Elke Heidenreichs GeschenktippsVon gut gereimt bis herrlich beknackt

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Elke Heidenreich

Köln – Dieses zu Ende gehende Jahr mit so vielen Beschränkungen und Verboten hat uns eines gelehrt: Wir kommen nicht gut zurecht, wenn wir nicht gelernt haben, allein zu sein. In meinem Leben spielt das Alleinsein schon immer eine große Rolle, wobei man allein nicht mit einsam verwechseln darf. Einsam bin ich nie, allein oft, weil das Schreiben und das Lesen ja Tätigkeiten sind, die man still für sich ausübt. Das Lesen ist nicht nur mein Beruf, es hat mich in diesem Jahr mehr als begleitet, es hat mich oft gerettet, vor Verzweiflung oder dem Durchhängen, weil alles, was Spaß macht, nicht stattfand: Kneipenbesuche mit Freunden, Oper, Theater, Konzerte, Reisen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Also: Unterschätzen wir die Bücher nicht, und in diesem Jahr sind Bücher als Weihnachtsgeschenke viel mehr als nur das praktische Geschenk in letzter Minute. Sie bedeuten Lebenshilfe, Trost, Freude, Ablenkung, es sollten Bücher sein, die in der Lage sind, uns glücklich zu machen. Deshalb fange ich gleich mal mit dem an, was mich immer besonders glücklich macht: Gedichte. Und jetzt kommt keine hochgestochene, schwer verständliche Metaphorik, wir sind alle mit den Nerven am Ende, da muss es was mit unserm Leben direkt zu tun haben und sich reimen, bitte sehr:

Wetterverhältnisse

Es schneit, dann fällt der regen nieder, dann schneit es, regnet es und schneit, dann regnet es die ganze zeit, es regnet und dann schneit es wieder.

Kann man es besser sagen? Nein! Das ist von Ror Wolf, dessen wunderbares Buch mit skurrilen Collagen und gescheiten, witzigen oder durchgeknallten Gedichten ich Ihnen ans Herz lege. Und von den Gedichten ist es nur ein Schritt zu Wörtern. Haben wir genug Wörter oder fehlen nicht ein paar? Und ob! Das dachte sich auch Stefano Massini und erfand neue Wörter, erfand die Geschichten dazu und packte das alles mit schönen Bildern in ein prächtiges Buch. Ein Beispiel: László Biró erfand den Kugelschreiber, verkaufte aber das Patent, und ein anderer wurde steinreich damit. Und so prägt Massini das Wort Birismus, abgeleitet von Biró für den Gemütszustand eines Menschen, der nicht das Leben lebt, was er eigentlich hätte leben können.

Erfundene Wörter

Im Nachwort schreibt er: „Wer möchte, folge mir also durch diese Sammlung nicht existierender Wörter – ich habe bei ihrer Auswahl an all die Situationen gedacht, in denen man seufzt: „Ach, gäbe es doch ein Wort, um das auszudrücken!“ Lesen Sie mit spitzfindigem Vergnügen und: Erfinden Sie selbst! (Ich hab auch mal ein Wort für besonders begriffsstutzige und weltferne Zeitgenossen erfunden: troglodyn. Abgeleitet von Troglodyten, das sind Höhlenbewohner!)

Jetzt wird geschmökert: In einer schönen Ausgabe und frisch übersetzt ist Dashiell Hammetts Klassiker „Der Malteser Falke“ wieder da, spannend und böse mit Sam Spade und Mr. Cairo, und eine Art Krimitipp für die Dame wären dann die frühen Storys von Patricia Highsmith, „Ladies“, zum Teil noch nie veröffentlich und schon mit der ganzen psychologischen Meisterschaft dieser großen Autorin, auch elegant gebunden und geschenkgeeignet: Wir essen Marzipankartoffeln und gruseln uns über das Leben gebeutelter Frauen!

Das beste Buch des Jahres

Das beste Buch dieses Jahres ist dick und hat einen komplizierten Titel: „Apeirogon“ von Colum McCann. Nur Mut. Es ist eines der wärmsten, klügsten, schönsten Bücher, die ich kenne. Ich habe noch nie das ganze Drama des Nahostkonflikts so gut erklärt bekommen wie hier, noch nie so deutlich begriffen, dass mit immer neuen Kriegen und Attentaten nichts zu machen ist. Es geht nur in friedlicher Gemeinschaft von Palästina und Israel, hier erzählt durch zwei Väter, die jeweils durchs andere Lager ihr Kind verloren haben, dennoch Freunde werden, Frieden predigen. Man darf auch mal beim Lesen weinen. Dieses Buch gehört zu denen, die die Sicht auf die Welt ändern. Ach ja, und der schwierige Titel: Googeln Sie einfach.

Das albernste, lustigste, beknackteste Buch, bei dem man dauernd lachen muss, ist „Nur die Liege zählt“ von Susanne Kristek. Kein Druckfehler, hier zählt nicht die Liebe, sondern die Liege, die man sich möglichst schon um sechs Uhr früh im Urlaub mit dem Handtuch belegt. „Die Menschheit fliegt ins All. Aber die Sache mit den Strandliegen hat noch keiner schlau in den Griff gekriegt.“ Eine österreichische Familie auf Weihnachtsurlaub in Thailand, all inclusive, wir Leser, die wir zurzeit nicht reisen dürfen, nehmen grinsend an allen Schrecken teil – vom Klatschen bei der Landung bis zum Tagescocktail (Royal Explosion!) und zum Oktoberfest in Thailand, hussa, mit Weißwurscht, Brezen, Weizenbier. So haben wir uns Thailand immer vorgestellt! Hier lernt das Kind fremde Kulturen kennen! Das Buch ist, wenn man einfach nur unterhalten werden will, der Knaller. Kein Wunder bei einer Autorin, deren Lieblingstier der Lachs ist.

KStA abonnieren