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Bruce Springsteen50 Jahre „Born to Run“ – doch heute läuft der Boss vor niemandem weg

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Bruce Springsteen bei einem Auftritt im Olympiastadion in Barcelona 2023. (Archivbild) Der „Boss“ rockt seit Jahrzehnten auf Bühnen in der ganzen Welt.

Bruce Springsteen bei einem Auftritt im Olympiastadion in Barcelona 2023. (Archivbild) Der „Boss“ rockt seit Jahrzehnten auf Bühnen in der ganzen Welt.

Mit „Born to Run“ legte Bruce Springsteen 1975 den Grundstein für seine Weltkarriere. 50 Jahre später feiert Amerika das Album und den Sänger. 

Das Album, das Bruce Springsteens Leben veränderte, sein Drittes nach zwei Flops, sollte erst „American Summer” heißen. Denn die Geschichten, die darauf sind, spielen sich, so erzählte Bruce Springsteen viel später dem Magazin „Classic Rock“, auch im Sommer ab – im Verlauf eines Tages und einer Nacht. Es waren noch andere Titel im Schwange, aber schließlich machte „Born to Run“ das Rennen, eine Phrase, die Springsteen eines Nachts in seinem damaligen Zuhause in West Long Branch in den Sinn gekommen war und die ihm perfekt schien für seine neuen, cineastischen Storys.

Der gleichnamige Song war der Wendepunkt – für den E-Street-Band-Rock’n‘Roll der fortan nach Rummelplatz, Feuerwerk und Küssen klang. Das Album verlieh dem Sänger und seiner E Street Band, die sich hier ihrer klassischen Besetzung näherte, Star-Status. Danach kannte ihn nicht nur die US-Ostküste.

Einsame Verlierer, die vom Gewinnen träumen

Geprägt ist der große Wumms von den Rock’n’Roll-Helden der 50er und 60er-Jahre, auch von den R&B-Größen und den Girl Groups, die zum klingelnden Mammutsound von Phil Spector „Be My Baby“ sangen. Und es werden darauf Geschichten von einsamen Verlierern erzählt, die vom Gewinnen träumen, und von dem Mädchen, Wendy oder Mary, ohne das nichts geht.

„Born to run“ – das bedeutet „geboren zu sein, um vorwärts zu rennen, fortzukommen, um sein Fortkommen zu sichern, das bessere Leben“.

„Born to Run“ fand Aufnahme in die „National Recording Registry“

Doch wann spricht man eigentlich von einem Jahrhundertalbum? Der Begriff hat Kratzer, wurde eine zu oft genutzte Prophezeiung von Musikkritikern. „Born to Run“ hat jetzt immerhin ein halbes Jahrhundert hinter sich. Am 25. August werden die nur acht Songs (39 Minuten) 50 Jahre alt. Springsteens drittes Album wird als Meilenstein angesehen für die Entwicklung der Rockmusik, für ein nie verjährendes Gefühl von Jungsein, Enge und Ausbruch.

Superstar Bruce Springsteen verlässt im Juni 2023 sein Hotel in Düsseldorf, wo er eins seiner drei Deutschland-Konzerte in diesem Jahr spielte.

Superstar Bruce Springsteen verlässt im Juni 2023 sein Hotel in Düsseldorf, wo er eins seiner drei Deutschland-Konzerte in diesem Jahr spielte.

2003 wurde „Born to Run“ von der Library of Congress in die „National Recording Registry“ übernommen, die Liste von Aufnahmen, die für die USA „kulturell, historisch oder ästhetisch bedeutsam“ sind. Mehr Lametta geht kaum.

Am meisten zählt für ein Jahrhundertalbum der Live-Test

Und vom 4. bis 7. September wird das Album an der Monmouth University von New Jersey gefeiert - mit einem Symposium, einer wissenschaftlichen Konferenz, einer Ausstellung und einer Vorführung von seltenem Filmmaterial von den Sessions damals.

Was aber am meisten zählt für den Century-Status, ist der Livetest: Auf der „The Land of Hope and Dreams“-Europatour von Bruce Springsteen und der E Street Band versetzten sich von Mai bis Juli erneut Hunderttausende in die Zukunftseuphorie des jungen Mannes, der seine Liebste romantisch überwältigt: „Ich will mit dir sterben, Wendy, heute Nacht, auf der Straße / in einem immerwährenden Kuss.“

Ein Chor der Massen stürzte, unbesehen vom Alter, ins Lebensgefühl des Aufbruchs: „Wir müssen hier raus, solange wir jung sind / cause tramps like us … baby, we were born to run!“

Nach der Trump-Kritik: Springsteen ist zurück in den USA

Zum „Born to Run“-Symposium werden für den 6. September auch Interviews mit Musikern der E Street Band versprochen. Namentliche Ankündigungen fehlen, aber es ist wahrscheinlich, dass sich Springsteen auch blicken lässt, wenn es um sein Opus magnum geht. Denn der „Boss“ ist wieder in den USA. Er war in seiner Heimatstadt Freehold, New Jersey, gesehen worden, nachdem er in den Stadien der sogenannten Alten Welt in aller Schärfe und Eloquenz gegen das demokratie- und menschenfeindliche Wirken der Trump-Regierung zu Felde gezogen war.

Joe Biden überreicht dem Musiker Bruce Springsteen die National Medal of the Arts 2021 im Weißen Haus in Washington. Sie an Künstler verliehen, die einen besonderen Beitrag zur amerikanischen Kultur geleistet haben.

Joe Biden überreicht dem Musiker Bruce Springsteen die National Medal of the Arts 2021 im Weißen Haus in Washington. Sie an Künstler verliehen, die einen besonderen Beitrag zur amerikanischen Kultur geleistet haben.

Der US-Präsident hatte dem Musiker in gewohnt unpräsidialer Weise - gekleidet in das Vokabular von Schimpf und Schmäh - gedroht: Man werde sehen, was nach seiner Rückkehr mit ihm geschieht. Springsteen wiederholte seine Kritik Abend für Abend, von Manchester bis Milano, unbeeindruckt von Trumps Tiraden. Er brachte eine EP heraus, auf der alle Welt seine Brandreden für Freiheit und Demokratie nachhören konnte.

Und ließ im Interview mit der englischen „Sunday Times“ am 22. Juni viel Grauen hören: „Die reine Inkompetenz dieser Regierung mag die Saat ihrer eigenen Zerstörung in sich tragen. Aber ich weiß nicht, was passieren wird. So eine Zeit habe ich in meinem ganzen Leben nicht erlebt und ich bin 75 Jahre alt.“

Es gab keine Nachrichten über Springsteens Rückkehr

Die allgemeine Erwartung war, Boss und Tross würden am symbolträchtigen Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli, in die USA zurückkehren. Die US-Medien aber schwiegen zu dem Thema. Zweieinhalb Wochen lang gab es keine Nachricht über den Aufenthaltsort des Sängers und seiner Bandmitglieder, die durch ihr Musizieren für Springsteen gemäß Trumps Weltsicht wohl als dessen „Komplizen“ zu betrachten wären. Fast schien es, als wollte man nur keine schlafenden Hunde wecken.

11.06.2025, Berlin: Während des Konzerts von Bruce Springsteen and The E Street Band im Olympiastadion läuft folgender Text über die Großbildleinwand: «Das Amerika, das ich liebe, über das ich für Euch geschrieben habe, das seit 250 Jahren ein Leuchtturm der Hoffnung und der Freiheit ist, befindet sich derzeit in der Händen einer korrupten, inkompetenten und verlogenen Regierung. Heute Abend bitten wir alle, die an die Demokratie und an das Beste glauben, ihre Stimme zu erheben und die Freiheit erklingen zu lassen.» Foto: Annette Riedl/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Während des Konzerts von Bruce Springsteen and The E Street Band im Olympiastadion läuft folgender Text über die Großbildleinwand: „Das Amerika, das ich liebe, über das ich für Euch geschrieben habe, das seit 250 Jahren ein Leuchtturm der Hoffnung und der Freiheit ist, befindet sich derzeit in der Händen einer korrupten, inkompetenten und verlogenen Regierung. Heute Abend bitten wir alle, die an die Demokratie und an das Beste glauben, ihre Stimme zu erheben und die Freiheit erklingen zu lassen.“

Dann betrat Springsteen am Sonntagabend (20. Juli) die Bühne des MetLife-Stadium in East Rutherford, wie Tageszeitungen in New Jersey und der „Hollywood Reporter“ am Montag berichteten.

60.000 Zach-Bryan-Fans bejubeln den Boss

Als Zach Bryan, 29-jähriger Country-Superstar aus Oklahoma, gegen Ende seines dritten Konzerts im mit 60.000 Leuten ausverkauften Stadionrund mit breitem Grinsen „einen der großartigsten Männer, die je existierten“, ankündigt, hört man im Video schon die lautstarken, kollektiven „Bruuuuce!!!“-Vermutungen des Publikums, die dann in tosenden Jubel übergehen, als Springsteen auf die Bühne kommt.

Erster US-Auftritt 2025. Mit Caleb Followill von den Kings of Leon, Bryans Vorband, als Drittem im Bunde rocken sie „Atlantic City“, Springsteens Lied vom „Nebraska“-Album über Liebe und Verstrickung ins Verbrechen, über ein Paar, dem das Glück in der Stadt am Meer ausgeht. Vierminutenkino in Musik.

Es ist nicht sein Konzert, nicht sein Publikum, aber so schlecht scheint es um Springsteens US-Fanbase doch nicht bestellt zu sein. Die Leute in der MetLife sind nach der gemeinsamen Zugabe, Zach Bryans Outlaw-Rocker „Revival“, völlig aus dem Häuschen - auch für ihren „patron saint of New Jersey“, wie Springsteen von den Leuten im „garden state“ genannt wird.

Vermutlich hat Springsteen sich mit Ehefrau Patti zurückgezogen

Wo er war? Abgetaucht. Man kann nur vermuten, dass sich der 75-Jährige auf seine Farm in Colt’s Neck, neun Kilometer von Freehold entfernt, zurückgezogen hat. Zeit mit Ehefrau Patti Scialfa zu verbringen, die wegen ihrer 2018 diagnostizierten Leukämieerkrankung nur noch selten mit der E Street Band auf der Bühne steht. Über ihren aktuellen Gesundheitszustand ist nichts bekannt, „ihre Krankheit und das, womit sie zu kämpfen hat, haben für mich oberste Priorität“, sagte Springsteen im Vorjahr in einem Interview mit dem britischen „Telegraph“.

Alles, was in der E Street geschieht, geschehe nur mit ihrem Okay. Das Versprechen in Springsteens Zeilen, mit denen so viele Konzerte endeten, gilt: „I’ll wait for you, and should I fall behind, wait for me …”

Springsteen vs. Trump: Bei der aktuellen Stille wird es kaum bleiben

Von Trump war auch nichts mehr zu hören. Aus Respekt vor dem Erfolg? Der seiner Meinung nach „stark überschätzte“ Springsteen, der „kein talentierter Typ“ sei, „nur ein aufdringlicher, unausstehlicher Trottel“, hat eine der zehn erfolgreichsten Tourneen der Rockgeschichte hinter sich, wie das „Billboard“-Magazin am 16. Juli vermeldete. 4,9 Millionen verkaufte Tickets, 730 Millionen Dollar Einnahmen als Bilanz. Wer wie Trump in Deals und Dollars denkt, muss da kurz Pause machen.

Es wird nicht bei Stille bleiben, dazu ist der Mann im Oval Office zu rachsüchtig. Und der Springsteen von 2025 ist nicht mehr der 25-jährige „born to run“-Typ. Er wird seine Trump-Kritik nicht zurücknehmen, wird sie wiederholen, aktualisieren, vertiefen.

Nicht, um die Maga-Anwürfe über den Feigling, der sich nur im Ausland was traut, zu entkräften, sondern um für seine Idee eines Amerikas des Anstands einzutreten, die US-Demokratie vor ihren Abrissbirnen zu retten. Und wenn er das tut, wird auch Trump wieder posten.

Maßnahmen gegen Springsteen würden auf Trump zurückfallen

Werden wir dann auch „sehen, was mit ihm passiert?“ Springsteen hat die Songs, die weltweite Reputation eines Ehrenmanns und Kumpels, und eine zig Millionen zählende Fanbase. Eine aktive Maßnahme würde auf Trump zurückfallen. Dann wäre er entlarvt als der Despot mit Gangster-Entourage, als den ihn Springsteen brandmarkte.

Solch schlechte Eindrücke gilt es tunlichst zu vermeiden. Trumps Zustimmungsraten in den USA fallen kontinuierlich, auch wegen seines Umgangs mit Menschen bei seiner Verfolgung illegaler Migranten - laut einer aktuellen CBS-Statistik von 55 Prozent im Februar auf 42 Prozent im Juli.

Die Oscar-Akademie feiert Springsteen mit einem neuen Preis

Die Oscar-Akademie wird Springsteen am 18. Oktober bei der jährlichen Academy Museum Spendengala mit dem erstmals vergebenen Legacy Award den Rücken stärken, der „einen Künstler (ehrt), dessen Werk Generationen von Geschichtenerzählern inspiriert und unsere Kultur zutiefst beeinflusst hat.“ Ein Preis für „Born to Run“, für das, was vorher war und für das viele, was danach kam und sich zu einer amerikanischen Chronik aus Songs fügte.

Legt man das Album heute auf, wirkt es wie ein Fächer der diversen musikalischen Interessen Springsteens. Die Trompetenbrise der Gangsterballade „Meeting across The River“ nehmen sein jüngst in der „Tracks II“-Box veröffentlichtes Burt-Bacharach-Hommagealbum „Twilight Hours“ vorweg, die Soulnummer „Tenth Avenue Freeze Out“ ist Ausdruck seiner Liebe zum schwarzen R&B, die 2022 im Cover-Album „Only The Strong Survive“ gipfelte. Und der Bo-Diddley-Beat von „She’s The One“ ist der offensichtlichste Link zum Rock’n’Roll der Chuck-Berry-Jahre.

Der Rest ist die erste Manifestation des bis heute unverwechselbaren, mächtigen E-Street-Sounds bis hin zum Zehnminüter „Jungleland“, der die Blaupause war für Meat Loafs „Bat out of Hell“. Die Einladung an Mary im Song „Thunder Road“, gilt 50 Jahre später für alle: „Ich habe diese Gitarre / und habe gelernt, wie man sie zum Reden bringt“, singt Springsteen. „Und mein Auto steht hinterm Haus, / wenn du bereit bist für diese lange Reise.“