Circus Dance Festival in KölnWenn der Tänzer den Hammer schwingt

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Alexander Vantournhout

Alexander Vantournhout auf dem Circus Dance Festival in Köln-Riehl

Mit seiner vierten Ausgabe hat sich das Circus Dance Festival in Köln gut etabliert. Was man hier erleben kann.

Alles dreht sich um die linke nackte Ferse am Holzboden genau in der Mitte unter der spitzen Kuppel. Er kreiselt. Langsam. Nur in einen knielangen Jeans-Hosenrock gekleidet, zeigt der belgische Tänzer und Artist Alexander Vantournhout zarten Brustkorb und starken Rücken. Die Arme sind das Beweglichste. Sie ziehen hinter den Kopf, verschränken sich, zwirbeln umeinander, strecken sich wie Äste vom Baum weg, hoch, herab, hin zu den rundum sitzenden Zuschauern. Oder eine Hand steht vor den Augen, während die andere umherfliegt. Es wirkt, als wundere sich der Mensch über das, was die Arme tun. Es geschieht ihm, und doch führt er sie.

Zwischen diese Nuancen pendelt dieses großartige Zirkustanz-Solo „VanThorHout“:  Kontrolle haben und abgeben. Sie machen Tanzen zur sinnlichen Philosophie. Der zeitgenössische Zirkus widmet sich diesen Machtfragen, auch denen zwischen Mensch und Objekt, auf seine Weise. Sehr vielfältig, das beweist seit 2019 das internationale Circus Dance Festival in Köln, gegründet von Tim Behren vom ortsansässigen Overhead Project.

Das Publikum in Riehl duckt sich innerlich weg

Die Hände legen sich gewölbt aufeinander, hoch überm Kopf wie geschlossene Blüten, die Daumen öffnen sich. Die Handgelenke berühren sich, klappen in rechten Winkel. Nur wo bleibt der im Titel angekündigte Gott Thor? Da hebt der Tänzer den Hammer auf, einen langen Stiel mit metallenem Doppelkopf am Ende. Der Mann schleift das Ding über den Boden, er kreist, es schabt, bis es abhebt. Er schleudert. Das Publikum duckt sich innerlich weg, muss ihm vertrauen.

Vantournhout hantiert mit dem fliegenden Hammer, in einer Hand, in beiden Händen, wechselnd, das Gewicht gibt ihm Drall. Er lässt ihn nach hinten übern Rücken dengeln. Der Stiel biegt sich. Hält ihn vorn vor die breit gestellten Beine, das Ding biegt sich. Das Publikum kichert. Hinten, vorn. Wiederholungen und neue Richtungen und Dynamiken: Im Grunde verwandelt sich der Tänzer, wie es ein Gott kann.

Der Mensch in Kipp-Positionen

Und er fegt das schon etwas angeknackste Martialische aus dem Zelt heraus, indem er zu einer Fahne greift und ihr weißes Tuch in den schönsten Kreisen und Achten wehen lässt. Bis er den Stiel schließlich auf den hochgewinkelten Handgelenken balanciert und führt beim Schlaufenschwingen. Ein Kreis schließt sich zur Anfangsszene. Es könnte Frieden sein.

Pro Tag sind beim Festival mehrere Programmpunkte zu sehen, auch Filme und Diskussionen. Hier folgten kurze Szenen zweier Akrobaten auf der Wiese. Sie rutschten und hangelten auf und unter in Kippposition festmontierten Stühlen an einem schrägen Tisch. Oder sie standen selber schräg. In Ruhemomenten entstanden in „Table et chaises“ Bilder von Objekten und Menschen aus der Balance. Was ist Stabilität?

Die Spanierin Elena Zanzu lotete schließlich in „EZ“ an hängenden und geknoteten Seilen aus, was stabil in einer Beziehung heißen könnte zwischen zwei einander unbekannten Menschen. Wie erlangen sie Vertrauen? Mit Blicken und Fragen, die aus Lautsprechern eingespielt werden, mit Kopfnicken. Die Spannung sehr intimer Art passte zu den dicken Kordeln, an denen beide hingen.

Das am Mittwoch begonnene Festival im Latibul in Riehl auf und an der Wiese mit Freilichtrundbühne, zwei Zelten, Bar und Kino-Ecke läuft noch bis Montag. Täglich um 19 Uhr gibt es gratis und Open-Air-Kurzstücke mit Seilen, Reifen, Baseballschlägern. Im Zelt macht Stepptanz nicht vor einer Versammlung langweiliger Konferenzstühle halt; die Finninnen von Muovipussi bändigen Lärm. Im Stadtgarten Mülheim entsteht ein menschlicher Entenmarsch, in der Tanzfaktur in Deutz zeigt das Ensemble Overhead Project „What is left“.

Infos unter www.circus-dance-festival.de

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