„Die Bremer Stadtmusikanten“ in der KinderoperDie Utopie eines angstfreien Miteinanders

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„Die Bremer Stadtmusikanten“ an der Oper Köln

„Die Bremer Stadtmusikanten“ an der Oper Köln: Maria Koroleva, David Howes, Elena Plaza Cebrian, Emanuel Tomljenović

Theresa von Halles Inszenierung der Oper des türkischen Komponisten Attila Kadri  Şendil bietet 70 temporeiche und unterhaltsame Minuten. 

Er ist halt ein Esel und tut nie das, was man ihm sagt. Die Metapher vom „störrischen Esel“ wird in der Kölner Kinderoper in ihren realen, also nicht-metaphorischen Kontext rückübersetzt – der Esel ist eben genau das, was er dem Klischee zufolge sein soll: störrisch. Konkret: Er will die „Hinterbühne“ eines Theaters gegen den Willen des mutmaßlichen Intendanten zur Hauptbühne machen, und weil er den Wünschen seines Oberen nicht willfahrt, wird er mit Schimpf und Schande davongejagt. Besagte Hinterbühne ist die Bühne im Saal 3 des Kölner Staatenhauses, auf der sich die neue Produktion begibt. Das soll sie auch nach dem Willen der kleinen und großen Zuschauer – ihre Akklamation wird eingefordert und selbstredend lautstark erteilt. Eins zu null für den Esel!

Märchenkundigen dürfte sofort klar sein, worum es hier geht: um die berühmten „Bremer Stadtmusikanten“ der Brüder Grimm, die in der Gestalt der altehrwürdigen Tierparabel kritikwürdige Verhältnisse der zeitgenössischen Menschenwelt thematisierten, also des frühen 19. Jahrhunderts. Sogar eine sozialphilosophische Perspektive eröffnet sich: Der Kampf der „Tiere“ – neben dem Esel noch Hund, Katze und Hahn – gegen ungerechte Herrschaft handelt von nichts Geringerem als Hegels Herr-und-Knecht-Dialektik und den „Kampf um Anerkennung“, den Angehörige sozialer Unterschichten bis heute führen müssen. Im Grimm-Märchen behaupten sich die Tiere und vertreiben die Menschen dauerhaft – eine pessimistische Sicht dieser „Revolution“ nach der Maßgabe von George Orwells „Animal Farm“ unterbleibt.

Das Quartett der Unterdrückten weist eine multikulturelle Prägung auf

Sie unterbleibt auch in der Kinderoper des türkischen Komponisten Attila Kadri  Şendil, die im September 2017 an der Berliner Komischen Oper ihre erfolgreiche Uraufführung erlebte. Ulrich Lenz lieferte auf der Spur der Brüder Grimm das Libretto. Mit Rücksicht auf den spezifischen lokalen Kontext war die Berliner Fassung deutsch-türkisch, also zweisprachig angelegt.

In der Kölner Bearbeitung wurde das zurückgenommen, wenngleich das Quartett der Unterdrückten, die sich selbständig machen, in seinen sprachlichen Äußerungsformen immer noch eine multilinguale und also multikulturelle Prägung aufweist. Das angstfreie Miteinander des und der Verschiedenen wird hier zum Bestandteil jener Utopie, für die im Märchen der Stadtname Bremen als Sehnsuchtstopos steht. Dass das alles im Zeichen zumal des aktuellen Konflikts im Nahen Osten nicht mehr so einfach ist, sei hier nur zaghaft angemerkt – auch der Rezensent sieht sich selbst ungern als Spielverderber.

Entschieden „harmonistisch“ verfährt schließlich die Oper selbst insofern, als die Tiere ihre Peiniger zwar noch ein weiteres Mal vertreiben und sich – hungrig, wie sie sind – über deren Tafel hermachen, sie am Schluss aber mit versöhnender Geste in den Kosmos des Humanen zurückholen. Hier wird dem Feind noch die Hand gereicht, man praktiziert, neudeutsch gesprochen, Inklusion.

In Theresa von Halles Inszenierung und mit dem Bühnenbild Amelie Hensels (sie stellt ein fahrbares Treppengestänge ins Zentrum) läuft die mit einigen Revue-Elementen angereicherte Handlung über 70 Minuten hinweg temporeich ab. Leider wird das Humorpotenzial, das der Tierdarstellung durch Menschen stets innewohnt, im Bewegungsspiel nur unzureichend ausgereizt.

Der Esel fordert zum Handyverzicht auf

Und die Art und Weise, wie der Esel zu Beginn der Vorstellung kindgerecht zum Handyverzicht auffordert, wirkt irgendwie deplatziert, wie ein atmosphärischer Querschläger. Ein schöner Einfall war indes die anfängliche Platzierung des nervig krähenden Hahns im Publikum (mit den entsprechenden fingierten Reaktionen). Solche Tricks machen immer noch Laune und aktivieren die Zuschauer für das Theatergeschehen.

Großes Lob verdient Şendils vom Gürzenich-Orchester unter Rainer Mühlbach schwungvoll exekutierte Musik, die mit ein paar echten Gassenhauern und vielen vitalen Instrumentaleffekten aufwartet. Ein bisschen Prokofjew, Kinderlied und Dixieland-Jazz, auch Türkisches, das alles unterfüttert durch gelegentliche schräg-tonale Ausweichungen – es lässt sich prima anhören.

Wie stets erfreuen die Darsteller durch professionell ansprechende Leistungen: David Howes (Esel), Emanuel Tomljenovic (Hund), Elena Plaza Cebrian (Katze) und – vor allem – Maria Koroleva als Hahn. William Socolof, Tina Drole, Julian Schulzki und Maike Raschke stellen einprägsam die maliziös-affektierten, in distinguiertes Party-Schwarz/Weiß gekleideten Peiniger dar.

Nächste Aufführungen: 21., 22. 25., 30. November

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