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Zollstock wird Schaufenster zur Welt

Lesezeit 4 Minuten

Erstmals wird das New Media Fest, das Wilfried Agricola de Cologne vor 20 Jahren gründete, in Köln an einem öffentlichen Ort gezeigt. Im Programm mit digitalen künstlerischen Beiträgen sind kurze Filme von Künstlern aus aller Welt zu sehen (r.).

Zollstock – Auf der Einladungskarte zur Ausstellung „More than 8“, der die Kultursonntage in der Halle Zollstock im Monat März bestimmt, stehen die Namen von acht Künstlerinnen aus dem Rheinland: Dana Fabini, Inga Franke, Letitia Gaba, Beate Gördes, Rodica Lomnasan, Ellen Muck, Isabel Ristau und Leni Scholz. Allerdings sind ihre Werke nur ein kleiner Teil eines äußerst umfangreichen und komplexen Kunstprojekts, das dort in den kommenden Wochen präsentiert wird. Der Künstler und Kunstvermittler Wilfried Agricola de Cologne hat es vor 20 Jahren initiiert und über die digitalen Wege des Internets in die ganze Welt ausgeweitet.

„New Media Fest“ heißt sein Projekt, in dem die Kölner More-than-8-Veranstaltung im Jubiläumsjahr nur eine von mehreren Dutzend in einem weltweiten Ausstellungsreigen ist. Gezeigt werden an den Kultursonntagen Non-Stop-Projektionen von filmischen Beiträgen, die auf den künstlerischen Möglichkeiten digitaler Technik gründen. Bewusst vermeidet der ebenso neugierige wie fleißige Kurator Wilfried Agricola de Cologne die Begriffe Video und Kurzfilm für die filmischen Beiträge, weil er in seiner Auswahl von Beginn an Wert darauf gelegt hat, dass es sich um Beiträge handelt, die auf ihre spezifische Weise nur im Medium der digitalen Technik möglich sind. So zieht er den englischen Begriff „Art and moving images“ vor.

„Ich wollte vor 20 Jahren eine Plattform für Künstler schaffen, die ausschließlich mit den Neuen Medien arbeiten,“ erläutert er. Flankiert werden die Filmprojektionen in der Halle Zollstock durch Literaturlesungen und Diskussionen. Im Kern der Veranstaltung steht die Absicht, die digitalen Kunstwerke, die in der Regel nur virtuell im Internet verbreitet werden, in einen realen, physischen Raum zu bringen. „Am Anfang wollte ich tatsächlich nur virtuelle Kunstwerke im virtuellen Raum zusammenbringen. Aber sehr bald habe ich gemerkt, wie wichtig die Diskussion von Menschen ist, die sich die filmischen Beiträge gemeinsam an einem Ort anschauen,“ sagt Wilfried Agricola de Cologne.

Erstmals wird das New Media Fest, das Wilfried Agricola de Cologne vor 20 Jahren gründete, in Köln an einem öffentlichen Ort gezeigt. Im Programm mit digitalen künstlerischen Beiträgen sind kurze Filme von Künstlern aus aller Welt zu sehen (r.).

Besonders beeindruckt hat ihn ein Festival in Mexiko-City. „Nach einem achtstündigen Projektionsmarathon, bei dem ohne Pause Filmbeiträge von drei bis sechs Minuten Länge gezeigt wurden, ohne dass jemand aus dem Publikum den Saal verließ, wollten die Anwesenden im Anschluss auch noch zwei Stunden diskutieren,“ erinnert er sich.

Kurioserweise fanden solche öffentlichen Vorführungen in den vergangenen Jahren in den unterschiedlichsten Städten und Ländern statt, doch nie in Köln, wo Wilfried Agricola de Cologne wohnt und von wo das Projekt seinen Ausgang nahm. Der „Macher“ ist enttäuscht darüber, hat er doch mehrfach versucht, mit den Verantwortlichen der verschiedenen Einrichtungen in Köln zusammenzuarbeiten. „Keinen hat das Projekt interessiert,“ sagt er. „In allen anderen Städten gibt es für Künstler eine städtische Einrichtung als Plattform, wo das New-Media-Fest stattfinden konnte, nicht so in Köln. War Köln einmal das internationale Zentrum der zeitgenössischen Kunst, ist es zurzeit, was die Kunst angeht, tiefste Provinz“, bilanziert er.

Der Künstler schätzt an Köln in erster Linie die günstige geografische Lage im Zentrum Europas. „Von Köln aus kommt man überall gut hin,“ sagt er. Hatte er seine Fühler zunächst nur online ausgestreckt, hat er im Lauf der vergangenen Jahre viele Künstler in zahlreichen Ländern kennengelernt, deren Aktivitäten auf digitalen Medien gründen. Besonders berühren ihn die Beiträge, die aus spanischsprachigen Ländern und solche, die aus Israel kommen. Er stellt fest: „Auffallend sind die Vielfalt der künstlerischen Ansätze und die formalen Unterschiede, mit der die dortigen Künstler ihre Erfahrungen und Botschaften zum Ausdruck bringen.“ Diese fehlende Vielfalt, die in professionellen technischen Standards und Routine untergeht, ist auch seine größte Kritik an den künstlerischen Beiträgen in Köln.

Seine eigene Lebensgeschichte ist ihm dabei ein wichtiger Maßstab. Ende der 1990er Jahre wurde ein Anschlag auf seine Kunstausstellung verübt , die er zum Thema „Holocaust“ geschaffen hatte.

Aufgrund dieses Anschlages war de Cologne in ein Koma gefallen. „Neun Monate lag ich im Koma, und man hatte mich schon aufgegeben. Und als ich dann aufwachte, musste ich alles neu lernen,“ sagte der heute 70-Jährige. Um seine intellektuellen Fähigkeiten wieder zu entwickeln hatte er damals Programmiersprachen am Computer gelernt. Darüber hatte er nicht nur den künstlerischen Zugang zu den digitalen Medien gefunden, sondern zugleich das Verlangen, nur Kunst zu fördern, die aufrichtig eine existenzielle Botschaft vermitteln will.

Ähnlich sieht das Letitia Gaba, eine der Kölner Künstlerinnen, die am Ausstellungsprojekt beteiligt ist. Sie ist nicht nur auf der digitalen Plattform vertreten. Am Sonntag, 22. März, liest sie um 16 Uhr aus ihrem kürzlich erschienenen Buch „Outsalder“. Sie beschreibt darin ihre seelisch dramatischen Erfahrungen als Kind eines in Rumänien politisch verfolgten Vaters, der mit der Familie in den 1980er Jahren nach Deutschland floh. Es ist eine Geschichte über die Unmöglichkeit, den elterlichen Traumata zu entgehen, und die Zerrissenheit der Migration.

Halle Zollstock, Gottesweg 79, geöffnet an allen kommenden Sonntagen (15., 22. und 29. März) von 14-18 Uhr.

Wilfried Agricola de

Cologne, Künstler