Von der Maus zum Imperium100 Jahre Disney – warum der Konzern zum Jubiläum unter Druck steht

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Die Staturen von Walt Disney und Mickey Mouse in der Disney World. Im Hintergrund überfliegen Flugzeuge das Cinderella Schloss.

Der Disney-Konzern wird 100 Jahre alt. Zum globalen Imperium gehört auch die Disney World.

Am 16. Oktober 1923 wurde der Disney-Konzern gegründet. Eine Reportage aus einem Unterhaltungsimperium, das sich im Krisenmodus befindet.

Es ist ein sonnig-heißer Nachmittag in Walt Disney World in Florida, der gewaltigsten Freizeitmaschine der Welt, groß wie 11.000 Fußballfelder. Vier Disney-Themenparks finden sich hier, 36 Hotels, Golfplätze, eine Shoppingmall. Und mittendrin im „Magic Kingdom“, dem brodelnden Königreich des Spaßes mit den fürstlichen Preisen: Shelley und ihre Mutter.

„Na?“, fragt Shelleys Mutter, „wer hat heute einen wunderbaren Tag mit dir verbracht, Shelley?“ – „Das warst du, Mama.“ – „Und wer wird dir heute Abend ein wunderbares Abendessen spendieren?“ – „Du, Mama.“ Shelley trägt Mickymaus-Ohren aus Plastik. Sie kennt ihre Pflichten als Kind unter Erlebnisdruck: Einmal pro Stunde muss sie ihrer Mutter bestätigen, wie „marvelous“ alles ist. Denn Spaß zu haben ist Gesetz an diesem Pilgerort des Fun-Kapitalismus, wo ein Mutter-Kind-Wochenende gut und gerne 2500 Dollar kostet.

Walt Disney Company: Der berühmteste Medien- und Entertainment-Konzern der Welt

Disney World. Eine blinkende, blitzsaubere Monstrosität mit knapp 60 Millionen Besuchern pro Jahr. Es ist eine Art jugendfreies Las Vegas – und das Kernland der Disney-Traumfabrik mit heute 230.000 Angestellten. Zu Disney gehören Hollywoodstudios, Themenparks, „Star Wars“, das Marvel-Universum, die „Simpsons“, Musicals, TV-Sender, der Sportkanal ESPN, Kreuzfahrtschiffe, Disney-Shops und der drittgrößte Streamingdienst der Welt. Die stilisierte, handschriftliche Signatur, die Walter „Walt“ Elias Disney vor 100 Jahren in Los Angeles unter das Gründungsdokument seiner Firma setzte, steht als Firmenlogo heute auf Platz sieben der wertvollsten Marken der Welt.

„Können Sie sich eine Person vorstellen, die das amerikanische Leben im 20. Jahrhundert stärker beeinflusst hat als Walt Disney?“, hat Richard Nixon mal gefragt, bis zur Watergate-Affäre 1974 der 37. Präsident der USA. „Amerika wurde auf Walt Disneys Träumen aufgebaut, und das ist die Wahrheit.“ Du kannst dir deine Fans eben nicht aussuchen.

Walt Disneys Vision: der heimelige Zauber des Trivialen

Walt Disney war Nixons Bruder im Geiste. Am 2. Dezember 1901 in Chicago geboren und in der Kleinstadt Marceline in Missouri aufgewachsen, war er wie Nixon kein Visionär. Disney befriedigte bloß äußerst clever die tiefe Sehnsucht seiner Landsleute (und seine eigene) nach einer Idylle, die es in Wahrheit niemals gegeben hat. Nach einer Welt, in der Gut und Böse klar getrennt sind, der Humor „sauber“ ist und niedliche, großäugige Tierchen über Wiesen huschen. Seine große Entdeckung vor einem Jahrhundert war der heimelige Zauber des Trivialen.

Das Konservative, also wörtlich „das Bewahrende“, und das sentimentale Heimweh nach ewiger Jugend waren seine Lebensthemen. Für Marktforschung brauchte Disney nur sich selbst. „Ich bin Folklore“, sagte er einmal. „Ich bin Apfelkuchen, Vanilleeis, Popcorn und ein Lied, das jeder summt. Und Mickey Mouse ist mein Prophet.“

Da war dieser „Apfelkuchen“ längst eine lebende Legende. „Wenn Walt in der Kantine auftauchte, sprachen plötzlich alle Leute zwei Oktaven höher“, erzählte ein Disney-Mitarbeiter. „Die Frauen klangen wie Minnie Mouse und die Männer wie Schweinchen Dick.“ Seine Anzüge aber kaufte er stets von der Stange. Unordnung ertrug er nicht. Und immer, wenn er irgendwo das Lied der Vogelfrau aus dem Film „Mary Poppins“ hörte, fing er an zu weinen.

Walt Disney: Seine Widersprüchlichkeiten prägen den Konzern bis heute

Gleichzeitig galt er als knauseriger, kontrollsüchtiger Chef, als skrupelloser Ideendieb, kompromissloser Antikommunist und angeblicher Nazi-Sympathisant, der sich noch 1938 mit Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl traf, als Hollywood sie längst boykottierte. Andererseits lieferte Disney auch Anti-Nazi-Zeichentrickfilme wie „The Fuehrer“s Face“ von 1943, wo ein zorniger Donald gegen einen Hitler mit Clownsnase kämpft. Solche Widersprüchlichkeiten prägen den Konzern bis heute. Bis hin zu der Seltsamkeit, dass eine Ente wie Donald Duck natürlich keine Gans wie Gustav zum Cousin haben kann.

Tagsüber schlurfte Disney gern mit Ölkännchen und Bahnermütze durch seinen Garten, wo er sich eine Modelleisenbahn hatte bauen lassen. Ein Tierfreund mit Ölkanne, den die nimmermüde PR-Maschinerie heute zur gutmütigen Lichtgestalt „Onkel Walt“ verklärt.

Märchenonkel oder Missionar? Vor allem war der Mann ein sentimentaler Weltflüchtling, dessen Karriere schleppend begann. Nach der ländlichen Idylle von Marceline – die ihm später als Vorlage für die „Main Street“ seines Disneylands diente – zog die Familie 1911 nach Kansas City, wo Walt früh um 3.30 Uhr Post austrug, in einer Marmeladenfabrik Äpfel pürierte und sich erfolglos als politischer Karikaturist beim „Kansas City Star“ bewarb. „Zu brav“, hieß es. Ihm fehle der „zynische Biss“. Mit seinem Kumpel Ub Iwerks zeichnete Disney dann schwarz-weiße Werbefilme. Aber das Geschäft stockte.

Und so stand Disney eines Tages, 23 Jahre alt, in einem „abgewetzten Mantel“ und mit „40 Dollar in der Tasche“ (so will es die Firmenlegende) am Bahnsteig, auf dem Weg ins gelobte Land Kalifornien. In der Garage seines Onkels in Los Angeles richtete er sich mit Bruder Roy ein kleines Studio ein. Sie produzierten Trickfilme für örtliche Kinos, zuerst „Alice in Cartoonland“, dann „Oswald, The Lucky Rabbit“. Ein großer Zeichner war er nie. Aber eine gezeichnete Figur zum Leben zu erwecken, sie zu „animieren“, also wörtlich „mit einer Seele zu versehen“, war sein Metier.

Die Geburtsstunde von Mickey Mouse

Während einer Zugfahrt will er die Idee seines Lebens gehabt haben. Plötzlich habe er sie vor Augen gehabt, „diese neckische, fröhliche Gestalt mit Samthose und Perlaugen“, die von Charlie Chaplins „Wehmut“ umweht sein sollte. „Mortimer Mouse“ sollte sie zuerst heißen, doch seiner Frau erschien der Name „zu prätentiös“. „Call him Mickey“, soll sie gesagt haben. Und das tat er.

Schon der dritte Mausfilm „Steamboat Willie“ war 1928 eine Sensation – der erste Zeichentrick-Tonfilm der Geschichte, mit einem scheppernden Soundtrack aus Kuhglocken, Pfeifen, Bratpfannen, Kastagnetten und Pauken. Die Firma explodierte. Sechs Mitarbeiter hatte Disney damals. Zehn Jahre später waren es 750. Der Humor war simpel, die Mexikanerhüte waren riesig, die Tiere geschmeidig, die Dialoge sparsam, die unschuldigen Geschichten frei von jeder Selbstironie und Zweideutigkeit.

„Es gibt schon genug Hässlichkeit und Zynismus in der Welt“, befand Disney. Mickey wende sich „an jenen unsterblichen, kostbaren, alterslosen Teil in uns alltagsgeplagten Menschen, der die Ursache dafür ist, dass wir mit Kinderspielzeug spielen und völlig naiv über alberne Dinge lachen, in der Badewanne singen und träumen. Sie wissen: den Mickey in uns.“

In aller Welt entdeckten Menschen den Mickey in sich: Der englische König Georg V. ging nur ins Kino, wenn ein Mickey-Mouse-Film lief. Königin Mary verpasste den Fünf-Uhr-Tee, weil sie das Ende eines Mickey-Films abwarten wollte. US-Präsident Franklin D. Roosevelt zeigte Mickey-Filme im Weißen Haus. Benito Mussolini, Joseph Goebbels und Adolf Hitler liebten Mickey gleichermaßen. Nur in Russland fand Mickey keine Gnade. Dort erfand man als Gegenheld ein Stachelschwein namens Yozh mit marxistisch-leninistischer Grundhaltung.

Früh begann Disney, die kulturelle Schatztruhe der Menschheit nach disneyfizierbarem Märchenstoff zu durchforsten. Er traf auf „Pinocchio“ (Italien), „Bambi“ (Österreich), „Schneewittchen“ (Deutschland), „Alice im Wunderland“ (England), „Cinderella“ (Frankreich) und „Peter Pan“ (Schottland). Disney – das war schon bald globalisierte Märchenkultur, ein klebriges Kultur-Amalgam aus allerlei irdischen Legenden. Und nichts liebte Walt Disney dabei so sehr wie den „Disney Dust“, den virtuellen Glitzerstaub, mit dem seine Zeichner allerlei Zaubermomente garnierten. „Klar mag ich Kitsch“, sagte er einmal. „Aber wissen Sie was? Millionen von Amerikanern geht es genauso.“

Er sah sich stolz als Antiintellektueller. „Dieser Film wird Beethoven berühmt machen“, sagte er 1940 über das psychedelisch-bunte Filmexperiment „Fantasia“ mit Mickey als Goethe“schem Zauberlehrling.

Walt Disney schafft mit Mickey Mouse einen globalen Superstar

Mickey Mouse wurde ein globaler Superstar – ob als Mikki Hiiri (Finnland), Topolino (Italien), Peliukas Mikis (Litauen), Mickymaus (Deutschland) oder Musse Pigg (Schweden). Aber natürlich nervt diese Maus gewaltig. Wenn sie wieder Detektiv spielt mit dieser Klugscheißermiene. Wenn sie den armen Goofy alt aussehen lässt. Mickey Mouse ist ein Streber, ein spießiger Musterknabe, dem man Stinkbomben in die Aktentasche stecken möchte. Der eigentliche Star des Disney-Kosmos ist Donald Duck, der flauschige Wutbürger aus Entenhausen mit seinem für eine Ente ohne Hose erstaunlichen Selbstbewusstsein. Walt Disney hätte einen Tiger als Antihelden wählen können oder einen Löwen. Er entschied sich für einen alleinerziehenden Erpel ohne Genitalien.

Der prüde Mr. Disney schuf einen sexlosen, artigen, moralisch (vermeintlich) untadeligen Kosmos ohne jede Bürzelerotik, dessen Mitarbeiter ein spezielles, aseptisches Lächeln perfektionierten. Niemand lächelt so übergriffig wie eine Disney-Mitarbeiterin im Cinderella-Kleid.

Disneys Frauenbild – es mangelt an starken Identifikationsfiguren

Niedlich, hilflos und schutzbedürftig – das war das Frauenbild, das der Konzern über Jahrzehnte propagierte, auch wenn er jüngeren Königstöchtern wie Anna in „Frozen“ jüngst mehr Selbstständigkeit zubilligte. Prinzessin sein heißt in der industriell unterfütterten Fantasie vieler kleiner Mädchen noch immer: umworben und sorglos sein, wunderschön und beliebt. Am Ende geht es immer darum, als schutzbedürftiges Wesen „befreit“ zu werden: aus dem Turm eines bösen Zauberers, aus den Klauen des Drachen oder aus den Fängen der Erwerbsarbeit. Lebensziel: Unmündigkeit. Da nützt es wenig, dass Disney in den vergangenen Jahren versuchte, mit Prinzessinnen wie Merida oder Mulan royale Trotzköpfe zu etablieren. Alle 15 bisherigen Disney-Prinzessinnen folgen äußerlich dem vertrauten Ideal: hübsches Gesicht, schlanke Taille, große Augen, kleine Nasen, langes Haar. Die erste dunkelhäutige Prinzessin kam erst 2009 – im letzten handgezeichneten Disney-Film: Tiana in „Küss den Frosch“. Die meiste Zeit über freilich war Tiana als grüner Frosch unterwegs.

Mädchen mangelt es bis heute an starken Identifikationsfiguren, die nicht beim Gehen rascheln. Das gilt nicht nur bei Disney. „Wir leben in einer Welt, die jedem weiblichen Wesen, ob drei oder 30 Jahre, einredet, der sicherste Weg zum Glück sei es, Cinderella zu werden“, schreibt die US-Autorin Peggy Orenstein in ihrem Bestseller „Cinderella Ate My Daughter“. Mädchen waren in Disneys Welt allenfalls niedliches Beiwerk. Elfen ohne Brüste. Als die Disney-Zeichner es 1989 endlich wagten, „Arielle“, der Meerjungfrau, eine halbwegs frauliche Figur zu verpassen, schrie die erzkonservative US-Kundschaft Zeter und Mordio. Das „Arielle“-Videocover wurde gar verboten, weil einer der Türme des Schlosses im Hintergrund bei ganz genauem Hinsehen (und ungünstiger Sozialisierung) mit einem Penis verwechselt werden konnte.

Walt Disneys Produktionen: damals zu obszön, heute zu politisch korrekt

Heute dagegen schimpft das rechtskonservative Amerika aus ganz anderen Gründen auf den Konzern: Er ist ihnen zu politisch korrekt. Rechte Kommentatoren taten empört, als in der jüngsten Realverfilmung von „Arielle“ die schwarze Schauspielerin Halle Bailey die Titelrolle spielte. Floridas Gouverneur Ron DeSantis zürnte über das angeblich „woke Disney“. Die ikonische US-Marke Disney wird zum inneren Feind Amerikas? Wie ernst das neue, diversere Disney seine frische Ausrichtung meint – oder ob man sich vor allem aus ökonomischen Gründen dem Zeitgeist annähert –, ist noch nicht entschieden.

Gar nicht gern spricht man bei Disney über die Jugendsünden des Konzerns. Dazu gehört der Film „Onkel Remus Wunderland“ („Song of the South“), der 1946 das Schicksal der Südstaatensklaven übel beschönigte und heute im Konzerngiftschrank lagert. Dazu gehören auch die rassistischen Karikaturen in „Aristocats“ oder im „Dumbo“-Film von 1941. Disney behilft sich in seinem Streamingdienst Disney+ mit einer warnenden Texteinblendung. Dort heißt es vor schlecht gealterten Klassikern: „Anstatt diese Inhalte zu entfernen, wollen wir ihre verletzende Wirkung anerkennen und daraus lernen.“

Die Disney-Maschine [...] zwingt auf diese Weise jedermann die gleichen lebensbestimmenden Träume auf. Unter kapitalistischen Vorzeichen betrachtet ist sie ein wahres Wunderwerk, in kultureller Hinsicht hingegen im Wesentlichen ein Grauen
Richard Schickel

Der Ruf eines kühl kalkulierenden Verführers aber klebt am Unternehmen. „Niemand ist je durch einen Mickey-Mouse-Film weicher geworden oder hat hinterher den Wunsch verspürt, einem Armen ein Glas Wasser zu reichen“, hat Autor E. M. Forster geschrieben. Schon 1968 tadelte Richard Schickel in der bisher stärksten Disney-Biografie die normative Kraft der Disney-Ware: „Im Wesentlichen erfüllt die Disney-Maschine den Zweck, die zwei kostbarsten Dinge der Kindheit zu untergraben – nämlich ihre Geheimnisse und ihre Verschwiegenheit“, schrieb er. „Und sie zwingt auf diese Weise jedermann die gleichen lebensbestimmenden Träume auf. Unter kapitalistischen Vorzeichen betrachtet ist sie ein wahres Wunderwerk, in kultureller Hinsicht hingegen im Wesentlichen ein Grauen.“

Theodor W. Adorno befand, dass Donald seine Prügel vor allem einsteckte, um das Publikum an die metaphorischen Prügel durch einen unterdrückerischen Kapitalismus zu gewöhnen: Umerziehung im Gewand der Unterhaltung. Carl Barks“ Cartoonkunst als verschleierte Dollarpropaganda? Als politische Perfidie hätten die Storys wohl kaum Erfolg gehabt. Das Geheimnis lag eher darin, dass die Entenhausener Erlebniswelt universale Gültigkeit besitzt. Mickey, Donald, Goofy, Gustav und Co. verkörpern die Phänotypen der modernen Gesellschaft.

Filme und Serien nehmen Einfluss auf unser kollektives Gedächtnis

Disney, der 1966 an Lungenkrebs starb, mag das Prinzip der universalen Weltbeglückung erfunden haben. Aber Schickels Kritik trifft heute viele Konkurrenten – von Netflix bis Amazon Prime. Filme und Serien füttern und verfälschen unser Erinnern, sie prägen maßgeblich mit, was Menschen womit assoziieren. Filmbilder aber sind immer auch ein Angriff auf die menschliche Imaginationsfähigkeit, denn maßgeschneiderte Formatware umzäunt zwangsläufig die eigene geistige Freiheit.

Disney hat dem Publikum das zuckersüße Angebot gemacht, sich der Realität zu entziehen. Damit war er nichts weniger als der Wegbereiter einer televisionären Monokultur. Hochglanzserien sind das wichtigste Kulturformat des 21. Jahrhunderts. Aber sie müssen in möglichst vielen Märkten funktionieren und dafür zwangsläufig regionale Besonderheiten verwässern. Was Brasilien mag, sollte besser auch Bulgarien mögen. Netflix ist viel weniger von Idealismus, Reinheitswahn, Missionsdruck und Gottesfurcht getrieben als Disney. Am Ende aber droht dasselbe: kulturelle Verödung durch ein Geschmacksdiktat. Auch deutsche Spielzeugläden gleichen inzwischen Merchandising-Shops großer Hollywoodstudios. Allein Disney hat mehr als 60?000 Merchandising-Artikel im Angebot

Disney-Konzern zum 100-jährigen Jubiläum unter Druck

Im Jubiläumsjahr steht der Konzern von vielen Seiten unter Druck. Die Fundamente der Disney-Schlösser bröckeln. Das Wachstum des Streamingablegers Disney+ stockt. Es bleibt ein Minusgeschäft. Bei den Kreativen herrscht Ideenflaute. Die suggestive Kraft der Disney-Bilderwelten verblasst, auch wenn die Glamourfabrik noch immer Hits wie zuletzt „Frozen“, „Encanto“ oder „Avatar: The Way of Water“ gebiert. Das TV-Geschäft schrumpft immer schneller. Vor gut einem Jahr ist Bob Iger (72) aus dem Ruhestand an die Spitze der Company zurückgekehrt, weil sein Nachfolger Bob Chapek nicht vorankam. Unter Igers Führung hatte sich Disney Marvel, Pixar und „Star Wars“ einverleibt. Nun aber droht der Riesentanker den Anschluss zu verpassen. Iger will unter anderem mit Einsparungen von 5,5 Milliarden Dollar und dem Abbau von 7000 Jobs gegensteuern. Auch soll es weniger teure Ableger aus dem unübersehbaren Personaltableau der Marvel- und „Star Wars“-Kosmen geben.

Heute hadert der „saubere“ Konzern mit der Tatsache, dass er erst mühsam lernen musste, die zeitgeistige Nachfrage nach gebrochenen, schrundigen Antihelden und anarchischem Witz bedienen zu können. Stattdessen musste Disney sich moderne Helden einkaufen – mit der milliardenteuren Übernahme der Pixar-Studios (2006), der Marvel-Superheldenwelt (2009) oder des „Star Wars“-Imperiums durch die Übernahme von 21st Century Fox (2019). „Igers Kaufrausch hat das Gefühl verstärkt, dass die Reaktion des Unternehmens auf Kreativitätskrisen einfach darin besteht, die Aktien von jemand anderem zu kaufen“, spottete die „New York Times“.

Derzeit plant der Konzern den Bau einer Wohnsiedlung für ältere Menschen im Coachella Valley in Kalifornien. Das Disney-Dorf solle die „magischen Welten“ aus den hauseigenen Filmen nachempfinden. Weitere Siedlungen sollen folgen. Ein Seniorenheim für Disney-Fans also, die nostalgischen Gefühlen nachhängen. Derlei Gestrigkeit birgt Gefahren. Denn die Zukunft der Unterhaltung liegt nicht in ihrer Vergangenheit. Sonst gilt für den Disney-Konzern bald, was die legendäre Übersetzerin Erika Fuchs Donald Duck mal sagen ließ: „Wie das rinnt und rieselt! Dahin, dahin! So zerrinnen die Träume, so verrauscht das Glück!“ (RND)

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