Barockmusik aus KölnZwei Entdeckungen von Concerto Köln und Tatjana Vorobjova

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Die Mitglieder des Concerto Köln posieren in der 26. Etage des Köln-Triangle. Im Hintergrund ist der Dom zu sehen.

Das Ensemble Concerto Köln hat beim Label Berlin Classics eine Pisendel-CD eingespielt.

Zwei neue CD-Einspielungen zeigen die Vielfalt der Barockmusik. Concerto Köln rückt Pisendel ins beste Licht, die Cembalistin Tatjana Vorobjova lässt Scarlattis Sonaten singen.

Johann Georg Pisendel (1687-1755) war nicht nur der mutmaßlich beste Geiger der späten Barockzeit nördlich der Alpen, sondern auch ein einflussreicher und produktiver Netzwerker der europäischen Musikkultur(en). Als Konzertmeister der illustren Dresdner Staatskapelle stand er genauso in Verbindung mit deutschen Kollegen, darunter Bach und Telemann, wie mit französischen. Und als Vivaldi-Schüler trug er nachhaltig dazu bei, den neuen italienischen Concerto-Typ im deutschen Sprachraum zu etablieren.

Pisendels eigene Kompositionen – allzu viele haben sich nicht erhalten – zeigen ihn ausweislich der neuen ihm gewidmeten CD von Concerto Köln (beim Label Berlin Classics) als gelehrigen Schüler seines venezianischen Vorbilds. Am stärksten fällt das naheliegend in seinen Violinkonzerten auf, aus deren Idiomatik zumal im Solopart sich seine geigerische Sozialisation erschließen lässt. Aber auch im Kontrapunkt war Pisendel, wie eine konzertante Fuge zeigt, durchaus sattelfest. Und es gibt interessante Besetzungen: Ein D-Dur-Konzert firmiert zwar als Violinkonzert, ist tatsächlich aber ein Gruppenkonzert mit Hörnern, Oboen und Fagotten.

Großartig agiert die Konzertmeisterin Mayumi Hirasaki als Solistin

Wahrscheinlich wird kaum ein Hörer jetzt Pisendel zu seinem Lieblingskomponisten erklären wollen, aber die Interpreten tun erwartbar alles Erdenkliche, die Musik ins beste Licht zu rücken. Großartig agiert die Konzertmeisterin Mayumi Hirasaki als Solistin, die souverän über viele Spieloptionen gebietet: Sie zündet virtuose Feuerwerke, verfügt aber auch über ein beseeltes, gestenreiches Legato, das die langsamen Sätze zu instrumentalen Arien macht. Klar, die historische Geige und Spielweise reduzieren Klangvolumen und -opulenz, aber dass Pisendel wie Tschaikowsky klingt, wird im Ernst wohl auch niemand erwartet haben.

Das Ensemble begleitet knackig, rhythmisch zupackend, geradezu körperlich im Sound. Ein originell-exotisches Schmankerl ist eine Orchestersuite, in der – vielleicht in parodistischer Absicht – zeitgenössische Tanzcharaktere vorgestellt werden.

Die Cembalistin Tatjana Vorobjova stellt 18 der einsätzigen Sonaten Domenico Scarlattis vor

In ganz und gar andere Barockgefilde führt die neue CD mit der aus Riga gebürtigen, nach einem Studium bei Ketil Haugsand an der Kölner Musikgeschichte am Ort ansässigen Cembalistin Tatjana Vorobjova (bei MDG). Sie stellt 18 der einsätzigen Sonaten des italienisch-spanischen Clavier-Genies Domenico Scarlatti (1685-1757) vor, dessen spieltechnischen Innovationen wie harmonischen Experimente (ziemlich exzessive Chromatik) ihre Spur sogar in Bachs Goldberg-Variationen hinein legten.

Die CD hat einen merkwürdigen Untertitel: „... ma cantabile“ – aber sanglich. Tatsächlich scheinen Scarlatti und Kantabilität auf Anhieb einander ausschließende Gegensätze zu sein. Kann rauschende Virtuosität kantabel sein – und dazu noch auf dem Cembalo, wo der angerissene Ton gleich „weg“ ist?

Vorobjova führt auf ihrer klangprächtigen zweimanualigen Ruckers-Kopie eindrucksvoll vor, dass das sehr wohl geht – wobei sie sich freilich auch die „richtigen“ Stücke heraussucht. Die müssen übrigens nicht immer langsam sein – das möglicherweise berühmteste Stück ihrer Auswahl, die A-Dur-Sonate K. 24, hat die Tempovorzeichnung „Presto“. Absehbar war allemal, dass die Interpretin, obwohl sie an der Zählung Ralph Kirkpatricks festhält, aus dessen bevorzugter Paarbildung aussteigen würde. Deren Triftigkeit ist allerdings eh umstritten.

Vieles fördert den Charakter des Kantablen – ein dichtes Legato, ein gestenreiches Rubato, ein nonegales Spiel, das Schwerpunkte genau platziert und, nicht zuletzt, eine fantasievoll-farbenreiche Registrierung. Vielleicht wird da auf hohem Niveau auch Illusionsarchitektur hingestellt. Aber das macht nichts, wenn das Resultat überzeugt. Dank auch der ausgezeichneten Aufnahmetechnik klingt das Cembalo überaus präsent, man hört die Kiele und Saiten. Das ist kein aseptisches Gezirpe, sondern wunderbar blutvoll und vital.

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