An der Falltür des BösenVor hundert Jahren wurde Patricia Highsmith geboren

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Patricia Highsmith 1982 in der Schweiz

Patricia Highsmith 1982 in der Schweiz

Nein, dass sie eine umgängliche, „nette“ Person gewesen wäre, das behaupteten nicht einmal diejenigen, die ihr nahestanden. Katzen mochte Patricia Highsmith mehr als Menschen, denen gegenüber sie sich grob-direkt, unfreundlich und kleinlich verhielt. Bevor sie, gesundheitlich ruiniert durch jahrzehntelangen Alkohol- und Zigarettenkonsum, am 4. Februar 1995 im schweizerischen Locarno starb, schickte sie die letzte Besucherin unwirsch mit einem wiederholten „Du solltest gehen“ aus dem Hospitalzimmer.

Über die Unmöglichkeit, eine Biografie über Patricia High-smith zu schreiben, die an diesem Dienstag vor hundert Jahren geboren wurde, klagt ausgerechnet ihre Biografin Joan Schenkar: über die schneckenhafte Unzugänglichkeit der Person, der allerdings die „erbarmungslose Selbstentblößung“ in ihren Notiz- und Tagebüchern gegenüberstehe. Sie wurden nach ihrem Tod in ihrem letzten Haus hinter Bettwäsche und Handtüchern versteckt gefunden und sollen im Herbst im Zürcher Diogenes-Verlag (der ihr ins Deutsche übersetzte Gesamtwerk betreut) erscheinen. Überraschungen werden verheißen.

Man sieht sich, nach einer Erklärung suchend, vor allem – es ist die offensichtlichste Spur – auf die Homosexualität der Autorin verwiesen, die sie zwar auslebte, aber doch auch hinter einer fassadenhaften heterosexuellen Konvenienz zu verbergen suchte. Diesbezüglich eindeutig sind freilich ihre Bücher – gut drei Dutzend Romane und Erzählungen – in ihren ausformulierten Themen wie in ihren verborgenen Subtexten.

Dass diese auch die Thriller-Plots grundieren, wurde in der frühen Rezeptionsgeschichte immer wieder verdrängt – Alfred Hitchcocks Verfilmung von Highsmiths 1950 publiziertem Romanerstling „Zwei Fremde im Zug“ zum Beispiel, die dem Roman im Jahresabstand folgte, unterschlägt – abgesehen davon, dass das Katastrophenende des Buches gegen ein Happy End vertauscht wird – das Motiv gänzlich.

Wahrscheinlich musste es auch unterspielt oder unterschlagen werden, auf dass das Werk kompatibel wurde mit dem Mainstream der amerikanischen Popularkultur, der sich High-smith als empirische Person wie als Künstlerin demonstrativ entzog.

Mit der Schreibmaschine vor sich ins Grab

So fiel der Erfolg der „Fremden im Zug“ wie mehr oder weniger sämtlicher folgender Bücher – und Highsmith sank gleichsam mit der Schreibmaschine vor sich ins Grab – bezeichnenderweise im existenzialistisch geprägten Europa noch spektakulärer aus als im Geburtsland der Autorin. Möglicherweise bewegte sie dieser Umstand dann auch dazu, New York den Rücken zu kehren und nach Europa zu ziehen. Seit 1963 lebte sie an wechselnden Wohnorten in England und Frankreich und schließlich, von 1981 an, im Tessin.

Vom Debütroman der 29-Jährigen ist auch deshalb noch ausführlicher zu sprechen, weil hier Highsmiths beunruhigende Genialität bereits voll ausgeprägt ist. Da musste sich nichts mehr „entwickeln“, wenngleich ihr späterer psychopathischer Serienheld Tom Ripley in seiner verstörenden Reuelosigkeit zweifellos eine Grenzüberschreitung eigener Art darstellt.

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Die Schlacken blieben auf einem komplizierten Entstehungsweg zurück, das Buch in seiner mitleidlosen Grausamkeit ist auch heute noch „schön“ wie am ersten Tag. Typisch für Highsmith: Das Ganze beginnt im Ambiente unauffälliger Alltäglichkeit, die erst nach und nach ihre Klauen ausfährt – bis die Handlung in sukzessiv beschleunigter Bewegung ihrem schlimmen Ende entgegenstürzt.

Der Grundeinfall ist dabei verblüffend einfach: Zwei Männer begegnen einander in einem Zug, fühlen sich sehr schnell magisch angezogen – wobei es bald auch erotisch zu knistern beginnt – und finden einander endgültig (der eine treibend, der andere widerstrebend) in der Verabredung eines Mordkomplotts „überkreuz“. Ein jeder soll eine unliebsame Figur im Leben des anderen aus dem Weg räumen. Das perfekte Verbrechen wird geplant – perfekt, weil die allfällige polizeiliche Suche nach dem Motiv ergebnislos bleiben muss.

Stationen des Lebens

Patricia Highsmith wurde als Mary Patricia Plangman am 19. Januar 1921 im texanischen Fort Worth geboren. Highsmith war der Name ihres späteren Stiefvaters, ihren (deutschstämmigen) leiblichen Vater lernte sie erst mit zwölf Jahren kennen. 1927 zog sie mit ihrer neuen Familie nach nach New York. Am dortigen Barnard College Anglistik- und Lateinstudium. 1950 literarischer Durchbruch mit dem Roman „Strangers on a Train“.

Seit 1963 lebte sie ausschließlich in Europa (Italien, England, Frankreich), seit 1981 im Tessin. Sie starb am 4. Februar 1995 in Locarno, ihr Urnengrab befindet sich in Tegna (Schweiz). (MaS)

Ein Leser, der vielleicht die Verurteilung, auch das Aufscheinen einer ausgleichenden Gerechtigkeit gerne mitgeliefert bekommen hätte, wird enttäuscht. Der Erzähler und mit ihm die Autorin ist an Moral erkennbar nicht interessiert, ihr geht es um die Psychologie des Verbrechens. Dabei wusste die Dostojewski-Kennerin Highsmith um die Polarität von Gut und Böse. Auch um die handlungstreibende Kraft des Schuldbewusstseins, und verwischte die Grenzen jedoch gezielt: Das Böse ist der Schrecken, der als Potenzialität im Guten jederzeit aktivierbar ist. Auch in der Autorin selbst, die zugab, sie projiziere in ihren Büchern eigene Möglichkeiten nach außen.

Solchermaßen wird Highsmith literarisch anschlussfähig in unterschiedlichen Richtungen: Sie ist bis heute eben nicht nur ein Liebling der Krimifans, sondern auch der Highbrow-Kultur. Das vielleicht schönste Lob stammt – nur auf den ersten Blick überraschend – von ihrem österreichischen Kollegen Peter Handke: „Beim Lesen ihrer Bücher, so verzweifelt und ohne Hoffnung sie auch sein mögen, hat man das Gefühl, im Schutz einer großen Schriftstellerin zu sein“.

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