Regisseur Dominik Graf im Interview„Jedes Videospiel hat mehr zu bieten“

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ARTIST TALK DOMINIK GRAF_©Caroline Link

Dominik Graf

  • Dominik Graf, ein vielfach prämierter Regisseur, wird am Donnerstagabend im Rahmen des Film Festival Cologne mit dem Filmpreis Köln ausgezeichnet.
  • Unser Autor sprach mit ihm darüber, wie es sich anfühlt, diesen Preis zu erhalten und darüber, wie es ist, Rekordhalter beim Grimme-Preis zu sein.
  • Außerdem spricht Graf über die Zukunft des Kinos, das mit Netflix und Co. kämpft, und über die Deutsche Filmakademie.

Herr Graf, Sie sind der diesjährige Preisträger des Filmpreises der Stadt Köln. Da denkt man was …? Die Liste der Leute, die vor mir prämiert wurden, ist imposant. Insofern frage ich mich, was ich neben solchen Giganten zu suchen habe. Aber es freut mich natürlich.

Sie sind Rekordhalter beim Grimme-Preis. Gewöhnt man sich da ans Gewinnen?

Nee, man gewöhnt sich nicht dran. Ich habe ja zwischendurch auch mal zehn Jahre lang nichts mehr gewonnen. Die Freude bleibt. Man muss aber bei Preisen immer gucken, wer da sonst noch einen kriegt und wie die Ausrichtung eines Preises sich über die Jahre verändert. Ich habe auch schon Auszeichnungen erhalten, da stand ich auf der Bühne, sah mich um und dachte, was habe ich hier zu suchen? Was hab ich falsch gemacht? Aber die Zweifel schluckt man dann tapfer runter.

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Wo sehen Sie sich derzeit als Filmemacher?

Ich hab mir zu Vorbereitung auf unser Gespräch ein Zitat aus einer positiv gemeinten Kritik meiner letzten „Polizeiruf“- Folge aufgeschrieben: »Dabei geht es dem Drehbuchautor Schütter und dem Regisseur Graf lediglich um einen Vorwand für ein Spiel mit den Mitteln des Kinos einer etwas älteren Schule, um Bilder und Erzählmomente vom Schmutzigen und Schwitzigen, die aus Exploitation-Filmen abgeschaut sind.«

Faszinierend.

Wie gesagt, positiv gemeint. Aber wenn man das Schmutzige und Schwitzige und Exploitation, das man ja grundsätzlich unter Körper-Film subsummieren könnte, nur einem „Kino der älteren Schule“ zuweist – das heißt ja im Umkehrschluss, dass modernes Kino körperfeindlich und sauber sein muss, sonst ist es nicht modern.

Zutreffend.

Das Kino entfleischlicht sich also? Im realen Leben gibt es Physis ja noch, hoffe ich jetzt mal. Aber will denn der Zuschauer, dass diese Negativdefinition – sauber und körperlos – so bleibt? Und ist denn ein älteres Kino, in diesem Fall jenes aus den 70er Jahren, wirklich alt, oder ist das zeitgemäß Jetzt-Zeit-Kino nicht vielleicht viel greisenhafter? Und folgen die meisten Kreativen der jugendfreien Doktrin, weil sie sonst nicht finanziert werden?

Viele bevorzugen hoch budgetierte Glanzware aus den USA, die wenig bis keine Bereitschaft zu Neuem oder Risiko erlaubt.

Ja, ich sehe ja an mir selber, dass ich kaum noch in amerikanische Filme gehe.

Ist das Kino damit out? Gehört die Zukunft den Streaming-Diensten?

Warum das denn? Die Streaming-Dienste erweisen sich doch letztlich als genauso konventionelle Plattformen, ihre Filme leiden unter Format-Befehlen und Auflagen aus der Chefetage genau wie bei den bekannten Sendern.

Und steht das Kino vor dem Ende?

Das Kino selbst ist ein heiliger Raum – auch wenn die Filme schwächer werden – und es bleibt forever systemrelevant. Dieser Ort muss ja überleben. Weil er sich von den Nutzungsvarianten der Streaming-Dienste als Flatscreen oder Laptop zu Hause fundamental unterscheidet. Der schwarze Raum, abgeschlossen von der Außenwelt, vor einem die Leinwand als eine öfter auch mal ziemlich rechtsfreie – man denke an die Italowestern etc. – Projektionsfläche. Das Kino ist eine Oase.

Ah, das individuelle Erlebnis.

Ich bin immer in die früheste Vorstellung gegangen, um mit dem Film allein zu sein. Allerdings, ein randvoller Kinosaal mit Leuten, die bei einem Spektakel wie „Krieg der Sterne“ mitgehen, dazu die Kommentare und die Essgeräusche, das hat auch was. Das existenzialistische Gewaltkino, mit dem ich groß geworden bin, war weniger Gemeinschaftserlebnis. Es traf einen, selbst wenn der Saal voll war, solo ins Herz.

Wo sitzen Sie am liebsten im Kino?

Eher vorne, so in der Mitte, 7. oder 8. Reihe.

Was war der letzte deutsche Film, den Sie im Kino sahen?

Letzten Sonntag, die Oskar-Roehler-Premiere „Enfant Terrible“. Hat mich umgehauen und bestätigt, dass in Deutschland beständig einzelne gute Filme entstehen.

Was finden Sie noch gut?

Grandios und schön schockierend finde ich „Wintermärchen“ von Jan Bonny. Liebevoll-mythisch war „Zwei Herren im Anzug“ von Sepp Bierbichler. Und dann kommen aus der Berliner Schule durchweg interessante, reflektierte Filme, manche sind Meisterwerke. Insofern muss man sich im deutschen Kunstkino-Sektor keine Sorgen machen. Aber der Mainstream beschränkt sich hierzulande auf Kinderfilme und Komödien. Das sind die einzigen, die noch ab und zu richtig Geld machen. „Fack ju Göhte“ fand ich super, aber auch das kriegt man nicht am Fließband hin. Und warum gibt es keinen anderen Mainstream mehr? Spannung? Emotionen?

Stattdessen?

Was überwiegend hergestellt wird, sind mittlere Arthouse-Filme, Themenfilme, Filme, in denen politische Agenden abgearbeitet werden. Die locken per se kein großes Publikum in die Kinos, sind aber schön preis- und ehrenwert. Corona hat nur deutlicher ans Licht gezerrt, wie sehr die Massentauglichkeit des deutschen Films gen Null tendiert.

Zur Person

Dominik Graf, 1952 in München geboren, ist einer der renommiertesten und meistprämierten Filmschaffenden Deutschland. Allein den Grimme-Preis hat er zehnmal gewonnen. Seiner Kinokarriere steht ein umfangreiches Fernsehschaffen gegenüber mit trendsetzenden Beiträgen für „Tatort“ und „Polizeiruf 110“, für Aufsehen sorgte auch seine Serie „Im Angesicht des Verbrechens“.

Er ist Professor an der Internationalen Filmschule Köln. Am Donnerstagabend wird er im Rahmen des Film Festival Cologne mit dem Filmpreis Köln ausgezeichnet.

Gegenentwürfe wie der Politthriller „Das Ende der Wahrheit“ fielen aber ebenso durch wie sämtliche Gangsterfilme oder ambitionierte Jugendfilme.

Ja, „Ende der Wahrheit“ war ein starkes Ding. Ich fürchte, der mangelnde Zuspruch liegt daran, dass die Leute a priori auf solche Art von deutschem Kino keine Hoffnung mehr setzen. Dass man automatisch denkt, beim Genre haben wir nichts zu bieten, das machen wir ja im Fernsehen. Aber natürlich kannte das deutsche Kino auch Massenpublikums-wirksame Genre-Erzählformen, die man halt dann auch mal ab 16 oder sogar ab 18 planen muss. Irgendwo muss man mit einem Unterhaltungskino jenseits der Komödie ja wieder anfangen.

Nun haben wir ja gelesen, dass es in Ihren Filmen schmutziger und schwitziger zugeht als andernorts.

Ich mach doch nur das, was mich das Kino gelehrt hat. Ich versuche auch in meinen Fernsehfilmen physisch zu erzählen. Ich wuchs sehr bürgerlich auf, das radikale Kino war für mich eine Sensation.

Wenn das Publikum aber nun lieber was anderes will?

Das, was an Publikum übrig ist meinen Sie? So wie das Fernsehen die Jugend verloren hat, weil sie partout kein Fantasy produzieren wollten, so hat auch das Arthaus-Kino eine ganze Generation in die Wüste getrieben. Die Schauwerte sind zu gering. Jedes Videospiel hat heute mehr zu bieten.

Man hat eben neue Götzen, etwa die Digitalästhetik.

Ich halte dagegen, dass es im Kino etwas gab, das man klassische Erzählung nennt. Dass gewisse Dinge – Figuren, Konflikte – immer funktioniert haben, dass sie zeitlos blieben – solange, bis das Kino sich zu sehr gentrifiziert hat.

Und Schauspieler mit Ausstrahlung.

Naja, wandelnde Monumente wie im Kino der 40er, 50er und 60er Jahre gibt es nicht mehr. Möglich, dass Schauspieler heute überwiegend damit beschäftigt sind, auf Teufel komm raus ihr Image oft zu variieren. Die großen Stars früher waren Frauen und Männer, die durch schiere Präsenz überzeugten, sie spielten wenig, sie »waren«. Das hat ihnen eine Kontinuität und Identifikation gegeben und auch diese Göttergleichheit. Der Gang von John Wayne war immer derselbe. Heute will der Star für seinen nächsten Film einen neuen Gang erfinden. Das haben früher nur Nebenrollen gemacht, damit sie auffielen.

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.

Das sind nur kleine Defizite, die sich aber summiert haben und die das Kino kontinuierlich kleiner wirken lassen. Nicht jeder muss das für sich so benennen, aber ich glaube, es hat sich eine Übereinkunft geformt, dass dem Kino etwas abhanden gekommen ist. Soweit einem das Kino der großen Publikumszahlen noch präsent ist.

Sie waren 2003 eines der Gründungsmitglieder der Deutschen Filmakademie. Sind Sie mit der Institution zufrieden?

Also, erstens funktioniert sie nicht wie die Academy beim Oscar. Auf der einen Seite holen zwar die Komödien von Schweiger, Schweighöfer und Dagtekin den Löwenanteil der Jahreskinoeinnahmen, aber für einen Preis kommen sie offenbar nicht in Frage. Für mich zeigt sich da eine bedenkliche Schizophrenie, wenn Til Schweiger einen Publikumspreis für »Honig im Kopf« bekommt und bejubelt wird – aber nicht mal eine Nominierung für den besten Film erhält!? Das ist in Amerika völlig anders. Und obendrein gibt es bei der Akademie Vor-Jurys , die Spitzenfilme aus der Auswahl entfernen, weil sie vielleicht zu polarisierend sein könnten. Das ist dann halt nur eine Mittelmaß-Sekte, aber keine Akademie mehr.

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Brauchen wir in Deutschland eine Geschlechterquote beim Filmemachen?

Naja, die Kolleginnen sagen „ja“ und sie werden es schon berechtigterweise so empfinden. Aber es ist traurig. Der deutsche Autorenfilm hatte großartige Regisseurinnen, international anerkannt, ebenso radikal wie ihre Männer-Kollegen. Vor kurzem gab es einen deutschen Kino-Jahrgang, da haben nur Frauen die stärksten Filme gemacht. Ich konnte für das 50 Jahre Tatort –Jubiläum einen Doppel- Film machen mit der großartigen Kollegin Pia Strietmann. Für mich existiert nur Qualität als Auswahlkriterium, nicht Geschlecht - oder wie neuerdings Alter, was ich ideologisch hochgefährlich finde. Aber wenn es denn so ist, dass Frauen systemisch benachteiligt werden, muss etwas passieren, keine Frage.

Gibt es etwas, das Sie gern gemacht hätten, aber nicht getan haben?

Ja, einiges. Ich wollte beispielsweise einen Zweiteiler machen über Michael Buback, erzählen, wie der Sohn versucht, die Wahrheit über den Mord an seinem Vater 1977 herauszubekommen. Das Projekt ist nach fast drei Jahren Arbeit am Buch und an der Produktion quasi eingeschlafen, weil einige Kräfte sich, sagen wir mal, nicht dafür eingesetzt haben. Das ist zweieinhalb Jahre her, und in genau dieselbe Zeit fiel dann aber ein SWR-Tatort, „Der rote Schatten“, in dem es um Altterroristen, Verfassungsschutz und die Nacht von Stammheim gehen sollte. Ich konnte das eine nicht machen, das sich dann aber mehr oder weniger in einem anderen Projekt implementierte. Letztlich wird alles, was ich liebe, was mich vital interessiert, auch in meiner Filmografie enthalten sein, glaube ich. Vielleicht hab ich einiges davon nicht so geschafft wie ich es wollte, aber dafür kann dann niemand was, außer mir selbst.

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