der Berrenrather Straße zu Hause, also praktisch dort, wo wir zum Start unseres Spazierganges Kaffee trinken.

Das Paar ist seit 44 Jahren zusammen, seit 35 Jahren verheiratet, und jetzt, da Helga Süper nicht mehr gut zu Fuß ist, zahlt es sich aus, praktisch nur in den Aufzug steigen zu müssen, um zum Einkaufen zu kommen. „Hier kriegste alles, wenn du Geld hast, wirst nicht nass, wenn Scheißwetter ist und wenn Schnee liegt“, stellt Süper fest und singt „let it snow, let it snow, let it snow.“

Kakao mit Hustensaft

Wir fahren mit dem Aufzug zum Parkdeck, lassen uns durch ein paar Türen und Gänge dirigieren, bis wir in Süpers kleinem Refugium stehen. „Mein Raum“, stellt er glücklich fest und zeigt auf die ganzen Angelutensilien, die er dort aufbewahrt. An der Wand hängt ein mordsmäßig großer Wels, den er 1992 in Spanien aus dem Fluss Ebro geholt hat. Allerdings erst, als der Fisch vom Verfolgen des Bootes völlig erschöpft war. Süper angelt noch immer, meist in Rodenkirchen von Bord der „Alten Liebe“ aus. Vieles habe er schon aus dem Rhein geholt. „Auch vieles, was da nicht ’reingehört.“

Wir begeben uns zurück ans Tageslicht. In Höhe der Apotheke am Questerhof stoßen wir auf Süpers Musikerkollegen Willi Krutsch. „Der spielt Klavier, Bass, Orgel. Der spielt alles. Der spielt auch vom Blatt, wenn Noten drauf sind.“

Bis zu Blumen Risse auf der Sülzburgstraße sind es eigentlich nur ein paar Schritte, doch der Weg dehnt sich der eingangs erwähnten Gründe wegen. Früher habe er seiner Frau öfter Blumen mitgebracht. „Aber die meint immer gleich, ich hätte was angestellt.“

Wir betreten die Gelateria Firenze. Süper zieht selbstverständlich alle Blicke auf sich. Kaum, dass sein „Kakao mit Hustensaft“ – sprich: Cognac – serviert worden ist, stürzt eine Frau von draußen herein. „Wissen Sie, was ich Ihnen immer schon mal sagen wollte. . . ?“ Es dauert.

Die Kaffeebetreiber Sevasti und Babis Andronikidis seien „unheimlich nette, fleißige Leute“, unterstreicht der Urkölner. Das nette Umfeld – hier wie in ganz Sülz – sei letztlich auch das, was ihn dort halte. „Das Veedel ist wichtig. Egal ob es Änderungen gibt, ob Läden Pleite gegangen sind, die Leute sind geblieben. Wir werden älter, baufällig. Aber du hast hier deine Freunde.“ Süper hat dort bereits als Kind in den Trümmern gespielt. Er kennt den Stadtteil, als es dort die Brotfabrik in der Wichterichstraße gab, die beiden Kinos, die Zigarettenfabrik am Questerhof, eine Schirmfabrik, einen Angelgroßhandel und „die Toledowerke, wo Waagen hergestellt wurden“.

„Ich bin ein Fleischfan“

Von der Sülzburgstraße biegen wir in die Wichterichstraße ein, begrüßen Süpers Friseurin Nahid Raispour Shirazi im Haarstudio Sülz und passieren den neuen Filet-Shop. „Ich bin ein Fleischfan. Steakfan. Aber es muss nicht jeden Tag sein.“

Wirtshaus Sölzer Klaaf, Gerolsteiner Straße 16, 50937 Köln

Haarstudio Sülz, Wichterichstraße 7, 50937 Köln

Eiscafé Firenze, Sülzburgstraße 19, 50937 Köln

Edeka Romano, Berrenrather Straße 339, 50937 Köln

Apotheke am Questerhof, Berrenrather Straße 296, 50937 Köln

Der Filetshop, Wichterichstraße 6-8, 50937 Köln

An unserer letzten Station hat Süper so oder so ein Heimspiel. „Tach zosamme“, begrüßt der kölsche Künstler die Gäste am Tresen des Wirtshauses Sölzer Klaaf. Seitdem das Lokal von Wirtin Ika geführt wird und Rolf Janzowski, Süpers Freund und Angelpartner dort Küchenchef ist, macht der Eckladen das, was man gewöhnlich brummen nennt. Dass hier nicht nur Bilder des Künstlers und Gegenstände reliquienartig hochgehalten werden, sondern dass es hier seit einiger Zeit einen Süper-Saal gibt, sei „eine große Ehre“ für ihn, betont der 78-Jährige. „Trinkste ’n Kölsch, Schatz?“, fragt der Urkölner und winkt die Bedienung herbei. Dann erzählt er von Abenden, an denen er den „Hebammen-Twist“ gegeben habe, er spricht von seinem Bruder, den man vor ein paar Monaten mit 80 beerdigt habe. „Berufsmusiker, aber wir waren grundverschieden.“

Obwohl im Sölzer Klaaf nach wie vor ein Stammtisch abgehalten wird nach dem Motto „wer kütt, der kütt“, ist das Ehepaar Süper längst nicht mehr so oft dort anzutreffen. Denn selbst kurze Wege sind Helga Süper beschwerlich geworden. Auch Abende, an denen der kölsche Jung spontan zu seiner „Flitsch“ greift, um jemandem ein Geburtstagsständchen zu bringen, gibt es kaum noch.

Das Kölsch wird gebracht. „An diesem Tisch hat schon Trude Herr gesessen“, stellt Süper fest. Sein Telefon klingelt. Es ist seine Frau. „Heute gibt es Gulasch mit Nudeln. Lecker. Da freu ich mich drauf.“

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