Widdersdorfer LandstraßeKölner Kollektiv baut Gemüse für die Gemeinschaft an

Mareile Reiners (v.l.), Tim Theobald mit Sohn Paul, Jona Klein, Judith Braun, Raphael Lion.
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Köln – Am grünen Rand von Köln einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb zum Anbau von Gemüse in Bioqualität zu eröffnen, das ist seit etwa drei Jahren der Traum von Mareile Reiners und Jona Klein aus Köln sowie Raphael Lion aus Bonn. Dafür haben sie sich auf die Suche nach geeignetem Land gemacht. Heute sind sie ihrem Ziel ganz nah, denn die drei und 15 weitere Kernmitglieder eines Kollektivs, das sich „Gemüse-Koop“ nennt, haben ein Gelände an der Widdersdorfer Landstraße gefunden – und bekommen.
„Das hat sich alles ganz überraschend ergeben“, sagt Reiners, die als Tierärztin arbeitet. „Wir kommen von hier und wollten in der Region bleiben. Also haben wir viele Klinken geputzt, aber viele Absagen erhalten.“ Bis der Besitzer eines Landstücks zwischen Widdersdorf und Lövenich den drei Großstädtern ein 2,4 Hektar großes Gelände für fünf Jahre verpachtete.
Solidarisch und gleichberechtigt
Darauf will die Gemüse-Koop nun nach dem Vorbild bereits existierender Initiativen sogenannte solidarische Landwirtschaft, kurz „Solawi“, betreiben. Das Prinzip der Solawi sieht vor, dass bei mehreren Bieterrunden Anteile verkauft werden, deren Erlös alle nötigen Anschaffungen und Investitionen finanziert. „Ein großer Anteil kostet 400 Euro – das ist zum Start als eine Mischung aus zinslosem Darlehen und Risikokapital zu verstehen“, sagt Raphael Lion, der als studierter Agrarwissenschaftler das fachliche Konzept maßgeblich ausgearbeitet hat.
In den vergangenen Wochen hat die Gruppe darum überall in Köln Informationsabende veranstaltet, um für die Idee zu werben. „Die Reaktionen waren sehr positiv und der Zulauf groß“, sagt der 33-jährige Lion. Alle 120 Anteile seien mittlerweile verkauft.
Depot-Räume gesucht
Das solidarische Anbauprinzip sieht aber auch die gleichberechtigte Teilhabe unter allen Projektmitgliedern vor. „Dafür ist es sehr wichtig, dass alle Beteiligten ihre Wünsche und Vorstellungen in das Projekt einbringen, dass sie Teil der Solawi sind und sich nicht als reine Geldgeber oder Kunden verstehen“, erklärt die 31-jährige Reiners. „Alle sind gleich stimmberechtigt, Entscheidungen müssen im Konsens entstehen.“
Außerdem müssen sich alle Solawi-Anteilseigner aktiv in die Arbeit auf den Feldern einbringen, damit das Vorhaben gelingen kann. Perspektivisch sollen Angestellte bei der Ernte mitarbeiten. „Die Mitglieder müssen in ihren Stadtteilen Depot-Räume organisieren, in denen sie sich treffen und die Ernte verteilen können“, schildert Jona Klein.
Im ersten Jahr müsse sich nun herausstellen, ob das Konzept tatsächlich genau so funktioniert, wie es geplant wurde. Das Gemüse pro Person wird nach der Anzahl der „großen Anteile“ und den gewünschten wöchentlichen Mengen errechnet – es dürfen sich auch mehrere Menschen einen Anteil teilen. Die Kosten für die wöchentliche Lieferung des Gemüses variieren zwischen 40 und 90 Euro monatlich, abhängig von der Menge. Die soziale Komponente des Projekts ist der Gruppe ein besonderes Anliegen. „Auch Menschen mit weniger Geld können sich mit kleineren Anteilen beteiligen und die selbe Menge des Ernteertrags erhalten, weil andere in der Lage und bereit sind, mehr zu zahlen“, sagt Lion. Zudem sei es möglich, den Mitarbeitern, zum Beispiel bei der Ernte, mehr als den Tariflohn zu zahlen.
Ackerfläche ist bedroht
Wenn alles klappt, entstehen im Westen Kölns also in sozialer Hinsicht faire, regionale und ökologisch angebaute Produkte. „Wir bieten Menschen die Möglichkeit, genau zu wissen, woher ihr Gemüse kommt. Das wünschen sich viele, und es ist auch für die Wissenschaft ein Weg, wie sinnvoll und schonend ökologische Landwirtschaft betrieben werden kann, statt dem Boden alles abzuverlangen“, erläutert Raphael Lion.
Ob sich das Projekt auch im Fall gelungener Planung und bei hohem Ernteertrag länger als für fünf Jahre etablieren kann, ist allerdings noch nicht abzusehen. Denn das jetzt als Ackerfläche definierte Land hat angesichts des hohen Wohnungsbedarfs reelle Chancen, in Bauland umgewidmet zu werden. Dann wäre der Verkauf zu deutlich höheren Preisen möglich und deutlich lukrativer als das jetzige Modell.
Doch damit wollen sich die Gründer der Gemüse-Koop jetzt noch nicht befassen. Noch ist auf dem Acker an der Widdersdorfer Landstraße zwar nichts zu sehen, aber schon in wenigen Monaten kommen die ersten Samenkörner in die Erde – die Vorbereitungen laufen. Mareile Reiners: „Parallel dazu bauen wir die Mitgliederverwaltung auf, kümmern uns um diverse organisatorische Fragen und entwickeln unsere Betriebsabläufe – es gibt viel zu tun.“
Weitere Beispiele
Als erstes Projekt dieser Art in Köln gründete sich der Verein „Solidarische Landwirtschaft Köln“, nicht mit der neuen „Gemüse-Koop“-Initiative zu verwechseln. Das Prinzip: Die etwa 50 Mitglieder erhalten Waren von einem Demeter-Hof in Pulheim und bewirtschaften einen Acker bei Lövenich. Dort wird gemeinschaftlich Gemüse geerntet, Erfahrungen und Experimentieren stehen im Vordergrund. Die verfügbare Gesamtfläche wird nicht jedes Jahr bewirtschaftet, damit sich der Boden erholen kann.
„Gartenglück“ ist ein großer Gemüsegarten, unterteilt in mehrere, je 100 Quadratmeter große Parzellen, auf denen jeweils dasselbe wächst. Jeder Kölner Land-Pächter des Besitzer-Paares Ivanov aus Overath hat gegen einen Jahresbeitrag die Möglichkeit, einen Sommer lang selbst Gärtner zu sein: „Gartenglück“ gehört seit 2011 dem Bioland-Verband an, es werden Gemüsearten, Kräuter und Blumen für den Eigenbedarf gepflanzt und gesät.
Der „Bio-Kurier Köln“ ist 2013 von Chris Jaeker gegründet worden und arbeitet mit dem Demeter-Vertragshändler „Landlinie“ zusammen. Der Betrieb möchte fair gehandelte, regionale Lebensmittel liefern.
Natalie Kirchbaumer und Wanda Ganders haben es sich zum Ziel gesetzt, dass Gärtnern für jedermann zugänglich zu machen. Aus diesem Grund haben Sie 2009 „Meine Ernte“ ins Leben gerufen. Mittlerweile bieten sie deutschlandweit Gemüsegärten zum Mieten an, auch in Köln gibt es einen Standort. Die Gärten hier haben sich bis zur vergangenen Saison auf der Fläche des Projektes „Gemüse-Koop“ befunden, in dieser Saison pflanzen und ernten Sie auf der anderen Seite der Baumschule.
Die „Gemeinschaftsgärten Köln“ sind Teil der urbanen Gartenbewegung in Köln. Fünf Gemeinschaftsgärten haben sich unter dem Motto „Mehr Vielfalt ins Grün“ zusammengeschlossen. Seit 2011 engagieren sich die Gemeinschaftsgärten für Umweltbildung, Klima- und Umweltschutz sowie Biodiversität und Nachhaltigkeit. Sie setzen sie sich für den Schutz bestehender und die Förderung neuer Gärten ein. Infos sind im Internet zu finden.
www.gemeinschaftsgaerten-koeln.de
Informationen über die neue Kölner Initiative „Gemüse-Koop“ gibt es auf der Internetseite des Projekts. Derzeit sind alle 120 Anteile verkauft. (ihi)