Schulnotstand in KölnSo will die Stadt eine „Jahrhundertaufgabe“ lösen

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Das Luftbild zeigt den Blick über die Stadt Köln.

Blick über Köln: Die Stadt wächst weiter und immer mehr Schulplätze werden benötigt. (Archivbild)

Die Stadt hat den Schulnotstand ausgerufen. Es fehlen in den nächsten Jahren 54 Schulen. Was die Realität schon jetzt prägt, sind „kölsche Dauerlösungen“.

Es gibt sie schon in Köln, die Schule der Zukunft: Im neuen Gymnasium Zusestraße zum Beispiel, das seit diesem Schuljahr in Betrieb ist. Dort entstand in nur zwei Jahren ein Kölner Prototyp. Statt Flurschule mit Fokus auf Frontalunterricht ist es eine moderne Clusterschule.

Die Klassen einer Jahrgangsstufe gruppieren sich offen um einen großen lichten Raum mit verschiebbaren Sitzelementen und Sitzsäcken. Hier können die Kinder in Arbeitsgruppen lernen. Die Wände sind aus Glas, es gibt viel Raum für Differenzierung und Arbeit in Kleingruppen.

120 Mehrklassen als „kölsche Dauerlösung“

So wie in der Zusestraße soll modernes Lernen künftig an allen neu gebauten Kölner Schulen stattfinden. Das Problem: Es ist ein Luxus, den nur sehr wenige der jetzigen Kölner Schülergeneration haben: Während eine kleine Zahl glücklicher Schülerinnen und Schüler an neu erbauten oder schon sanierten Vorzeigeschulen lernt, sitzt die überwiegende Zahl der Schüler in Schulen, die wahlweise aus allen Nähten platzen, stark sanierungsbedürftig sind oder beides. Oder sie lernen in Interim-Provisorien in Containern, weil ihre Schule noch nicht fertig ist.

Es ist nicht übertrieben, von einer Zweiklassengesellschaft zu sprechen. Als „kölsche Dauerlösung“ wurden in den letzten zehn Jahren mehr als 120 Mehrklassen in den bestehenden Gebäuden der Kölner Gymnasien eingerichtet, um irgendwie alle Kinder unterzubringen. 30 oder 31 Schülerinnen und Schüler pro sind Standard. An den Gesamtschulen wurden allein dieses Jahr 1000 Schülerinnen abgelehnt.

Verwaltung ruft „Schulbaunotstand“ aus

Der Schulbau ist die Achillesferse der Stadt. In Köln ist das Problem so gravierend, dass die Verwaltung selbst den „Schulbaunotstand“ ausgerufen hat: Laut dem 2020 letztmalig aktualisierten Schulentwicklungsplan brauchte Köln allein bis 2030 noch 54 neue Schulen. Davon sind bislang nur sechs – teils im Interim – realisiert. Hinzu kommt eine schier endlose Liste an Gebäuden, die erweitert und grundlegend saniert werden müssen. Die städtische Schulbaumaßnahmenliste umfasst 184 Posten.

Dass der Notstand so groß ist, hat drei Gründe: Da ist zum einen das massive Bevölkerungswachstum. Köln wächst "bis 2040 wahrscheinlich um 200.000 Menschen", konstatierte das Amt für Schulentwicklung in seinem Planungsrahmen für Raumkonzepte an Kölner Schulen aus dem Jahr 2016. Das entspricht dem Zuwachs einer Stadt wie Oberhausen. Dazu kommt die Umstellung auf G9: Im Schuljahr 2026/27 bleiben 4300 Gymnasiasten ein Jahr länger an der Schule und gleichzeitig kommen die neuen 5er nach.Es fehlen Grundstücke für den Schulbau.

Man hielt viel zu lange am Schulbau komplett in städtischer Eigenregie fest

Es wirkt sich angesichts solch riesiger Herausforderungen fatal aus, dass die Stadt viel zu spät auf dieses Problem fehlender Schulplätze reagiert hat. Die Verwaltung findet ja auch deshalb keine Grundstücke für den Schulbau, weil die Stadt sich auf Flächen proaktiv keine Vorkaufsrechte gesichert hat. Jahrelang bekamen außerdem Investoren Baugenehmigungen, ohne sicherzustellen zu müssen, dass es für die dort künftig wohnenden Kinder auch irgendwo einen Platz an einer Schule gibt.

Gleichzeitig hielt man viel zu lange am Schulbau komplett in städtischer Eigenregie fest, statt – wie in anderen Städten schon seit langem üblich – Schulbau durch General- und Totalunternehmer realisieren zu lassen. Diese brauchen von Planung bis Fertigstellung nur die Hälfte der Zeit, während es beim städtischen Bau mit der Auflage europaweiter Ausschreibungen für alle Einzelgewerke um die zehn Jahre dauert.

Auf dem Foto ist das neue Gymnasium ander Zusestraße in Köln zu sehen. Im Vordergrund ist eine Asphaltfläche mit Bänken und einzelnem Grün, im Hintergrund ein großer Kastenbau mit hohen Fenstern.

Das neue Gymnasium an der Zusestraße in Lövenich.

Statt ohne Denkverbote Schulen pragmatisch im Interim starten zu lassen und Schulbau bedingungslos Priorität einzuräumen, leistet sich Köln teilweise immer noch endlose Debatten über Standorte und zu nutzende Grünflächen. Vor allem für die Grünen geriet der Konflikte zwischen „Räumen und Bäumen“ immer wieder zur Zerreißprobe.

Immerhin kann man konstatieren: Die Stadt hat in den vergangenen Jahren Gas gegeben, um ihr Handeln auch endlich der Größe der Herausforderung anzupassen: Vor zwei Jahren beschloss der Rat das zweite Maßnahmenpaket zum beschleunigten Schulbau mit einem Investitionsvolumen von 1,7 Milliarden Euro: es umfasste 50 Baumaßnahmen an 20 Standorten.

Zusammen mit dem davor beschlossenen ersten Schulbaupaket, das 15 Großbauprojekte umfasste, läuft damit gerade das größte Schulbauprogramm in der Geschichte der Stadt. Und: Erstmals werden in diesen beiden Schulbaupaketen die Baumaßnahmen allesamt durch General- und Totalunternehmer realisiert, was die Zeit von Planungsbeschluss bis Einzug der Schule in etwa halbiert. Mit dem Gymnasium Zusestraße etwa ist das gelungen. Es wurde sogar etwas früher fertig als geplant.

Schuldezernent spricht von einer „Jahrhundertaufgabe“

„Wir haben verstanden“ ist die Botschaft. Nur: Angesichts des Notstands reicht das nicht. Nach dem Anmeldedesaster an den weiterführenden Schulen in diesem Frühjahr und der Aussage der Bezirksregierung, dass weitere Mehrklassen ohne räumliche Erweiterungen schlicht nicht mehr genehmigt werden, sprach Schuldezernent Robert Voigtsberger in diesem Jahr auch gegenüber der Politik Klartext: Die Schulplatzbeschaffung sei eine „Jahrhundertaufgabe, für die die Stadt aber nur drei Jahre Zeit hat“.

Allein für das kommende Schuljahr braucht es nämlich wieder sieben bis zwölf Mehrklassen, ohne dass eine neue Schule an den Start geht. Kurzfristig sollen zusätzliche Container aufgestellt und Büroräume in Schulnähe angemietet werden, um das irgendwie zu schaffen.

Ab 2024/25 sollen je sechs Gymnasien und Gesamtschulen entstehen

Außerdem wurde in diesem Jahr eine „Task Force Schule“ eingerichtet, die vor einigen Wochen einen „Stärkungspaket Gesamtschulen“ und einen „Stärkungspaket Gymnasien“ präsentierte: Demnach sollen nun ab dem Schuljahr 2024/25 sukzessive je sechs Gymnasien und Gesamtschulen entstehen, die größtenteils zunächst im Interim starten.

Außerdem sucht die Stadt mehrere private Investoren, die nicht nur wie bei den Generalunternehmern die Schule bauen, sondern auch die Grundstücke gleich mitbringen. Danach will die Stadt die Objekte vom Investor langfristig mieten. Dadurch erhofft man sich nicht nur schneller bezugsfertige Schulen, sondern will auch der Problematik begegnen, dass die Verwaltung in der stark verdichteten Stadt keine Flächen für Schulen mehr findet.

Kölner Schulbaugesellschaft soll für mehr Schnelligkeit sorgen

So wird derzeit etwa ein Investor gesucht für eine fünfzügige Grundschule und eine vierzügige Gesamtschule in Mülheim. Dort entstehen in einem Neubaugebiet gerade 460 Wohnungen, ohne dass bislang ein Areal für zusätzliche Schulplätze zur Verfügung stehen wurde. Langfristig sollen weitere Schulen in großen neuen Wohnbaugebieten wie etwa Deutzer Hafen, Parkstadt Süd oder Kreuzfeld entstehen.

Eigens dafür hat die Stadt jetzt eine Schulbaugesellschaft gegründet, die als 100-prozentige Tochter der Stadt fungiert. Sie soll wie Baudezernent Markus Greitemann  formuliert, als „schnelleres Beiboot“ mit fünf bis zehn Stellen in Kooperation mit den Investoren dafür sorgen, dass die Schulen dort zum Einzug der ersten Familien fertig sind.

Die Opposition im Rat hält die personelle Ausstattung für deutlich zu klein. Von einem „Schlauchboot“ statt einem „Motorboot“ spricht die SPD und die FDP befürchtet gar ein Schlauchboot ohne Luft. In der Tat gibt es Schulbaugesellschaften in anderen Städten wie Düsseldorf oder Hamburg schon seit Jahren: Schulbau Hamburg wurde 2013 ins Leben gerufen und verfügt als eigener Landesbetrieb über 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.


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