Autorin klagt anFrauenmord hindert männliche Künstler nicht an Karriereschub

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Bertrand Cantat

Rocksänger Bertrand Cantat sitzt während des Prozesses wegen des Totschlags an seiner Freundin,  der Schauspielerin Marie Trintignant, auf der Anklagebank in Vilnius. 

Ein Frauenmord ist kein Karrierehindernis. Zumindest nicht in Künstlerkreisen. Zu diesen – zynischen – Schluss muss zwangsläufig kommen, wer die Folge von Beiträgen liest, die Berit Glanz dieser Tage auf Twitter veröffentlicht.

In diesen erinnert die deutsche Autorin und Skandinavistin noch einmal an Fälle, die einerseits sattsam bekannt sein dürften, allerdings so gut wie nie zusammen betrachtet werden. Weil das ja dem männlichen Geniekult widersprechen würde.

Glanz nennt unter anderem Louis Althusser, den französischen, marxistischen Philosophen, der 1980 seine Frau, die, so Glanz, „Soziologin und Widerstandskämpferin Hélène Rytmann-Légotion“, erdrosselt hat, nur um diese Tat später literarisch zu verarbeiten.

Tödliches Wilhelm-Tell-Spiel

Sie nennt den amerikanischen Schriftsteller William S. Burroughs, der 1951 seine Lebensgefährtin Joan Vollmer Adams im Rahmen eines trunkenen Wilhelm-Tell-Spieles mit einem Kopfschuss getötet hat. Eine Tat, für die er nur 13 Tage im Gefängnis verbrachte und ohne die, sagt Burroughs, er niemals ein Autor geworden wäre. Tatsächlich veröffentlichte er kurz darauf seine berühmtesten Romane: „Junkie“, „Naked Lunch“, „The Soft Machine“.

Die Liste geht weiter: Bertrand Cantat, Sänger der französischen Band Noir Désir, hatte 2003 seine Freundin, die Schauspielerin Marie Trintignant, totgeschlagen und wurde schon vier Jahre später aus dem Gefängnis entlassen.

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Der Bildhauer Carl Andre wurde 1985 freigesprochen, nachdem seine Frau, die Künstlerin Ana Mendieta, nach einem Ehestreit unter ungeklärten Umständen aus dem Fenster eines Hochhauses zu Tode gestürzt war. Der polnische Regisseur Roman Polanski hat 1977 eine 13-Jährige vergewaltigt, flüchtete vor der Strafverfolgung aus den USA, drehte aber weiter Filme, gewann später einen Oscar und zahlreiche andere Filmpreise.

Und immer so fort: Vom Autor Norman Mailer bis zum Philosophen Arthur Schopenhauer, vom Schauspieler Gunnar Möller bis zum vor wenigen Tagen gestorbenen Musikproduzenten Phil Spector. Es gehe ihr, schreibt Berit Glanz, keineswegs um längere Haftstrafen für diese Männer, sondern darum, „dass Gewalt gegen und Mord an Frauen kein wesentliches Hindernis für den beruflichen Erfolg darstellt“.

Was nach dem Mord geschah

Man könnte an dieser Stelle differenzieren: So konnte zum Beispiel Althusser nicht, wie Glanz schreibt, „in den Jahren nach dem Mord noch erfolgreich zahlreiche Schriften veröffentlichen, unter anderem seine Autobiografie“. Die erschien erst posthum, der schwer depressive Philosoph verbrachte den Rest seines Lebens in Anstalten, und das Ansehen seines Werkes hat sich nie wieder von der Tat erholt.

Ähnlich verhält es sich im Fall Cantat: Der Versuch, seine Karriere als Sänger der Band Noir Désir wieder aufzunehmen, fand ein paar Jahre später statt, als Glanz schreibt, und scheiterte binnen weniger Wochen.

Männlicher Geniekult

Aber das sind kleine Korrekturen an einem ungleich größeren Skandalon, dem nämlich, dass im Falle von Künstlerbiografien Gewalt gegen Frauen immer noch als Nebeneffekt des zerquälten, männlichen Genies hingenommen wird oder mithin sogar als Ausdruck und Nachweis desselben herhalten muss: So wird die Burroughs’sche Wilhelm-Tell-Story bis heute als besonders krasse Rock’n’Roll-Episode im Leben eines Helden der Gegenkultur erzählt – und nicht als misogynes Tötungsdelikt eines drogensüchtigen Waffennarren.

Auch Norman Mailers beinahe tödlicher Messerangriff auf seine Frau nach einer Party im Jahr 1960 befeuerte sein Image als egomanischer Literatur-Raufbold, nur neun Jahre später gewann er den ersten von zwei Pulitzer-Preisen. Schon kurz nach der Tat hatte Mailer diese in seinem Roman „American Dream“ verarbeitet: Hier erwürgt der Held seine Frau gleich im ersten Kapitel und wirft ihre Leiche über den Balkon ihres New Yorker Apartments.

Der Tod des Anderen

„Der Tod einer schönen Frau“, schrieb schon Edgar Allan Poe, „ist ohne jeden Zweifel das poetischste Thema auf der Erde.“ Die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen zitiert den Ausspruch in ihrer Studie „Nur über ihre Leiche“ aus dem Jahr 1992. Darin argumentiert Bronfen, dass das beliebte Motiv der toten, beziehungsweise getöteten Frau in Kunst und Literatur den ursprünglichen Mangel des Todes auf eine goutierbare Weise repräsentiert: Wir werden als Betrachter oder Leser zwar mit dem Tod konfrontiert, aber es ist der Tod des Anderen. Und dieses große Andere ist eben der Körper der Frau.

Diese Überlagerung funktioniert nur, solange man die Kulturgeschichte aus rein männlicher Perspektive betrachtet. Erst dann wird auch der männliche Gewalttäter zum Genie, das sich im heroischen Kampf gegen den Tod am großen Anderen abreagiert, ob metaphorisch oder im wirklichen Leben.

Fatale Verknüpfungen

Will man diese fatalen Verknüpfungen aufdröseln, muss man sich zuerst von der Idee des innerlich leidenden und um sich schlagenden Genies lösen und pseudo-kausale Verbindungen kappen. So könnte man etwa sagen: Norman Mailers Tatsachenroman „Gnadenlos“ ist so gut, weil er akribisch recherchiert ist und eine Mitte zwischen schöpferischer Sprachgewalt und journalistischer Zurückhaltung findet. Mailers private Ausfälle zeugen dagegen eher von innerer Unsicherheit und Feigheit, bestenfalls kompensieren seine literarischen Fähigkeiten seine charakterlichen Mängel.

Könnte man sagen. Andererseits ist das kulturelle Angebot doch groß genug, dass niemand mehr gezwungen ist, sich mit der Kunst männlicher Arschlöcher auseinanderzusetzen.

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