Nach Vorbild „Black Mirror“ARD bringt erste Mystery-Serie mit deutschen Star-Schauspielern heraus

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Beim Anfertigen von Bildergeschichten lässt Lill (Hannah Schiller) ihrer Kreativität freien Lauf.

Beim Anfertigen von Bildergeschichten lässt Lill (Hannah Schiller) ihrer Kreativität freien Lauf.

Sechs Folgen mit in sich geschlossenen Handlungen hat die Serie „Die nettesten Menschen der Welt“ zu bieten. Dabei geht es vor allem um das Unvorhersehbare.

Wird die 19-jährige Lill, gespielt von Hannah Schiller („Tatort“), von einer unbekannten Frau bedroht, die sich ihre übernatürlichen Fähigkeiten einverleiben will oder erlebt ihre Stiefmutter Tessa, gespielt von Silke Bodenbender („Wir wären andere Menschen“), den Alptraum eines jeden Elternteils, in dem sie nach Hause kommt und das Kind aus unerklärlichen Gründen nicht auffindbar ist? Oder ist am Ende doch alles ganz anders? Um solch geheimnisvolle Vorgänge geht es in der ersten Mystery-Serie der ARD, „Die nettesten Menschen der Welt“.

Darum geht es

Die sechsteilige Reihe der Autoren Alexander Adolph und Eva Wehrum steht zwar unter einem gemeinsamen Oberthema, präsentiert inhaltlich aber in jeder Folge aber eine eigene und überwiegend in sich geschlossene Handlung. Dabei geht es stets um eine Geschichte, die aus unterschiedlichen und teils mysteriösen, übernatürlichen und in jedem Fall überraschenden Perspektiven erzählt wird. Zum Einsatz kommen dabei auch digitale, an Science-Fiction erinnernde Effekte.

Anders als in der britischen Streaming-Serie „Black Mirror“, die unter anderem für das Format als Vorbild diente, werden jedoch keine Zukunftsszenarien beschworen, sondern aktuelle Themen in den Mittelpunkt gerückt. So geht es zum Beispiel um das Leben in digitalen Welten und welchen Stellenwert es einnimmt, um Künstliche Intelligenz oder schlicht um Einsamkeit.

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Anthologie-Serie: Jede Folge hat eigene Handlung

Anders als bei klassischen Anthologie-Serien gibt es bei „Die nettesten Menschen der Welt“ durchaus inhaltliche und räumliche Zusammenhänge zwischen den Folgen. So werden zum Beispiel Figuren, die in einer Folge zu sehen sind, in der darauffolgenden Episode als Hauptfigur dargestellt und andere Aspekte ihres Lebens beleuchtet. Das führt dazu, dass die Zuschauer mehrere Lebensbereiche und Facetten von ein und derselben Person kennenlernen und ein roter Faden in der Serie zu erkennen ist. Folge drei und vier und Folge fünf und sechs gehören darüber hinaus jeweils als Teil eins und zwei zusammen.

Das ist gut

Die Themen der Serie werden von den jeweiligen Darstellern zum Teil völlig überzogen dargestellt. Dadurch wird jedoch deutlich, an welchen Stellen es in der modernen Gesellschaft zu Konflikten kommen kann. Der Produktion gelingt es dabei stets, aus vermeintlich alltäglichen Situationen, spannende Geschichten zu kreieren und zwischenmenschliche und konfrontative Aspekte humorvoll darzustellen. Der modernen Gesellschaft wird ein Spiegel vorgehalten.

Das Unvorhersehbare stellt schließlich und zum Teil mehrmals in einer Episode die gesamte Szenerie durch teils krasse Ereignisse auf den Kopf und führt zu einem abrupten Schnitt in der Geschichte. Beim Zuschauer führt das zu einigen Überraschungsmomenten, die schocken, aber auch neugierig machen.

Die nettesten Menschen der Welt: Silke Bodenbender überzeugt

Vor allem Silke Bodenbender gelingt das Darstellen verschiedener Charaktere auffallend gut. So ist sie in der einen Folge die besorgte Stiefmutter und in der darauffolgenden eine abgezockte Geschäftsfrau. Auch Sebastian Urzendowsky („Babylon Berlin“) ist hervorzuheben. So verkörpert er den schüchternen Rezeptionisten und leidenschaftlichen Gamer „Mika“ und seine unsichere, zurückhaltende Art sehr realistisch.

Dramaturgisch führt das Unvorhersehbare in jeder Folge zu pointierten Höhepunkten. Darüber hinaus besticht die Serie mit einer hochkarätigen Besetzung. So bestätigen etablierte, wie aufstrebende deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler, ihre bisherigen Erfolge und sorgen für eine spannende und kurzweilige Serie. Zu nennen wären zum Beispiel die „Tatort“-Kommissare Fabian Hinrichs und Axel Milberg, Lena Klenke („How To Sell Drugs Online Fast“) und Stephanie Amarell („Dark“).

Das ist nicht so gut

Thematisch werden aktuelle Themen unserer Zeit humorvoll und realistisch dargestellt. Dramaturgisch arbeiten die beiden Autoren Alexander Adolph und Eva Wehrum jedoch ausschließlich mit dem Überraschungseffekt durch das Unvorhersehbare. Dies führt dazu, dass bereits ab der zweiten, spätestens dritten Episode für die Zuschauer klar ist, dass nichts so ist, wie es scheint und im Verlauf der Folge der Überraschungseffekt vorkommen wird. Dadurch wird aus dem Unvorhersehbaren jedoch etwas Erwartbares.

Aktuelle Themen, wie digitale Welten, werden in der Serie auch mit modernen Effekten und Szenen dargestellt. So wird ein Videospiel zum Beispiel mit realen Schauspielern abgebildet. An der Idee solcher Effekte und Darstellungsweisen ist prinzipiell nichts auszusetzen, allerdings wirken solche Szenen selten so überzeugend, wie zum Beispiel in amerikanischen Formaten. Das ist leider auch bei „Die nettesten Menschen der Welt“ der Fall.

Fazit

„Die nettesten Menschen der Welt“ ist eine gelungene Mystery- und Anthologie-Serie mit tollen Darstellerinnen und Darstellern und spannenden, kurzweiligen Episoden. Wer einen Hang zu Übernatürlichkeit und Fantasy nicht scheut und zum Beispiel den deutschen Sci-Fi-Serienerfolg „Dark“ mag, kommt auch bei dieser Serie auf seine Kosten. Abgerundet wird das neue deutsche Mystery-Format durch ein in schwarz-weiß gehaltenes Intro mit Szenen aus allen Episoden samt eigens komponierten Song des Frontmannes der Indieband „Tocotronic“, Dirk von Lowtzow. Er ist ebenfalls in einer Folge als Charakter zu sehen und trifft mit seiner melancholischen, leicht depressiv anmutenden Tonalität und dem unverwechselbaren Sound der Band die Stimmung der Serie.

Premiere feiert die Co-Produktion von NDR, BR, Studio Zentral und Nordmedia am 29. Juni beim Münchner Filmfest. Zu sehen sein wird die Mystery-Serie dann ab dem 21. Juli in der ARD-Mediathek und in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli im Ersten.

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