450. Todestag Pieter Bruegel des ÄlterenEin Fest der Narren zum Geburtstag

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„Der Sturz der rebellierenden Engel“ (1562), Detailszenen, Königliche Museen der Schönen Künste in Brüssel

  • Der Maler Pieter Bruegel der Ältere starb vor 450 Jahren in Brüssel.
  • Bis heute fasziniert an seinem Werk, dass es ein Panoptikum des Lebens seiner Zeit zeigt.
  • In und um Brüssel locken eine Vielzahl von Ausstellungen und besonderen Angeboten zu Annäherungen an den berühmten Künstler.

Brüssel – Die Welt steht Kopf. Mitten in der Kapellenkirche von Brüssel. Ausgerechnet an diesem Ort der Stille treiben sich zurzeit zehn Gestalten aus Pieter Bruegels Gemälden herum. Wer sie entdecken will, muss gar nicht angestrengt suchen. Denn die Fabelwesen sind zwar klein, aber so bunt und knuffig, dass sie schnell ins Auge fallen.

Ein kugelrunder und bis auf den Helm splitternackter Soldat klebt an einem Pfeiler und reckt sein Schwert einem Totenkopf entgegen. Und beim Standbild des Heiligen Aubertus, des Schutzheiligen der Bäcker, hat es sich ein fischgesichtiger Dämon im steinernen Brotkorb bequem gemacht.

Gestorben 1569 in Brüssel

„Die große Flucht“, wie sich diese Schnitzeljagd im Kirchenraum nennt, ist nur eine von vielen Aktivitäten in Flandern, um das grandiose Werk von Pieter Bruegel dem Älteren zu feiern. Anlass dafür ist der 450. Todestag des Künstlers, der am 9. September 1569 in Brüssel gestorben ist.

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Ein kugelrunder und bis auf den Helm splitternackter Soldat klebt an einem Pfeiler und reckt sein Schwert einem Totenkopf entgegen. 

Dass auch in der Kirche Unserer Lieben Frau von der Kapelle an ihn erinnert wird, ist nur korrekt. Denn hier hat er im Jahre 1563 Mayken Coecke geheiratet, die Tochter seines ehemaligen Lehrers Pieter Coecke van Aelst. Und hier liegt er begraben – wo genau, ist allerdings unbekannt.

In einer Nische hängt eine Gedenktafel aus dem Jahre 1934. Darauf empfiehlt der Dichter Felix Timmermanns, nicht im Osten oder Süden nach Künstlergröße zu suchen, da man doch einen Bruegel in den eigenen Reihen habe, vor dessen Genialität die ganze Welt den Hut ziehe. Mit seinen Worten: „Want heel de wereld neemt zijn hoed af voor uw genie.“

Das ist auch heute noch der Fall. Weltweit. Aber eben auch in seiner Heimat, die ja nicht arm ist an großen Meistern. „Warum identifizieren sich die Flamen vor allem mit Bruegel?“ fragt Luck Vanackere, der Direktor des prächtig renovierten Schloss Gaasbeek, das inmitten einer idealtypischen Bruegel-Landschaft mit Wiesen-Weiden-Weihern liegt.

Nach einer Kunstpause gibt er sich selbst die Antwort. Bruegels Welt sei den Menschen näher als Jan van Eycks stille Religiosität, als die Prachtentfaltung bei Peter Paul Rubens oder als all das Aristokratische bei Antoon van Dyck.

„Bruegel hat keine schönen Menschen gemalt“, sagt Vanackere, „überhaupt nicht.“ Weit sei sein Spektrum gewesen, von Fragen der Alchemie bis zu solchen der Identität. Und seine Bilder handelten „von unserem Bemühen, dem Leben einen Sinn zu geben.“

Ausstellung auf Schloss Gaasbeek

Nun feiert auch das 700 Jahre alte Schloss Gaasbeek mit der Ausstellung „Feast of Fools“ den Meister. Werke der Moderne, darunter Bauern-Porträts von August Sander oder Schreckensszenen von James Ensor, werden in Beziehung gesetzt zum Lieblingskünstler der Flamen. Jedes Bruegel-Bild scheint mindestens 1001 Geschichten zu erzählen.

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In  Schloss Gaasbeek gibt  es die Ausstellung „Feast of Fools“. 

Vielstimmig und kraftvoll. Doch über den Künstler selbst ist wenig bekannt. Geboren wurde er zwischen 1525 und 1530, vielleicht in Breda, Grote-Brogel oder Antwerpen, erfuhr dann seine Ausbildung als Maler in Antwerpen und zog 1563 nach Brüssel.

Die Stadt, die damals 50.000 Einwohner zählte, war eine Kunst-Metropole ersten Ranges. Hier residierte Kaiser Karl V., der gesagt haben soll, dass in seinem Reich die Sonne nicht untergehe. So war Brüssel durchaus verlockend für einen Künstler, der an Anregungen und Auftraggebern interessiert war.

Zeitreise auf dem Stadttor

Niedergelassen hat er sich vermutlich im Marollenviertel, welches keineswegs die schlechteste Adresse war. Ob er freilich im „Bruegel-Haus“ gelebt hat, das sich an der Hoog Straat 132 befindet und vor dem sich die Touristen einfinden, ist ungewiss. Sehenswert ist der historische Backstein-Bau gleichwohl.

Wie die Stadt aussah, in der Bruegel lebte, lässt sich im Hallepoort entdecken. Dieses einzig erhalten gebliebene Stadttor aus dem 14. Jahrhundert birgt einige Ausstellungsräume, die sich ab Oktober der Schau „Back to Bruegel“ widmen werden, einer Zeitreise ins Jahr 1560.

Doch schon ab 7. Mai gibt es einen Vorgeschmack im neogotischen Dachstuhl, der dem Bollwerk im 19. Jahrhundert übergestülpt worden ist. Hoch hinauf gelangt man über eine feine, aber auch die Fitness herausfordernde Wendeltreppe. Oben angekommen bietet sich nicht nur ein perfekter Rundumblick aufs gegenwärtige Brüssel.

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Das mittelalterliche Stadttor Halleport in Brüssel 

Auch sorgen fest installierte Virtual-Reality-Brillen dafür, dass die Besucher ins 16. Jahrhundert versetzt werden: gleiche Stelle, andere Zeit. Aus der Vogelperspektive fällt der Blick auf eine friedlich-sonnige Stadt, durch die Reiter traben und Stadtsoldaten auf dem Wehrgang Wache schieben. Auch kann man hier noch die Senne im Stadtbild fließen sehen, ein Flüsschen, das mittlerweile komplett überbaut ist.

Könnte man sich glatt drin wohlfühlen, so scheint es, in diesem Brüssel der Renaissance. Doch weiß man aus Bruegels Werken, dass die Welt so sicher nicht ist. Auch nicht vor 450 Jahren. Wer sich davon noch einmal überzeugen möchte, findet einige Gemälde des Meisters in der Sammlung der Königlichen Museen der Schönen Künste.

Dazu zählen „Der Sturz der rebellierenden Engel“, „Die Volkszählung zu Bethlehem“ und „Die Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle“ – eines packender als das andere.

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Detail aus der „Winterlandschaft mit Eisläufern“ von Pieter Bruegel dem Älteren

Weitere Gemälde sind weltweit verstreut. Die meisten befinden sich im Kunsthistorischen Museum in Wien. Aber zumindest in Reproduktionen ist der ganze Bruegel-Kosmos in Brüssel zu finden. In bewegten Bildern geschieht dies im Dynastiegebäude unter dem Titel „Beyond Bruegel“.

Dort wird der Besucher am Ende von einer Multimedia-Animation umfangen, einem Rausch aus Farben und Tönen, dem man sich schwerlich entziehen kann: Die „tolle Grete“ schlägt mit ihrem Schwert zu, Kugelfische fliegen von links nach rechts und über den Fußboden rollen Meereswellen. Zwischendurch gibt es auch noch ein paar unaufdringliche Hinweise zu Vita und Werk.

Das Bruegel-Jahr in Brüssel und Umgebung

Sammlung der Königlichen Museen der Schönen Künste von Belgien, Regentschapsstraat 3 in Brüssel, täglich geöffnet außer montags

„Die große Flucht“ in der Kapellenkirche, Kapellemarkt in Brüssel, bis Ende 2019

„Beyond Bruegel“ im Dynastiegebäude, Kunstberg  5 in Brüssel, bis 31. Januar 2020

„Prints in the Age of Bruegel“, Kulturzentrum Bozar, Ravensteinsstraat 23 in Brüssel, bis 23. Juni

„The World of Bruegel in Black and White“, Königliche Bibliothek, Kunstberg in Brüssel, 15. Oktober bis 16. Februar 2020

„Back to Bruegel“ im Hallepoort, Zuidlaan 150 in Brüssel, 18. Oktober bis 18. Oktober 2020

„Feast of Fools: Bruegel rediscovered“ im Schloss Gaasbeek, Kasteelstraat 40 in Gaasbeek, bis 28. Juli

„Bruegel“s Eye: Reconstructing the Landscape“, Dilbeek, bis 31. Oktober

„The World of Bruegel“, Freilichtmuseum Bokrijk, Bookrijklaan 1 in Genk, bis 20. Oktober  

Vor allem Bruegels Gemälde – seine Szenen der bäuerlichen Lebenswelt, seine wimmelnden Himmel und Höllen, seine Landschafts-Kompositionen, in denen flämische Dörfer von alpiner Landschaft umgeben sind – machen heute den Ruhm des Künstlers aus. Doch zu Lebzeiten kannte man ihn womöglich vor allem als Schöpfer von Zeichnungen und Druckgrafiken.

Diese Darstellungen von fernen Orten und eigenartigen Geschöpfen waren einst als Medium so populär wie heute Instagram, heißt es in Brüssel. Der Vorteil gegenüber jedem Ölgemälde, das im Gemach eines Adligen hängt: Ein Stich konnte Hunderte Male abgezogen werden und somit ein recht großes Publikum erreichen.

Die Stadt selbst war einst ein Hotspot dieser Kunst. Das bezeugt noch bis zum 23. Juni eine Ausstellung mit Grafiken aus der Ära Bruegels, die im Kulturzentrum Bozar zu besichtigen ist. Im Oktober folgt dann in der Königlichen Bibliothek eine Konzentration auf den Meister selbst: „Bruegels Welt in Schwarz und Weiß“. Da wird man dann auch würdigen, wenn sich ein Motiv mal minimal verändert hat – weil die Druckplatte sich allmählich abnutzte oder weil dem Buchstaben A noch nachträglich ein Querstrich beigegeben worden ist.

Viele Wege führen zu Bruegel. Auch ein Ausflug ins Pajottenland, am Stadtrand von Brüssel gelegen, wird von den Jubeljahr-Veranstaltern empfohlen. Nicht nur, weil dort Bruegel unterwegs gewesen sein soll. Auch wird versichert, dass die in herzwärmender Schlichtheit auf sich aufmerksam machende Kirche Sint-Anna-Pede von Bruegel auf seinem Gemälde „Der Blindensturz“ dargestellt worden sei.

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Kirche Sint-Anna-Pede bei Brüssel

Parallelen sind tatsächlich vorhanden. Hingegen ist die Wassermühle von Sint-Gertrudis-Pede, die auf gleich zwei Gemälden verewigt sein soll, im Laufe der Jahrhunderte erheblich umgebaut worden, so dass man Ähnlichkeit bestenfalls ahnen kann. Beide Bauwerke liegen an einem mit Kunst-Installationen gespickten Spazierweg, für den man nur den Hinweisschildern „Bruegels Eye“ folgen muss.

Folterpfähle am Weg

Der Parcours führt vorbei an Heidschnucken und einer Eisenbahntrasse. Und wenn man vor vier Folterpfählen steht, wie sie auf dem „Triumph des Todes“ zu sehen sind, hat man die eindrucksvollste Kunst-Intervention dieses Rundgangs gesehen.

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Folterpfähle am Spazierweg „Bruegels Eye“

Bruegel allerorten. Das Freilichtmuseum Bokrijk bei Genk, eine Autostunde östlich von Brüssel, gibt Einblicke in die Lebenswelt jener Jahre. „Es ist so, als würden Sie in die Bildwelt Bruegels eintauchen“, heißt es. Jozef Weynz, der erste Kurator des weitläufigen Areals, wollte das 1958 eröffnete Museum ursprünglich sogar „Bruegelheim“ nennen.

Nun zielt die aktuelle Schau „Bruegels Welt“ auf die ganze Familie. Mit Nachbauten aus Holz und Lehm und mit Animationen zuhauf. Es darf gespielt werden – mal spätmittelalterlich, mal digital.

Am Ende des Rundgangs steht der Besucher dann tatsächlich inmitten des Bruegel-Kosmos – umgeben vom „Kampf zwischen Karneval und Fasten“. Ein gigantischer Spiegel, schräg im Raum stehend, verrückt die Maßstäbe. Irritiert und fasziniert. Die Welt steht Kopf. Wie im wirklichen Leben. Nicht immer. Aber ab und an. Das ist Bruegels Aktualität.

Der Autor war auf Einladung von Visit Flanders unterwegs auf Bruegels Spuren.

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