So regiert ein Kölner in Wuppertal„Ein Oberbürgermeister kann 40 bis 50 Themen managen“

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Wuppertals Oberbürgermeister Uwe Schneidewind

Wuppertals Oberbürgermeister Uwe Schneidewind

Uwe Schneidewind (Grüne) ist seit etwas mehr als zwei Jahren Oberbürgermeister der bergischen Großstadt Wuppertal. Im Interview analysiert er, warum die Zusammenarbeit zwischen Politik und Stadtverwaltung oft schwierig ist und erklärt, welche Führungskultur notwendig ist, um erfolgreich zu sein.

Herr Schneidewind, Sie sind seit zwei Jahren Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, vorher waren sie Präsident des Wuppertal Instituts und davor Präsident der Universität Oldenburg. Wie unterscheidet sich die Arbeit in einer wissenschaftlichen Einrichtung von der in einer Stadtverwaltung? Am stärksten habe ich gespürt, wie herausfordernd es ist, wenn man nicht aus dem politischen System der Stadt kommt. Weil die Arbeit ganz, ganz eng mit Vertrauen und mit einem langfristigen Beziehungsaufbau zusammenhängt. Wenn Du als völlig Fremder in dieses System kommst, dann braucht es gerade in Corona-Zeiten viel Zeit zum Aufbau dieser Grundlage, um im politischen Raum wirklich zu reüssieren. Wo stehen sie nach zwei Jahren, was haben Sie erreicht und was nicht? Wenn man ehrlich ist, dann habe ich sowohl in der Selbstwahrnehmung als auch in der Außenwahrnehmung weniger erreicht, als vor der Wahl von mir erwartet worden ist. Die vergangenen zwei Jahre waren stark durch ein Krisenmanagement geprägt. Der langfristig wichtigste Erfolg ist die erfolgreiche Bewerbung Wuppertals für die Bundesgartenschau 2031. Es gab zum ersten Mal seit 20 Jahren einen positiven Bürgerentscheid in NRW für ein Großprojekt. An der Bundesgartenschau hängen alle unsere Zukunftsthemen der 20er-Jahre wie Nachhaltigkeit und eine neue Mobilität. Sie sind zwar Oberbürgermeister, haben aber keine Ratsmehrheit hinter sich. Das Bündnis Ihrer Grünen mit der CDU ist geplatzt. Wie gehen Sie damit um?  Ich bin aktuell in gewisser Weise Oberbürgermeister und gleichzeitig oberster Oppositionsführer mit einer stabilen Mehrheit aus SPD, CDU und FDP gegen mich. Aber wir haben immerhin endlich eine Mehrheit im Stadtrat. Es gibt dadurch Berechenbarkeit und man kann mit Verlässlichkeit in Gespräche gehen. Vorher waren da zwei Blöcke, von denen keiner am Ende wirklich seine Politik eindeutig durchsetzen konnte. Aber jeder der Blöcke hatte ein hohes Bedürfnis, sich gegeneinander zu profilieren. Das hat eine Blockade erzeugt. Wenn die jetzige Konstellation am Ende dazu führt, dass wir in der Mobilitäts- und Energiepolitik und anderen Fragen vorankommen, ist das gut für die Stadt.

Ich sehe in Stadtverwaltungen eine hohe Dichte an Überzeugungstätern
Uwe Schneidewind

Das wäre auf der bundespolitischen Ebene gar nicht vorstellbar.Das ist sicher ein Vorteil der starken Sachorientierung in der Kommunalpolitik. Genau das hat mich an diesem Amt gereizt. Mich interessiert, wie für eine Stadt wie Wuppertal – bei der ich glaube, dass sie sich weit unter ihrem Potenzial verkauft – Bewegung entsteht. Die Zuschreibung von Erfolgen spielt für mich eher eine untergeordnete Rolle.

Mir geht es darum, dass Schlüsselprojekte in der Stadt wirklich vorangehen. Und wenn das in einer neuen Großen Koalition gut auf den Weg gebracht wird, hat das natürlich meine volle Unterstützung. Das ist ein spannendes Modell. Man wird am Ende der fünf Jahre auch im Vergleich zu anderen Städten sehen, welche Konstellationen sich als erfolgsträchtig erweisen. Damit eine Stadtverwaltung Erfolg haben kann, braucht sie hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und da tritt sie natürlich in Konkurrenz zur Privatwirtschaft. Wie kann man junge, hoch qualifizierte Kräfte davon überzeugen, trotzdem zur Stadtverwaltung zu kommen?Ich sehe eine hohe Dichte an Überzeugungstätern und Menschen, die sich sehr bewusst für eine Stadtverwaltung entscheiden, weil es für sie einen Wert hat, sich für eine öffentliche Aufgabe einzusetzen. Das spielt für die jüngere Generation eine zunehmend wichtigere Rolle. Eine Karriere in der Stadtverwaltung ermöglicht zudem einen extrem vielfältigen Wechsel von Berufsbildern, aber Du bleibst immer beim gleichen Arbeitgeber und in derselben Stadt. In Köln sind in der Stadtverwaltung trotzdem viele Stellen offen, es ist schwierig, Stellen nachzubesetzen.

Müssen die Kommunen ihre Vorzüge als Arbeitgeber stärker bewerben? Das ganze Thema Personal-Marketing und Employer-Branding ist weit unterentwickelt. Man hat in der Regel Personalämter, die administrativen Vorgänge und die Bewerbungen verwalten. Das entwickelt sich Stück für Stück weiter und braucht mehr Kooperation zwischen Städten. Man könnte für den öffentlichen Dienst in Kommunen eine geniale, mitreißende Kampagne mit guten Filmen machen. Das kann sich keine einzelne Stadt finanziell erlauben, aber wenn das mehrere Großstädte zusammen machen, wäre das möglich.

Warum dauert es eigentlich in der kommunalpolitischen Arbeit immer so lange, bis Verwaltungen politische Beschlüsse umsetzen?Da gibt es unterschiedliche Gründe. Gelegentlich fallen in der Politik aus Profilierungsgründen Entscheidungen, die aus einem professionellen Verwaltungsblick nicht sinnvoll sind. Verwaltung verfügt dann über aktive Mechanismen, das ins Leere laufen zu lassen. Das kann durch einfaches Aussitzen passieren oder über den Hinweis, dass man die Entscheidung zwar für extrem relevant hält, aber leider überhaupt keine Ressourcen vorhanden sind.

Oft sind aber reale Personalengpässe ein Problem. Zudem ist Verwaltung in Zuständigkeiten organisiert und das macht die Verantwortungsübernahme bei bereichsübergreifenden Themen schwierig. Jeder sieht die Aufgabe, die eigentlich erledigt werden müsste, stellt aber fest, dass das ja nicht wirklich in seine Zuständigkeit fällt.

Wie lässt sich das verbessern?Ich brauche eine Führungskultur, bei der jeder weiß, ich kann mich auf meine Führungskraft verlassen, auch wenn ich in einen Grenzbereich hineingehe, Verantwortung und damit auch Risiken übernehme. Damit ich nicht alleine den Schwarzen Peter habe, wenn irgendwas schiefgeht. Die Frage lautet, wie organisiere ich Verantwortlichkeit über Ressortgrenzen hinweg? Das ist extrem schwierig in einem Geschäft, in dem man selten für Positives gelobt, aber sofort abgestraft wird, wenn Fehler passieren.

Da sind wir auch bei der Rolle des Oberbürgermeisters. Wenn er oder sie diese Führungskultur nicht verkörpert, dann hat man ein echtes Problem.Absolut. Gleichzeitig kommt man als Oberbürgermeister natürlich an Kapazitätsgrenzen. Ich kenne viele Hundert Vorgänge, bei denen es gut wäre, als Oberbürgermeister einmal alle an einen Tisch zu holen, eine Entscheidung herbeizuführen und hinterher zu schauen, ob das auch umgesetzt wurde. Real geht das nicht. Ein Oberbürgermeister kann vielleicht 40 bis 50 Themen managen. Daher muss man eine Führungskultur der Verantwortungsübernahme schaffen.

Der Stadtrat besetzt Dezernenten oft nach politischem Proporz.
Uwe Schneidewind

Wie lassen sich Prozesse in der Kommunalpolitik verbessern?Das A und O ist es, eine Auswahl von Führungskräften im Verwaltungsvorstand zu haben, die in einer guten Weise zusammenarbeiten. Der Oberbürgermeister hat laut der NRW-Gemeindeordnung aber kein Mitspracherecht bei der Auswahl von Dezernenten. Der Stadtrat besetzt oft nach politischem Proporz. Und es erschwert die Zusammenarbeit, wenn die jeweilige politische Profilierung wichtiger wird als die sachorientierte Zusammenarbeit im Stadtvorstand.

Wäre es sinnvoll, die Gemeindeordnung dahingehend zu verändern, dass Oberbürgermeister in NRW mehr Spielraum bekommen?Dass das Modell aus einem ehrenamtlichen Oberbürgermeister und einem Oberstadtdirektor abgeschafft wurde, führt zu einer strukturellen Überlastung der Oberbürgermeisteraufgabe. Ein Oberbürgermeister ist eigentlich voll ausgelastet mit der Managementaufgabe, eine mehrere Tausend Mitarbeitende umfassende Verwaltung zu führen. Dazu kommen die Repräsentationsaufgaben, die ebenfalls alleine schon den Tag füllen könnten. Es ist aus meiner Sicht nicht die Lösung, noch mehr Macht in die Hand der Oberbürgermeister zu geben, sondern die Arbeit im Verwaltungsvorstand kollegial und sachorientiert auszurichten, wie das in südlichen Bundesländern oft der Fall ist. Dafür wäre es sinnvoll, dem Oberbürgermeister bei der Auswahl der Dezernenten ein höheres Mitspracherecht zu geben.

Im Stadtrat sitzen fast ausnahmslos Ehrenamtler, die neben ihrem Job Tausende von Seiten Verwaltungsvorlagen durcharbeiten sollen und am Beispiel von Köln über einen Milliarden-Haushalt entscheiden. Müsste der Stadtrat nicht professioneller werden? Ich glaube, eine weitere Professionalisierung und eine volle Bezahlung für Ratsmitglieder würde das Problem nicht unbedingt lösen. Wenn jemand mehr zeitliche Ressourcen hat, bedeutet das ja nicht automatisch, auch die Fähigkeit zu haben, die Themen in all ihrer Komplexität zu bearbeiten. Viel wichtiger ist eine Haltung, in der kommunale Sachfragen professionell aufbereitet und nicht künstlich politisiert werden.


Uwe Schneidewind, geboren am 8. Juli 1966 in Porz, ist seit dem 1. November 2020 Oberbürgermeister der Großstadt Wuppertal. Er studierte von 1986 bis 1991 Betriebswirtschaftslehre an der Universität Köln. Von 2004 bis 2008 war er Präsident der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Vom 1. März 2010 bis zum 30. April 2020 war Schneidewind Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Von 2013 bis Februar 2020 war er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen. Er ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.

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