Ballet of Difference im Depot 1Tanz Köln mit überragendem Richard Siegal

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Szenenbild aus der Vorstellung     

Köln – So produziert man wohl Bestseller-Abende: Ein Best-of der Stücke aus der jüngsten Vergangenheit mixen, super stylishe Kostüme, gewaltige, eine jede Magengrube erschütternde Elektro-Sounds – und natürlich: Ein Ballettensemble, so sexy und exzentrisch wie kaum ein zweites.

Das ist „Triple“, der neue Abend des Ballet of Difference, und der Titel trumpft zu Recht unbescheiden auf: Drei Erfolgsstücke aus den vergangenen acht Jahren kombiniert Richard Siegal hier, im Depot 1 des Schauspiel Köln. Wobei man mittlerweile bei seinem Werkverzeichnis mit diversen ähnlich klingenden Titeln ohnehin kaum noch den Überblick behält.

Zunächst „All For One (A.K.A. Spiral)“, 2021 für die eigene Kompanie choreografiert. Dessen einprägsamstes Merkmal ist eine grandiose Lichtinstallation von Matthias Singer: Meterhohe Neonröhren, in spiralförmigem Schwung auf die Bühne gebaut, die rhythmisch zur Musik von Markus Popp beleuchtet werden, gewissermaßen die elegante Version einer soundgesteuerten Disco-Lichtorgel.

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Die Spirale rahmt eine Art Laufsteg für die Tänzerinnen und Tänzer, die einzeln auf- und abgehen und die Siegal-Moves präsentieren wie exquisiteste Haute Couture. Grandios, wie so die für den Choreografen so typischen Widersprüchlichkeiten sichtbar werden: die Lässigkeit bei gleichzeitiger Formstrenge; die Hyper-Geschwindigkeit und absolute Kontrolle; die Codes aus der aristokratischen Historie und der popkulturellen Gegenwart – was an diesem Abend vor allem den Mix aus Ballett und Voguing meint. Letzterer ist ein heute ziemlich angesagter Tanzstil, der auf den homoerotischen Ballroom-Parties der 1990er Jahre in New York entwickelt wurde.

Schon 2014 griff Richard Siegal die damals noch weniger bekannte Underground-Ästhetik auf. So entstand „Metric Dozen“, das zweite Stück des Abends. Wo in „All For One“ die Sounds orgeln als wäre man in eine Spielautomaten-Halle geraten, da schlägt in „Metric Dozen“ der Elektroblitz ein. Noch bevor es im Zuschauerraum dunkel ist, kracht es das erste Mal, so dass auch wirklich jeder im Publikum den Fokus auf die Kunst richtet – gewissermaßen Haydns Paukenschlag-Sinfonie auf elektronisch, komponiert von Lorenzo Bianchi Hoesch. Scheinwerferlicht huscht über die Bühne, eine Atmosphäre wie in einem Horrorfilm. Wo lauert die Bestie? Es sind dann die Tanzteufel des Ballet of Difference, die so rasant losschnurren, als wären sie technisch gepimpte Cyborgs.

Leerdrehende Unterhaltungssucht der MTV-Generation

Das „Catwalk-Prinzip“ bestimmt auch hier die Choreografie: Auftritt – Tanz – Abgang. Genauso im letzten Stück, dem poppig-bunten „My Generation“ – zu elektronischen Pop-Pastiches von Uwe Schmidt –, das die leerdrehende Unterhaltungssucht der MTV-Generation bespöttelt, aber doch vor allem die Lust am flippigen Narzissmus feiert.

Hat hier die Selbstinszenierungs-Hysterie der Social Media nicht angefangen? Hip-Hop auf Spitzenschuhen, exaltiertes Clubdancing mit vertrackter Virtuosität, beckenbebende Ballettzitate wie bei Sexgott Prince. „Triple“ – wenn zeitgenössisches Ballett ein Blockbuster sein kann, dann auf diese Weise.

Nächste Vorstellungen: 17., 18. Februar, 12., 13. März, 1., 2. April, jeweils 19.30 Uhr, im Depot 1, 120 Minuten, zwei Pausen, Schauspiel Köln

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