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Bonner OperWie die gekürzte Version von „La Calisto“ ist

Lesezeit 4 Minuten
CALISTO

  • Francesco Cavallis Oper „La Calisto“ hat jüngst an der Bonner Oper Premiere gefeiert.
  • Auch hier hat die Corona-Pandemie Auswirkungen: Die im Original dreieinhalbstündige Oper musste gekürzt werden. Und zwar auf anderthalb Stunden.
  • Wie „La Calisto“ in der gekürzten Version ankommt und warum der Graben von dreieinhalb Jahrhunderten zum Jetzt teilweise leicht übersprungen wird.

Bonn – Steht uns etwa eine Öko-Oper ins Haus? Auf der Bühne dreht sich ein Haufen halb-gefügter Steinblöcke mit der Anmutung eines zerstörten Bunkers (auf der Vorderseite erinnert er mit seinen Treppenstufen an eine antike Theaterruine). Auf jeden Fall wird hier ein unwirtlich-lebensfeindlicher Ort vorgestellt – eine Katastrophe hat stattgefunden, es ist „the day after“.

Diese Deutung kann sich sogar auf das (auf Ovids „Metamorphosen“ fußende) Libretto zu Francesco Cavallis Oper „La Calisto“ berufen, die jetzt an der Bonner Oper  Premiere hatte. Sie beginnt damit, dass Jupiter und Merkur aus dem Götterhimmel auf eine durch den Sturz des Phaethon verwüstete Erde herabsteigen. In moderner Lesart könnte es sich dabei um einen Atom- oder Umwelt-Gau handeln, dies eine Anmutung, die Jens Kerbels Inszenierung und Bühnenbild nicht gänzlich verweigert, als Subtext mitlaufen lässt.

Ökodimension ist kein Hauptmotiv

Wenn sich das zerstörte Arkadien dann auf Geheiß Jupiters (de facto: durch die Videoinstallationen des Teams fettFilm) begrünt und ein Bächlein fließt, mag man das für einen schönen Traum halten, der am Ende wieder der Realität weicht: Eine steinige Erde kreist durch die schwarze Kälte des Kosmos. Die Regie macht daraus indes kein Hauptmotiv – die Ökodimension läge auch quer zu den zentralen Themen dieser frühbarocken Oper, die 1651 in Venedig uraufgeführt wurde und sich seit Raymond Leppards Wiederentdeckung 1967 gelegentlicher Präsenz auf unseren Bühnen erfreut.

Im Kern ist es die bekannte Story: Jupiter verliebt sich in die Nymphe Calisto, die ihn als keusche Dienerin der Göttin Diana aber abweist. Darob nimmt der lüsterne Chefolympier nicht die Gestalt eines Stiers oder Schwans, sondern diesmal eben der Diana an – worauf die Nymphe erwünscht zutraulich wird. Das Ganze geht nicht richtig gut aus: Jupiters eifersüchtige Gattin Juno kommt hinter den Seitensprung und verwandelt rächend Calisto in eine unerotische Bärin. Dafür entschädigt  Jupiter diese wiederum, indem er ihr verheißt, sie als Sternbild am Himmel zu verewigen – als „Großen Bären“ eben.

Auffällige Verflüssigung der Geschlechteridentitäten

Diese Haupthandlung wird bei Cavalli mit einer Fülle von Nebensträngen mit zusätzlichen Dreieckskonstellationen und weiterem Personal (Göttern, Satyrn und Furien) angereichert. Bemerkenswert ist allemal die – von Kerbel markant ausgespielte – Verflüssigung der Geschlechteridentitäten. Ist schon das Verhältnis der Calisto zur (falschen) Diana  homoerotisch, so geht es überhaupt mit Männlein und Weiblein sowohl auf der Darstellerebene (Frauen in Männerrollen und umgekehrt) wie auf der der Darstellung munter durcheinander.

Und immer wieder fällt auf, welche Fundgrube an Komödienmotiven diese Frühzeit der Gattung für Späteres darstellt: Jupiter, ist er nicht ein vorweggenommener Almaviva oder Don Giovanni? Merkur – ein Leporello avant la lettre? Die zänkischen Weiber – Marzelline und Susanna? Und gemahnt das Ganze nicht an „Cosi fan tutte“?

Oper stark gekürzt

Im Original dauert Cavallis Oper, die sich stilistisch von Monteverdi aus in Richtung Hochbarock bewegt, freilich immer noch Rezitativ, Arioso und Arie nicht so trennt, wie es dann in der neapolitanischen Oper der Fall sein wird – im Original also dauert sie dreieinhalb Stunden. Weil das unter Corona-Bedingungen (Pausenfreiheit!) nicht zu machen ist, wurde in Bonn ein üppiges Streichkonzert fällig.

Indes sind auch die dortigen anderthalb Stunden sattsam genug, mehr steckt einfach nicht drin. Sicher bringt die Regie das Werk so anschaulich, verständlich und teils auch unterhaltsam auf die Bühne, dass man das Fehlen einer Leitidee verschmerzen kann. Und immer wieder wirken die Charaktere überraschend jetztzeitig – etwa Satirino als respektlose Unterschichten-Göre. Da wird der Graben von  mehr als dreieinhalb Jahrhunderten mühelos übersprungen. Für einen längeren Abend wäre das trotzdem zu wenig, da hätte Kerbel noch ganz anders auftrumpfen müssen.

Musikalischer Aspekt ist erfreulich

Indes: Die Abstandsregeln sind für eine ambitionierte Personenregie ein Hemmschuh – was man in Bonn nicht auf den ersten, wohl aber auf den zweiten Blick merkt. Erfreulich der musikalische Aspekt: Die Sänger (oft in Doppelrollen) stellen eine lebendige und homogene Ensembleleistung hin. Klar, in der Gesangswelt des 17. Jahrhunderts sind sie nicht gerade zuhause, aber dass hier nicht krampfhaft auf Alte Musik getrimmt wird, sollte nicht zu Tadel Anlass geben.

Sie alle seien also gelobt für eine intensive Performance mit schönen, präsenten Stimmen samt Ausflügen ins Veristisch-Humorige: Tobias Schnabel (Jupiter), Giorgos Kanaris (Merkur), Lada Bocková (Calisto), Benno Schachtner (Endimione), Ava Gesell (Satirino), Susanne Blattert (Pan), Charlotte Quadt (Diana), Marie Heeschen (Juno).

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Exzellent agiert auch das auf elf Musiker abgespeckte Beethoven Orchester. Hermes Helfricht am Pult entlockt ihm immer wieder glühende Klangreden – da wird die Dürre zur Fülle.

Weitere Aufführungen: 8., 11., 18. Oktober, 1. November   

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