Autorin Shila BehjatWarum Jungs die Verlierer des Feminismus sind

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Autorin Shila Behjat.schaut in die Kamera.

Shila Behjat.spricht über ihr neues Buch „Söhne großziehen als Feministin“

Die Autorin Shila Behjat findet, dass Feminismus nicht nur für Frauen da sein sollte. Mit ihrem Buch „Söhne großziehen als Feministin“ kommt sie auch nach Köln. 

Frau Behjat, in Ihrem Buch geht es um die Widersprüche, die sie als Feministin und Mutter von zwei Söhnen erleben. Was sind das für Widersprüche?

Shila Behjat: Vor allem habe ich bei mir selbst große Widersprüche empfunden. Denn einerseits habe ich als Mutter auf meine Kinder geschaut. Und bei diesem ersten Blick spielt natürlich das Geschlecht gar keine Rolle. Und gleichzeitig habe ich mich dabei ertappt, zu denken: „Okay, also dann muss ich jetzt dafür sorgen, dass meine Kinder eben nicht diese Männer werden, die ich als Feministin bekämpfe.“

Das heißt, Sie mussten die Feministin und die Mutter in sich erstmal miteinander versöhnen?

Ja, die Feministin in mir hat meine beiden Söhne als so eine Art Projekt gesehen. Aber die Mutter in mir sieht sie als Menschen mit Anrecht auf ihre Individualität und freie Entfaltung. Denn gerade solche Vorverurteilungen aufgrund des Geschlechts habe ich ja immer bekämpft. Als Frau – aber sollte das nicht auch für Männer gelten? Und diese Widersprüche haben dann dazu geführt, dass ich mich gefragt habe: Wofür steht für mich Feminismus? Was hat er mir alles gebracht, aber wo wurde er mir auch nicht gerecht? Ich habe am eigenen Leib gespürt, dass man den feministischen Gedanken der Gleichstellung nicht ernst genug nimmt, wenn es allein um Frauen und nicht um alle Menschen geht.

Ich habe am eigenen Leib gespürt, dass man den feministischen Gedanken der Gleichstellung nicht ernst genug nimmt, wenn es allein um Frauen und nicht um alle Menschen geht
Shila Behjat

Was tun?

Da gibt es auf jeden Fall einen großen Bedarf drüber zu sprechen. Und den Feminismus weiterzuentwickeln. Die Dekonstruktion der Geschlechter – die war wichtig. Genauso wie es wichtig war, sich mit so einer Vehemenz gegen männliche Macht aufzulehnen. Aber als Feministin im Jahr 2024 müssen wir jetzt auf dem Erkämpften aufsetzen. Und sich fragen: „Wie kann es jetzt gerecht für alle weitergehen?“

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie gedacht haben „Er darf bloß kein Arschloch werden“ als Sie schwanger waren und erfahren haben, dass ihr Kind ein Junge ist. Was hätten Sie wohl bei einem Mädchen gedacht?

Wahrscheinlich wäre ich überzeugt gewesen, dass meine Tochter eines von diesen Power-Girls werden soll. Die ich ja auch als Tante und als Mutter oder Freundin von Müttern mit Töchtern absolut befeuere. Und ich bin beeindruckt von den Errungenschaften des Feminismus. Zwischen den Mädchen heute und mir gibt es schon so große Fortschritte.

Wenn wir Sie jetzt stellvertretend für andere Eltern nehmen, bedeutet das, dass wir weder an die Erziehung von Jungs noch an die von Mädchen unvoreingenommen herangehen? Sondern mit bestimmten Erwartungen oder Befürchtungen?

Das auf jeden Fall. Ein gutes Beispiel ist für mich dieser Bestseller für Mädchen „Goodnight Stories for Rebel Girls“. Nach einigen Jahren kam dann die Version für die Jungs raus „Stories for boys who dare to be different“ - mit dem deutschen Untertitel „Vom Mut anders zu sein“.  Das ist ein Beispiel für den Versuch, die Geschlechter in zwei extreme Richtungen zu drängen. Und das sind eben vorgefertigte Meinungen und Haltungen dazu, wie ein Mädchen und wie ein Junge sein soll.

Wie sollen sie denn sein?

Mädchen sollen rebellisch sein, laut, wild und frech. Aber wenn ich mit meinen zwei Söhnen durch die Welt laufe und die laut sind oder „wild“ - dann wird ihnen das als sehr negativ ausgelegt. Als ich das bemerkt habe, hat sich in mir ein wahnsinniger Zwiespalt aufgetan.

Mädchen sollen rebellisch sein, laut, wild und frech. Aber wenn ich mit meinen zwei Söhnen durch die Welt laufe und die laut sind oder „wild“ - dann wird ihnen das als sehr negativ ausgelegt
Shila Behjat

Das Bestreben des Feminismus, gegen Diskriminierung der Frauen anzutreten, diskriminiert also andere?

Ganz genau. Ich sehe das absolut als Gefahr, dass wir die Ungerechtigkeit gegenüber Frauen bekämpfen und dabei neue Ungerechtigkeiten entstehen. Und mit Blick auf unsere Kinder und diese neue Generation, finde ich, ist es jetzt an der Zeit, zu überlegen: Geht es uns einfach darum, im selben System die Männer durch Frauen zu ersetzen? Oder geht es uns darum, die Werte insgesamt zu verändern? Machen diese Fronten zwischen Männern und Frauen überhaupt Sinn? Wo bleiben dabei queere Menschen, Trans-Personen? Wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir verkehrt vor, den Feminismus auf Geschlechter zu reduzieren. Es geht nicht allein um die Gleichbehandlung von Frauen – nein, es geht um die Gleichbehandlung von allen Menschen.

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Schönes Wochenende!

Sie schreiben, dass Frauen sich mehr und mehr Eigenschaften aneignen, die als männlich gelten: dominant oder selbstbewusst auftreten, stark sein, sich durchsetzen. Aber dass traditionell als weiblich gesehene Fähigkeiten eigentlich überhaupt keine Lobby mehr haben.

Und dabei ist der Zustand der Welt doch eigentlich so, dass wir diese weiblich gelesenen oder auch manchmal klischeehaft Frauen zugeschriebenen Eigenschaften ganz dringend brauchen: zum Beispiel Mitgefühl, Kooperationsfähigkeit, Kompromissbereitschaft oder auch Fürsorge. Brauchen wir wirklich noch mehr Leute, die nur für ihre eigenen Bedürfnisse eintreten und kämpfen? Ich wünsche mir eine Zukunft, in der mehr Menschen das Ganze im Blick haben, auch für andere das Wort ergreifen und sich für und um andere sorgen.

Woher kommt denn das Imageproblem solcher Eigenschaften?

Selbst ich fühle ein Unwohlsein dabei, mich beispielsweise so stark mit dem Begriff Fürsorge zu identifizieren. Und das hat natürlich damit zu tun, wie wir den feministischen Diskurs in den vergangenen Jahren geführt haben. Wo es darum ging, Frauen möglichst viel von der Fürsorge für die Kinder zu befreien, damit sie dann bezahlt arbeiten. Und ich glaube, das hat dazu geführt, dass man ein ganz gespaltenes Verhältnis zu dieser Fürsorge für die Kinder hat. Weil man den Eindruck hat: Wenn ich mich um meine Kinder kümmere, hält mich das davon ab, ein emanzipiertes Leben zu führen.

So gesehen hat der Feminismus einfach das Wertesystem des Patriarchats übernommen: Erwerbsarbeit ist das Maß aller Dinge.

Genau - dabei kann ich als Mutter von Söhnen doch an einer wichtigen Schaltstelle gesamtgesellschaftlich wirklich etwas ändern. Mit Liebe eine nächste Generation von Männern großzuziehen. Und das ist mir auch ein persönliches Anliegen. Ohne ständig dieses Narrativ des Patriarchats zu übernehmen, das Mutterschaft als etwas Minderwertiges ansieht. Da sind wir ganz stark geprägt von einer Generation von Feministinnen, die selber keine Kinder hatte und die nur gesehen hat, wie ungerecht die Machtstrukturen sind.

Aber die Machstrukturen sind ja auch tatsächlich ungerecht.

Natürlich sind Frauen bis heute nicht überall an gleicher Stelle und in gleicher Zahl vertreten. Aber das jetzt noch mal aufzubrechen und zu überlegen: Was ist eigentlich die feministische Sicht auf Mutterschaft? Und dann kommen natürlich auch die Erzieher*innen und die Lehrer*innen dazu - und das wäre eigentlich die große gesellschaftliche Veränderung, genau diese Aufgaben jetzt aufzuwerten. Wir haben ja während der Corona-Pandemie gesehen, wie wenig gesellschaftlichen Stellenwert sie genießen.

Wie sehr ist denn Feminismus in Ihren Augen an das Geschlecht gebunden? Also können, sollen, müssen Männer Feministen sein?

Unbedingt! Wir leben ja auch in Deutschland tatsächlich immer noch in patriarchalen Strukturen. Und diese patriarchalen Strukturen zu bekämpfen und aufzulösen, ist für mich Inhalt von Feminismus. Und es ist wichtig zu sehen, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer unter diesen Strukturen leiden und dass es uns allen damit nicht gut geht. Natürlich braucht man also dafür auch die Männer. Und es geht mir nicht darum, die Männer zu bitten, jetzt auch mal mitzumachen. Sondern es ist ein Eigeninteresse von Männern.

Brauchen wir wirklich noch mehr Leute, die nur für ihre eigenen Bedürfnisse eintreten und kämpfen?
Shila Behjat

Warum?

90 Prozent von Vergewaltigungsopfern sind Frauen. 90 Prozent von Morddelikten sind aber Männer, und beide Male sind Männer die Haupttäter. Also müssen sowohl Frauen als auch Männer vor männlicher Gewalt geschützt werden. Mir geht es darum, dass es da eine Allianz geben müsste. Und bei der Erwerbsarbeit sehe ich das sehr ähnlich: Dass man gerecht bezahlt wird und frei von Übergriffen arbeiten kann - das betrifft natürlich auch Menschen mit nicht deutscher Herkunft. Da müssen wir uns breiter aufstellen und nicht allein auf die Frauen fokussieren.

Was könnte das für Ihre Söhne, was könnte das für Männer allgemein bedeuten?

Die amerikanische Feministin Bell Hooks hat geschrieben, dass Männer sich im Patriarchat selbst die größte Gewalttat antun: indem sie sich abgewöhnen, Empathie oder Liebe anzunehmen und zu geben, die nicht sexuell konnotiert ist. Wenn Jungs uns als Vorbild sehen und wenn sie am eigenen Leib spüren, was Mitgefühl und Fürsorge eigentlich bedeutet - dann lernen sie auch, für andere einzustehen. Viel besser wahrscheinlich, als wenn man sie misstrauisch als künftiger Unterdrücker behandelt. Und ich glaube auch, dass die kommende Generation von jüngeren Männern durchaus sieht, wie schwer es für Frauen ist. Dass da eine Sensibilität für Ungerechtigkeit wächst. Und für diesen Kampf für Gerechtigkeit müssen wir auch die Männer gewinnen.


Shila Behjat, 1982 geboren, ist Journalistin und Publizistin mit deutsch-iranischen Wurzeln. Sie studierte Jura in Hamburg und Paris, war Korrespondentin in London, lebte als freie Journalistin in Indien und berichtete für das Frauenportal Aufeminin.com über Gleichstellung in der EU. Als Kulturredakteurin bei Arte verantwortet sie nun Dokumentationen und neue Formate. Sie moderiert regelmäßig vor der Kamera und auf Veranstaltungen. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.

Am Dienstag, 19. März, spricht Shila Behjat um 19 Uhr in der Kölner Stadtbibliothek mit der Deutschlandfunk-Redakteurin Sarah Zerback über ihr Buch „Söhne großziehen als Feministin - ein Streitgespräch mit mir selbst“ (Hanser, 200 Seiten, 23 Euro). Karten gibt es bei kölnticket, der Eintritt kostet 8 Euro (6/4).

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