Annie Lennox wird 60Gesicht und Körper der achtziger Jahre

Annie Lennox im Herbst 2014
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Die musikalische Karriere der schottischen Sängerin Annie Lennox ist eigentlich vorbei, bevor sie richtig begonnen hat. Aus ihrer Geburtsstadt, der Öl-Boomtown Aberdeen, kommt die Tochter eines Werftarbeiters 1971 nach London an die renommierte „Royal Academy of Music“, um Querflöte zu studieren. Doch dem von Konkurrenzkämpfen und Überheblichkeit geprägten Akademie-Betrieb kann sie nur wenig abgewinnen, ihr böses Fazit: „Die Jungs waren alle schwul, und die Mädchen dachten, sie seien die nächste Maria Callas.“
Nach drei Jahren tauscht Lennox die Flöte gegen das Serviertablett. Sie singt zwar in einer Folkband, doch ihren Lebensunterhalt bestreitet sie als Kellnerin. In einem Restaurant im Stadtteil Hampstead nimmt Lennox’ Leben 1976 eine unerwartete Wendung, als sie dem Musiker Dave Stewart begegnet; einem Gast, der wenig später ihr Liebhaber wird. Ähnlich wie bei den Abba-Paaren Agnetha/Björn und Benny/Anni-Frid überdauert die musikalische Liaison Stewart/Lennox die private Trennung des Paares. Mehr noch, sie schreiben als Eurythmics Musikgeschichte, verkaufen etwa 80 Millionen Tonträger weltweit und werden das erfolgreichste Pop-Duo aller Zeiten.
Es begann in Wolperath
Der wenig beachtete Startschuss ihrer beispiellosen Karriere fällt dabei im Frühjahr 1981 im Rheinland. In den Conny-Plank-Studios in Wolperath (Rhein-Sieg-Kreis) nehmen Lennox und Stewart das Debütalbum „In the Garden“ auf. Eine Langspielplatte später – „Sweet Dreams“ erscheint 1983 – sind die Eurythmics nicht mehr zu stoppen, und es ist nicht nur die Mischung aus kühlem Synthesizer-Pop und Lennox' beseelter, warmer Stimme, die Furore macht.
Die Euryhtmics gehören zu den ersten Stars der Dekade, die den imageprägenden Wert von Videoclips erkennen und nutzen. Lennox wird zu einem der präsentesten Gesichter (und Körper) der 80er Jahre, inszeniert sich mal als geschlechtsloses Wesen mit signalroten Haaren und Herrenanzügen, gibt mal den Vamp im knappen Leder-Bustier. Endgültig als große Sängerin geadelt ist Lennox, als die Soul-Legende Aretha Franklin mit ihr ein Duett einspielt („Sisters are Doing It for Themselves“).
Was Annie Lennox aber in der Popwelt einzigartig macht, ist ihr entkrampftes Verhältnis zum Älterwerden. Als im Herbst 2014 das Album „Nostalgia“ – mit Klassikern wie „Summertime“ und „Georgia on My Mind“ – erscheint, veröffentlicht Lennox Bilder, die – ohne die branchenüblichen Fotoshop-Retuschen – Rückschlüsse auf ihr reales Alter zulassen. Frühere Sexsymbole sind selten so souverän– Madonna, vier Jahre jünger als Annie, ist das wohl abschreckendste Beispiel. Lennox aber hängt schon 1992 ihre aufreizende Bühnengarderobe für immer in den Schrank und verzaubert alle Welt mit dem umwerfen Soloalbum „Diva“.
Wenn es gut läuft für Lennox, dann darf sie sich wenige Wochen nach ihrem 60. Geburtstag (am 1. Weihnachtstag) noch einen Grammy ins Regal stellen für „Nostalgia“. Ihr größter Wunsch im Jahr 2014 hat sich allerdings nicht erfüllt – Schottlands Unabhängigkeit.