Die sanfte Eroberin

Paula Beer als ehrgeizige Investmentbankerin in der Fernsehserie „Bad Banks“
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Es gibt Schauspielerinnen, die ihre Karriere mit einem großen Knall beginnen, ein Auftritt wie Blitz und Donnerhall. Jella Haase ist so eine, mit ihrer wunderbar aufgekratzten Darstellung der Chantal in „Fack ju Göhte“. Ganz anders Paula Beer, aber nicht minder effektiv und eindrucksvoll: Für ihre erste Rolle in Chris Kraus’ Spielfilm „Poll“ wurde sie als 14-jährige Schülerin in Berlin von einer Schauspielagentin angesprochen, und die Rolle, die sie in diesem Drama über das Baltikum am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielt, ist still, melancholisch fast – ein einzelgängerisches junges Mädchen, das gerne schreibt und sich in einen verletzten estnischen Anarchisten verliebt. Ein Außenseiter wie sie. Damit begann eine Laufbahn, die Paula Beer mit der bestimmten Ruhe derjenigen, die weiß, was sie kann, in internationale Produktionen und auf die Bühne der Berlinale führte. Dort triumphierte sie im Februar als beste Schauspielerin, für ihre Titelrolle der „Undine“ in Christian Petzolds Film.
„Undine“ sollte nun ins Kino kommen, doch wie so vielem hat Corona auch diesem Start einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun kann sich das Filmpublikum vermutlich im Sommer ein Bild davon machen, wie Paula Beer weitermacht mit ihrer Eroberung auf die sanfte Art: in der Rolle einer Berliner Stadthistorikerin, hinter deren intellektuell-kühler Fassade all jene Eigenschaften schlummern, die der namensgebende Wassergeist verspricht: Wer Undines Liebe verschmäht, auf den wartet der Tod.
So sanft ist Paula Beer dann am Ende gar nicht, auch nicht als Investmentbankerin Jana Liekam in der Fernsehserie „Bad Banks“, in der sie dem Raubtier-Kapitalismus der modernen Finanzbranche das anmutige Gesicht einer jungen Karrieristin verleiht. Jana ist in gewisser Weise die ehrgeizige Schwester, die sich von den anderen Mitgliedern der Familie, die Beer in ihren Kinorollen gespielt hat, abgrenzen will: Verkörpert sie auf der Leinwand oft den Typus der geheimnisumwitterten Frau, so ist ihre Bankerin ganz offen daran interessiert, Konkurrenten ein Bein zu stellen. Nur wenn sie allein ist, und daran erkennt man Paula Beers Kunst der Nuancierung, gräbt sich die Anstrengung des täglichen Besserseinmüssens tief in ihr Gesicht.
Als sie in „Poll“ debütierte, besuchte sie noch das Gymnasium und konnte nur in den Sommerferien drehen. Als sie dann endlich ihr Abitur in der Tasche hatte, machte sie bei einem richtig erwachsenen Film mit: Andreas Prochaskas „Das finstere Tal“ ist ein lupenreiner Western, eine bluttriefende Rachegeschichte allerdings, die in den Schluchten Südtirols spielt. Harte Kerle wie Sam Riley und Tobias Moretti sind in den männlichen Hauptrollen neben Paula Beer zu sehen, die hier eine junge Braut spielt, die sich gegen die Machenschaften einer inzestuös verkommenen Herrschersippe stellt. Auch hier wieder das markante, das bestimmende Paula-Beer-Motiv: Zartheit und Härte.
1995 wurde Paula Beer in Mainz geboren. Die Eltern malten, sie liebte schon als Kind die Schauspielerei – ein Naturtalent offenbar, auch nach dem Umzug der Familie nach Berlin, wo sie im Alter von zwölf Jahren zum Jugendensemble des Friedrichstadtpalasts zählte. Dass sie sich den spielerischen Zugang dieser frühen Jahre bewahrt hat, schätzte der französische Regisseur François Ozon über alle Maßen an ihr: „Frantz“ ist ein schwermütiger Schwarzweißfilm über die Wunden des Krieges im deutsch-französischen Verhältnis, und auch Paula Beers Anna trägt als junge Witwe schwer an diesem Erbe. Dennoch, und das ist das Erstaunliche, gewinnt sie dieser Rolle eine Leichtigkeit ab, die dem gesamten Film eine der Zukunft zugewandte Stimmung verleiht. Schon verglich sie mancher mit Romy Schneider, doch für Paula Beer war Frankreich eher ein Ausflug, kein Exil.
Mit „Frantz“ (2016) reiste Paula Beer zum ersten Mal zu den Filmfestspielen von Venedig – und gewann dort den Marcello-Mastroianni-Preis als beste Nachwuchsschauspielerin. Zwei Jahre später kehrte sie im Gefolge von Florian Henckel von Donnersmarck an den Lido zurück, in dessen „Werk ohne Autor“ sie Frau und Muße jenes Künstlers spielte, der Gerhart Richter nachempfunden ist. Dass sie einmal auch als dessen Nacktmodell agiert, wurde ihr von besonders strengen Verfechterinnen von #MeToo übelgenommen.
Und nun also die märchenhafte „Undine“, nach „Transit“ ihr zweiter Film mit dem Regisseur Christian Petzold und dem wie sie selbst hochsensiblen Schauspieler Franz Rogowski. Hier ist Paula Beer konsequent feministisch, kein mythisch verklärtes halbgötterhaftes Wesen wie in der Romantik, sondern eine selbstbestimmte Frau. Undine weiß, was sie will, und das hat sie mit ihrer Darstellerin ganz sicher gemeinsam.
Wie sonst hätte Paula Beer in so kurzer Zeit vom Nachwuchstalent zu einer der prägenden Schauspielerinnen unserer Zeit werden können? Und das auf eine zurückhaltende, subtile Weise, die in diesem Betrieb so überaus selten, aber umso sympathischer ist.