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Zum Tod von Ozzy OsbourneEr hatte keine Chance, also nutzte er sie

7 min
09.07.2010, Finnland, Turku: Rocklegende Ozzy Osbourne bei einem Auftritt auf dem Ruisrock-Rockfestival in Turku.

Rocklegende Ozzy Osbourne ist im Alter von 76 Jahren gestorben.

Der Black-Sabbath-Sänger ist am Dienstag im Alter von 76 Jahren gestorben. Er hat aus schlechtesten Aussichten größte Kunst geschaffen.

Vergessen Sie, wenn das überhaupt geht, für einen Moment den Kajal tragenden Satansbeschwörer mit dem schmerzverzerrten Mund. Vergessen Sie auch das Drogenopfer, den Wahnsinnigen, der sich im geklauten Strandkleidchen am Hotelpool eine Linie Ameisen durch die Nase zieht, weil das Koks alle ist. Und ebenso den dauerverwirrten Reality-TV-Star, der durch die eigene Villa schlurft, als wäre er just aus einem Koma aufgewacht und an der TV-Fernbedienung scheitert („fucking space-age shit“). Ja, ich weiß, es ist schwer.

Wenn es hilft, suchen Sie auf Youtube nach Black-Sabbath-Shows aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Da sehen Sie den wahren Ozzy Osbourne: Ein überenthusiastischer Fan, der inmitten schwergängiger, Gräber schaufelnder Gitarrenriffs und donnernder Bassdrums hüpft, hibbelt und in die Hände klatscht. Der nicht glücklicher darüber sein könnte, Teil dieses apokalyptischen Krachs zu sein, dieser zweiten, nur vier Mann starken industriellen Revolution aus Birmingham. Dann tritt der Junge mit dem ausgefransten Pony ans Mikrofon und durchschneidet die dystopische Klanglandschaft mit infernalischem Wehgeheul. Ozzy Osbourne ist eine menschliche Luftschutzsirene und ballistische Vergeltungswaffe zugleich. „Ein Heulen kommt über den Himmel“, wie es am Anfang von Thomas Pynchons „Die Enden der Parabel“ heißt. So klingt Ozzy, so klingt einer, der keine Chance hatte und sie trotzdem nutzte.

Ozzy Osbourne arbeitete als Hupenstimmer in der Autofabrik

Von einem wie ihm war nichts zu erwarten. Die Mutter arbeitete die Tagesschicht in einem Zulieferbetrieb der Autoindustrie, der Vater die Nachtschicht bei einem Elektrotechnikhersteller. Es reicht nur für ein winziges Zwei-Schlafzimmer-Haus ohne Wasseranschluss. Die Schule im Birminghams Aston-Stadtteil war die Hölle. Der Sohn, das vierte von sechs Kindern, litt unter Rechtschreibschwäche, konnte sich nicht konzentrieren, wurde von zwei älteren Schülern sexuell missbraucht. Mehrmals versuchte er, sein kaum gelebtes Leben zu beenden.

Mit 15 ging er ab, versuchte sich auf dem Bau und als Klempnerlehrling, verdingte sich im Schlachthof und – das muss inspirierend gewesen sein – als Hupenstimmer in der Autofabrik. Nirgends konnte er Fuß fassen. Selbst als Kleinkrimineller taugte er nicht. Einbrüche endeten damit, dass ihm ein Fernsehgerät auf dem Kopf fiel oder er im Dunkeln Babywäsche statt Erwachsenenkleidung stahl. Wie sollte er die bloß im Pub verscherbeln? Mit 17 wurde er erwischt und verbrachte sechs Wochen im Knast, weil sein Vater sich in einem Anfall schwarzer Pädagogik weigerte, die Geldstrafe zu zahlen.

Ein Boris-Karloff-Film brachte Black Sabbath die rettende Idee

Aber der Vater kaufte ihm eine Lautsprecheranlage, damit er den Traum verfolgen konnte, der ihn am Leben hielt, seit er zum ersten Mal „She Loves You“ von den Beatles gehört hatte: Ozzy Osbourne wollte gegen alle Wahrscheinlichkeit Rocksänger werden. Und er fand tatsächlich eine Bande Gleichgesinnter: den Bassisten Geezer Butler, den Schlagzeuger Bill Ward und den Gitarristen Tony Iommi. Der hatte mit 17, an seinem letzten Arbeitstag in einem Stahlwalzwerk, die Kuppen seines Mittel- und Ringfingers an der rechten Hand an eine Maschinenpresse verloren und spielte mit Prothesen, die er selbst aus den geschmolzenen Böden von Plastikflaschen angefertigt hatte. Damit es beim Spielen weniger schmerzte, stimmte Iommi seine Gitarre eine kleine Terz tiefer, die Saiten saßen nun lockerer.

Der Arbeitsunfall führte, nach einer kurzen, erfolglosen Irrfahrt als Bluesband, zur Erfindung eines neuen, schockierenden Genres. Ein Kino neben dem Proberaum der Band zeigte Mario Bavas Grusel-Anthologie „Black Sabbath“, mit Boris Karloff in der Hauptrolle. Wenn Menschen für so einen Film anstehen, argumentierte Geezer Butler (nach anderen Erzählungen war es Bill Ward), ließe sich doch vielleicht mit Rockmusik als Horrortheater Geld verdienen. Zusammen mit Osbourne verfasste er einen suggestiven Text für einen Song gleichen Titels, der dann auch der neue Bandname wurde. „Was ist das, was vor mir steht? Eine schwarze Gestalt, die auf mich zeigt“, heult Ozzy in „Black Sabbath“ zur Melodie der Lead-Gitarre – laut Judas-Priest-Sänger Rob Halford der „bösartigste Song, der jemals geschrieben wurde“ – Ward und Butler geben ein schleppendes Tempo vor und Tony Iommi schlägt auf seinen tiefer gestimmten Saiten den teuflischen Tritonus-Akkord an. Es ist, als hätte man die letzten Zeilen von W. B. Yeats Gedicht „The Second Coming“ in Musik gesetzt: „Und welches Biest, die Endzeit-Glocke schlägt, schleicht zur Geburt nach Bethlehem?“ Heavy Metal war geboren.

Auf Black Sabbath‘ Debüt ist der satanische Samen gepflanzt, auf dem zweiten Album, „Paranoid“, entfaltet er sich zur Blume des Bösen. Klagelieder in erdrückender Lautstärke, Gitarrenriffs, die einen am Kragen packen und ins Dunkle führen. Ozzy Osbourne singt von Krieg und Verfolgungswahn, von schlechten Trips und nuklearer Vernichtung. Es sind Tiefen, die die Rockmusik noch nicht ausgelotet hatte, Musik für den großen Kater der 1970er Jahre, für perspektivlose Menschen abseits hipper Metropolen. Die nächsten Sabbath-Alben – „Masters of Reality“, „Vol. 4“ und „Sabbath Bloody Sabbath“ – sind sämtlich Meisterwerke. Heute, wo Rock nur in der Rückschau existiert, lebt er einzig in den vielen Spielarten des Heavy Metal fort. Und jede einzelne davon ist von Black Sabbath beeinflusst.

Die zeitgenössischen Rockkritiker aber hassten Ozzys Band. Ihr Berufsstand war noch jung, sie hatten Angst, niemals ernst genommen zu werden, wenn sie sich diesem Grand-Guignol-Theater für die Arbeiterklasse hingaben. Black Sabbaths kokainbefeuerte Eskapaden schienen ihnen recht zu geben und Osbourne übertraf seine Kollegen im Exzess: „In den letzten 40 Jahren“, schrieb er 2009 in seiner Autobiografie, „habe ich Schnaps, Koks, LSD, Quaaludes, Klebstoff, Hustensaft, Heroin, Rohypnol, Klonopin, Vicodin und zu viele andere Substanzen zu mir genommen, als dass ich sie hier aufzählen könnte.“

Sharon Osbourne formt ihren Mann zum Prince of Darkness

Ende der 70er feuerte ihn seine Band, er zog sich in ein Hotelzimmer in Los Angeles zurück, um Drogen zu schlucken, bis das Geld ausging und er sich zurück nach Birmingham trollen musste, zu dem Sozialhilfe-Empfänger-Leben, das ihm von Anfang an vorherbestimmt war. Doch der Sabbath’ Manager schickte seine Tochter, um zu intervenieren und Sharon Levy verliebte sich nicht nur in diesen selbstzerstörerischen und von der Gesellschaft geprügelten Woyzeck des Rock’n’Rolls, sie kanalisierte seine destruktive Energie zu einem neuen Image.

Es durfte noch ein wenig Satanismus mehr sein: Als „Prince of Darkness“ bediente Osbourne freigebig die schlimmsten Vorstellungen, die sich die Spießer von ihm machten: Er biss Fledermäusen und Tauben die Köpfe ab und führte mithilfe des zuvor völlig unbekannten Gitarrenvirtuosen Randy Rhoads den angejahrten Sabbath-Sound in die 1980er. „Blizzard of Oz“ und „Diary of a Madman“ setzten neue Standards in der Welt der harten Töne. Dann starb Rhoads bei einem Flugzeugabsturz und setzt Ozzys musikalischer Glückssträhne ein Ende.

Doch er blieb ein Star, vor allem dank seiner geschäftstüchtigen Frau und Managerin, die ihn selbst dann nicht verließ, als er im Vollrausch versuchte, sie zu erwürgen. Osbourne wies sich in eine Entzugsklinik ein und tourte anschließend, zum Wohle der Familie, Jahr für Jahr als Hauptattraktion des „Ozzfest“. Die MTV-Generation lernte ihn schließlich als brabbelnden, fluchenden Hausmann kennen. So wie Sabbath den Heavy Metal heraufbeschworen hatte, löste „The Osbournes“ den Trend der Reality-Show aus dem Alltag von (mehr oder weniger) Prominenten aus: Das bleibt das Teuflischste, was man dem Sänger vorwerfen kann.

Der Rest ist ein langer Abschied. Nur was für einer. Im Januar 2017 spielten die wiedervereinten Black Sabbath ihre letzte Show auf dem Kontinent – in der Kölner Arena. Osbourne buckelte im schwarzen Hexenmeister-Umhang am Mikrofonständer. Aber sein Heulton durchdringt noch immer den dickflüssigen Schlamm der Musik, die Band wirkt wie ein lebendes, bebendes Monument ihrer selbst. Und dann organisiert Sharon Osbourne ihrem schon moribunden, unter anderem an Parkinson leidenden Mann, ein letztes Konzert in seiner Heimatstadt, solo und mit den alten Freunden.

Die größten Bands des Heavy Metal und Hardrocks –  Metallica, Guns N’ Roses, Tool, Slayer – treten als Vorgruppe auf. Als der dunkle Prinz sich endlich auf seinem schwarzen Thron zeigt, stehen kann er nicht mehr, ist der Jubel grenzenlos. Ein letztes Mal „War Pigs“, ein letztes Mal „Iron Man“ und „Paranoid“. Der Kajal sitzt. Die Menschen in Birminghams Villa Park weinen vor Rührung. Der Teufel lacht. Jetzt hat er sich, nur 17 Tage nach dessen Bühnenabschied, Ozzy Osbourne zurückgeholt. Er wurde 76 Jahre alt.