Zärtlichkeit in jedem Pinselstrich
Sülz – Es gibt sie noch und immer wieder: Diese Maler, die nicht in erster Linie auf die Experimente der klassischen Moderne und künstlerischen Avantgarde blicken, sondern weit zurück auf die malerische Tradition der alten Meister.
Das heißt nicht, dass sie nicht etwa ein paar Neuerungen und Variationen in die klassische Mal- und Kompositionsauffassung hinein brächten. Aber es bedeutet, dass sie in der Kontinuität einer sorgfältigen realistischen Darstellung bleiben, die sich mit großer Einfühlsamkeit elementaren menschlichen Themen widmet. So wie Corinna Weiner, deren Gemälde in einer Ausstellung in der Freiraum-Galerie vieles von dem zeigen, das den Menschen so schön, so verletzlich, so geheimnisvoll erscheinen lässt. Wir sehen das Kind, das mit ungezwungenen Schritten am Meeresstrand die Welt entdeckt. Daneben, auf einem anderen Bild, bewegen sich Läufer entlang der Wellenlinien, die an Land gespült werden, genau an der Grenze zu einer unergründlichen Tiefe.
Wir sehen den Schlafenden, der zugleich ein Träumender ist, im Moment größter körperlicher Besänftigung. Voller Ruhe auch die Frau im Nachthemd, deren Hände in ihrem Schoß liegen. Wir sehen den Körper einer Frau, die, im Wasser stehend, ihren Rock anhebt. Ganz nach dem Motiv der im Fluss badenden Frau auf einem Gemälde von Rembrandt aus dem Jahr 1654.

Ein Schlafende, Hände oder ein geraffter Rock sind typische Motive der Malerin Cornelia Weiner.
Copyright: Jürgen Kisters
Liebe, Zärtlichkeit und erotischer Zauber in jedem Pinselstrich. Häufig malt die in Berlin lebende Künstlerin (Jahrgang 1977) Körperausschnitte. So den leicht geöffneten Mund einer jungen Frau mit kräftig roten Lippen. Verrät der Mund eines Menschen bereits seine konkrete Befindlichkeit, möglicherweise sogar seine Persönlichkeit?
Ein anderes Mal malt Weiner die stark geäderte Hand einer Frau, die ihre andere Hand berührt, um sich selbst zu fühlen. Können wir das Alter, die Empfindsamkeit, die Lebensanstrengung eines Menschen an seinen Händen erkennen? Und wie entwickelt sich das eigene Körperempfinden, wenn – wie in einer bildlichen Darstellung – Käfer über den nackten Oberkörper einer Frau kriechen?
Mysterium und Beklemmung liegen in einigen Gemälden von Corinna Weiner dicht beieinander. Wie im Motiv der feierlich gekleideten Kinder, die während der Santa-Lucia-Zeremonie mit brennenden Kerzen in den Händen unsicher eine lange Treppe hinunter gehen. Oder wie in dem unheimlichen Porträt einer jungen Frau, deren Gesicht lediglich vom Licht ihres Smartphone-Displays beleuchtet wird.

Ein Schlafende, Hände oder ein geraffter Rock sind typische Motive der Malerin Cornelia Weiner.
Copyright: Jürgen Kisters
Man muss aufmerksam und genau hinschauen, und man wird möglicherweise mehr über einen Menschen erfahren als über all die vielen Worte, die häufig vom Wesentlichen ablenken. Die Menschen ziehen gerne die Täuschung einer achtsamen Betrachtung vor, weil sie diese als zu anstrengend, zu intensiv oder zu entlarvend empfinden. Nur die wenigsten wollen wissen, dass sich im Gefieder eines Engelsflügels der Teufel eingenistet hat, wie ein Bild Weiners zeigt. Oder dass der Gedanke hinter der Schädeldecke einer jungen Frau aus ihrer Erscheinung eine vage Angelegenheit werden lässt.
Selbstverständlich enthält auch Weiners Malerei die Kraft der Täuschung, die in aller bildnerischen Darstellung liegt. So verwandelt die Künstlerin mit ihren Farben nüchterne Blicke auf Menschen in Poesie und Schönheit. Wir alle wissen, das menschliche Leben hat nicht selten einen banalen und sogar hässlichen Ausdruck. Die menschliche Erscheinung kann trist und zerrissen, aber auch schön und harmonisch sein. Indem Corinna Weiner ganz in der Tradition alter Meister an diese Dimension des Lebens erinnert, setzt sie der Fetzenhaftigkeit, formalen Tristesse und Theorienbefrachtung einer noch immer an der Avantgarde-Idee orientierten zeitgenössischen Kunst ein ebenso einfaches wie wirksames Gegenbild gegenüber. Nur halbherzig ist die Künstlerin bemüht, bisweilen mit ein paar expressiven Farbhuschern kleine Brüche zu erzeugen. Und das heißt nichts anderes, als dass sie auf die Kraft einer Anschauung vertraut, in der die Schönheit und die Rätselhaftigkeit des Menschen eine Einheit ergeben. Freiraum Galerie, Gottesweg 116 a, geöffnet Dienstag bis Donnerstag 16-18 Uhr, bis 31. August

Ein Schlafende, Hände oder ein geraffter Rock sind typische Motive der Malerin Cornelia Weiner.
Copyright: Jürgen Kisters