Bonner OpernpremiereTrump als römischer Kaiser neben der Gründerin Kölns

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Die Bühne zeigt Säulen, Marmorwände und antike Muster. Kaiser Claudius wird als Trump inszeniert, hat einen weißen Anzug mit roter Schärpe an, aber einen goldenen Lorbeerkranz auf dem Haupt.

In der Bonner Oper treffen Antike und Gegenwart aufeinander

In der Bonner Opernpremiere „Agrippina“ treffen Antike und Gegenwart aufeinander.

Man hat es als Kölner/Kölnerin hinzunehmen: Die Person, die dafür sorgte, dass die Stadt im Jahre 50 nach Christus zur römischen Kolonie erhoben wurde, war der Überlieferung zufolge keine sympathische Person. Agrippina die Jüngere also, die Gattin des Kaisers Claudius und Mutter Neros, des ihm folgenden berüchtigten Tyrannen, war tückisch, machtgeil, grausam und mordlüstern.

So richtig sympathisch kommt sie auch nicht herüber in Händels früher, 1709 in Venedig uraufgeführter Oper, die ihren Namen trägt und jetzt in einer Neuproduktion an der Bonner Oper zu sehen ist. Bereit, für die Kaisernachfolge ihres Sohnes über Leichen zu gehen, benutzt sie die Hofchargen wie Figuren auf einem Schachbrett, spinnt eine üble Intrige nach der anderen und lügt, sobald sie nur den Mund aufmacht.

In der Bonner Oper triumphieren die Bösen

Das ist Machiavelli pur – und (fast) alle fallen auf sie herein. Schließlich bekommt sie sogar noch ihren Willen: Nero wird, in Übereinstimmung mit der Geschichte der frühen Kaiserzeit, zu Claudius’ Nachfolger ausersehen. Von wegen, dass die Bösen in der Oper immer bestraft werden. Köln kommt bei Händel übrigens glücklicherweise nicht vor.

Wer indes vorkommt, das ist Poppea, Neros nachmalige zweite Frau, die – Agrippina als einzige ebenbürtig in Sachen Verschlagenheit und Selbstbehauptungswillen – am Ende ihren Geliebten, den Feldherrn Ottone (historisch: Otho), heiraten darf. Damit wird thematisch ein Bogen zu Monteverdis letzter Oper zurückgeschlagen, in der sie als treibende Kraft hinter Senecas Selbstmord steht. Hier triumphiert am Ende gleichfalls aufs herrlichste die Amoralität.

Inszenierung von „Agrippina“ mit Trump als Kaiser Claudius

Zurück zur Bonner „Agrippina“. Was in der Papierform nach einer deprimierenden Angelegenheit aussieht, ist das de facto keineswegs.   Wenn das Werk in der Inszenierung von Leo Muscato als Slapstick-Komödie, als überdrehte Parodie auf einen höfischen Machtzirkus herüberkommt, dann wird es damit keineswegs vergewaltigt. Der Intrigantenstadel als Boulevardstück – so ist es bei Händel und seinem Textbuchlieferanten Grimani bereits angelegt. Die venezianische Oper des frühen 18. Jahrhunderts war eben keine lupenreine Opera seria, sondern eine Gattung, in der sich Tragisches und Komisches ungezwungen mischten.

So gibt es in Bonn tatsächlich wenig zu beweinen und viel zu belachen: Kaiser Claudius kommt als Trump-Parodie (was insofern naheliegt, als dem Ex-Präsidenten von Haus aus alle Züge einer Selbstparodie eigen sind), Agrippina als hyänenhafte Diva in immer neuen Outfits und Perücken (Kein Kern, nur Verkleidung), Poppea als rotzig-kaugummikauendes Girlie, das (ein bisschen zu oft) mit dem Hinterteil wackelt.

Bühne und Kostüme zeigen Motive der Antike

Die Männer, von Agrippina zu Recht verachtet, sind, voran die Höflinge Pallante und Narciso, bis auf Ottone stark übergewichtig – was immer wieder Anlass zu etwas wohlfeiler Dicken-Komik gibt. Ein schwabbeliger Bubi ist auch Nero, ein launisches Muttersöhnchen, das übrigens schon hier – Anspielung auf den von ihm nachmalig ins Werk gesetzten Rombrand – eine starke Affinität zu Feurigem hat.

Eingebettet wird das Ganze in ein Bühnenbild (Federica Parolini), das Antikenmotive zitiert – auf einer Drehbühne markieren über Eck gestellte dorische Säulen einen Palast, und es ist pompejanisches Rot zu sehen –, mit denen man es allerdings nicht zu genau nahm. Das gilt auch für die Kostüme: Passt etwa Neros Jogginghose ins Altertum? Das macht aber nichts, weil es nicht um Geschichtsunterricht geht, sondern – wenn überhaupt – um Geschichte im Zustand ihrer farcenhaften Verzerrung.

Ein paar Gags laufen sich tot, aber insgesamt hat die Sache Tempo, Vitalität und Schwung – der gegen Ende der Aufführung sogar noch zunimmt. Ganz wesentlich trägt dazu Rubén Dubrovsky am Pult des Beethoven Orchesters bei, der im Graben über pulsierendem Continuo eine zügig und lebendig, pointiert und fokussiert funktionierende Barockmaschine anwirft.

Eindrucksvolle Leistungen der Sängerin Louise Keménys

Weithin eindrucksvoll sind auch die Sängerleistungen – zumal die Darsteller das ihnen verordnete Rollenprofil mit Verstand, Herz und Seele annehmen: Louise Keménys großartig dämonischer Agrippina mit der imposant lodernden Höhe hört man halt an, dass die Figur immer die Unwahrheit singt. Marie Heeschen mit so leichtem wie kraftvollem Sopran sitzt Poppeas Schulmädchen-Appeal wie angegossen.

Pavel Kudinov als Claudio-Trump agiert potent, raumfüllend, klangvoll in der Tiefe und gleichfalls mit gut entwickeltem Sinn für das Uneigentliche der Partie. Lada Bockova als Nero erfreut mit gewandten Koloraturen, der Altus Benno Schachtner als Ottone und mithin einzige „positive“ Gestalt in diesem Bestiarium darf als einziger wahrhaft seelenvolle Töne hören lassen. Tadellos ist auch die Besetzung der Nebenrollen.

Fazit: Ein so unterhaltsamer wie musikalisch gewinnender Abend, über drei Stunden hinweg ohne jene Langeweile-Anflüge, für die die Barock-Oper zuweilen leider gut ist. Das Premierenpublikum reagierte entsprechend begeistert.

Nächste Aufführungen: 4., 10., 12., 26. Februar

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