Abbas Khiders neuer RomanWenn Deutschland auch nur das kleinere Übel ist

Lesezeit 4 Minuten
Khider2

Wohnhaft in Berlin: der Deutsch-Iraker Abbas Khider                 

Köln – „Endlich laufen Tränen über die Wangen von Said Al-Waid.“ Das ist der Schlusssatz im vorletzten Kapitel von Abbas Khiders neuem Kurzroman „Der Erinnerungsfälscher“. Der Leser kann es der Hauptfigur nachempfinden, ihre Geschichte war auch vorher immer wieder zum Heulen. Aktuell ist er zu spät aus Deutschland in den Irak zurückgekehrt, aus dem er Jahre zuvor vor Saddam Hussein unter Lebensgefahr fliehen musste. Seine Mutter liege im Sterben, war der angehende Schriftsteller während einer Lesereise im ICE zwischen Mainz und seinem Wohnort Berlin verständigt worden. Doch als er nach hektisch anberaumter Flugreise bei der Familie in Bagdad eintrifft, ist sie bereits tot.

Die private Katastrophe verschränkt sich mit der kollektiven eines Landes, in dessen von Chaos und Gewalt geprägter Lebenswelt der Besucher nicht mehr zurechtkommt: Soeben – wir schreiben den Frühsommer 2014, welcher damit als Erzählte Zeit des Romans ausgewiesen ist – hat, wie wir hören, die Miliz Daesh (in Deutschland besser bekannt als Islamischer Staat) „die Armee besiegt und vermutlich die Stadt Mossul erobert“.

Khider1

Titel („Der Erinnerungsfälscher“) und Klappentext deuten indes eine Metaebene der Erzählung an: Danach ginge es weniger um die berichteten Dinge als solche denn vielmehr um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer erinnernden Rekonstruktion. Ein altes Thema der Literatur, auch jenseits und „unterhalb“ von Marcel Prousts „Recherche“. Tatsächlich öffnet die narrative Struktur des Buches dem Angang dieses Problems weit die Türen: Auf dem Weg in den Irak erinnert sich Al-Wahid nämlich ausführlich an seine Flucht, seine anschließende Odyssee über Afrika nach Deutschland und sein immerzu von drohendem Scheitern umstelltes Bestreben, sich daselbst eine neue Existenz aufzubauen.

Allerdings: Die Gefahr einer dem Gedächtnis entgleitenden Vergangenheit, die nicht zuletzt den schriftstellerischen Gehversuchen den Stoff wegzunehmen droht, wird als solches zwar wortreich behauptet, letztlich aber nicht im Erzählstil und -gestus selbst wirksam – weder bei Al-Wahid, der sich dann eben doch recht gut erinnert, noch bei seinem Autor, dem heute wie sein „Held“ in Berlin lebenden gebürtigen Bagdader Khider, der das neue Werk mit einer mutmaßlich fetten Portion Autobiografie ausstattet.

Das könnte Sie auch interessieren:

Nein, das Erinnerungsthema führt in einen „performativen Selbstwiderspruch“, letztlich also in eine Sackgasse – mit welcher Kritik das Buch sich aber keineswegs erledigt. Trostlos lapidar und zugleich mit starkem Sinn für groteske Pointen erzählt Khider – und das ist fürwahr genauso ein großes Thema – die tragische Geschichte eines Heimatverlustes wie der überwältigenden Schwierigkeit, woanders wirklich anzukommen (zu vermelden aber ist allemal eine sichere Ankunft in der deutschen Sprache).

Khider zeigt ein frostiges Deutschland, niemand hat hier auf Said Al-Wahid gewartet. Gleichgültigkeit, in „Racial Profiling“ ausartendes Misstrauen, teils offener Rassismus und ein don-quichotesker Kampf mit der oder besser: gegen die deutschen Anerkennungsbürokratie, der nur mit Hilfe weniger gutmeinender „biodeutscher“ Helfer bestanden wird – es ist ein Leidensweg, den der „Asylant“ zu absolvieren hat.

Gibt es hier überhaupt einen Brückenschlag zwischen den geografisch-kulturellen Sphären – jenseits der Hauptfigur, die beide durch ihre pure Existenz miteinander verklammert? Ja, die gibt es, und auch in diesem „Untermotiv“ ist die Neigung des Verfassers zur Groteske erkennbar: Hüben wie drüben, in Übersetzung wie in der Originalsprache, begleitet Al-Wahid Patrick Süskinds Novelle „Die Taube“, ebenfalls die Geschichte eines in jenem Tier symbolisch verdichteten lebensgeschichtlichen Traumas.

Kein Halali auf die Lebensform Deutschland

Bei all dem bläst der Autor übrigens keineswegs zum Halali auf die Lebensform Deutschland; den Klischees der Migrantenfeinde antworten nicht etwa symmetrisch Klischees der „Gegenseite“. Dass im Irak Al-Walids Bleibens nicht war und das Ankunftsland darüber zu durchaus mehr als einem „kleineren Übel“ wird – Khider lässt es keineswegs unter den Tisch fallen. Trotzdem: Wer über Flüchtlinge herzuziehen beliebt oder einer allzu realpolitischen „Das Boot ist voll“-Ideologie frönt, sollte unbedingt dieses Buch lesen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein aufgenötigter Perspektivenwechsels zu einem Einstellungswandel führte.

Abbas Khider: „Der Erinnerungsfälscher“, Hanser, 126 Seiten, 19 Euro

KStA abonnieren