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Die Toten Hosen, Broilers, Peter Fox und co.Diese Bands aus Deutschland engagieren sich für Flüchtlinge

Lesezeit 5 Minuten

Mit diesen Jogginganzügen traten Deichkind Ende März beim Echo in Berlin auf. Die Anzüge wurden später bei eBay versteigert, der Erlös ging an Pro Asyl.

Köln „Denkt ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen, mit dem großen Traum im Park mit Drogen zu dealen?”

Verteilungsschlüssel, Militäreinsätze gegen Schlepperboote - die Flüchtlingssituation in Europa ist latent aktuell - aus Sicht vieler deutscher Musiker leider latent aktuell. Und so wie das Rap-Trio K.I.Z. im eingangs erwähnten Zitat aus dem gewohnt sarkastischen Song „Boom Boom Boom” setzten sich einige deutsche Künstler mit dem Massensterben im Mittelmeer sowie der Diskussion um die Aufnahme von Asylsuchenden in Deutschland auseinander. Die größte Strahlkraft dürfte sicher von den Toten Hosen und Deichkind ausgehen, die mit Pro Asyl zusammenarbeiten. Doch auch unbekanntere Bands positionieren sich klar für Flüchtlinge. Zu ihnen gehören unter anderem die Broilers, Tocotronic, Antilopen Gang, Irie Révoltés, Egotronic und Frittenbude. Auch Dancehall-Künstler Peter Fox engagiert sich: Er trat Mitte April auf dem Berliner Oranienplatz auf; einem Protestfestival gegen die Verschärfung des Bleiberechts.

Spagat zwischen relativer und absoluter Armut

Die Motivation der Musiker basiert auf ähnlichen Überzeugungen. Es fallen Begriffe wie „Pflicht”, „gesunder Menschenverstand” und dass man schlicht über „Ungerechtigkeit hinweghelfen” wolle. In der Musik kommt die Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsthematik unterschiedlich zum Ausdruck. Tocotronoic machen nachdenklich aufmerksam. Im Lied „Neue Zonen” prangert Sänger Dirk von Lotzow  an, dass viele Leute das Thema nicht zu betreffen scheint. Er beklagt in dem Zusammenhang einen geringen Wissenstand über die Situation und das tägliche Sterben an den europäischen Außengrenzen.

Eine fünfköpfige Band aus Düsseldorf, machen Punkrock mit Ska und Rockabily-Einflüssen. Aktuelles Album “Noir”, sind derzeit auf Festival-Tournee.

Deutschsprachiges Rap-Trio aus Berlin und Düsseldorf. Aktuelles Album „Aversion”, die Antilopen Gang spielt im Sommer auf verschiedenen Festivals.

Die neun Musiker kommen aus Heidelberg, in ihre Musik fließen Ska, Regga, Punk und Dancehall-Einflusse. Das Album “Irie Révoltés” wird am 19.06.2015 veröffentlicht.

Vier Musiker aus Berlin, Genre: Electropunk. Aktuelles Album „Egotronic, c’est moi!“, erschienen im April. Egotronic spielt im Sommer ebenfalls auf verschiedenen Festivals.

Drei Electropunker, mittlerweile in Berlin wohnhaft. Spielen im Sommer auf verschiedenen Festival und stellen aktuell ihr viertes Studio-Album fertig.

Bemerkenswert ist das Lied „Oranienplatz” des Rap-Duos Zugezogen Maskulin. Den Berlinern glückt darin ein Spagat im Hinblick auf relative und absolute Armut: Einerseits nennen sie die Geflüchteten, die unter Lebensgefahr über das Mittelmeer dem absoluten Elend entfliehen. Andererseits erwähnen sie, dass diese Asylbewerber sich in Deutschland zuweilen mit den Problemen von in relativer Armut lebenden Deutschen konfrontiert sehen. „ZM” greifen damit einen oftmals vorgebrachten Einwand à la „Wir Deutschen haben selbst genug Probleme!” auf, ohne diesen komplett durch den Kakao zu ziehen.

Die Broilers untermalen ihre Unterstützung besonders visuell. In dem Video zur Single „Ich will hier nicht sein”, gedreht in zwei Berliner Asylbewerberheimen, kommen ausschließlich Geflüchtete vor. Sie erzählen darin, welchen Berufen sie in der Heimat nachgegangen sind und was sie an ihrem zu Hause vermissen - eben, dass sie „hier” eigentlich gar nicht sein wollen, aber keine andere Wahl hatten.

Der Einsatz der Künstler schlägt sich jedoch nicht nur in der Musik, sondern auch in ganz konkreten Aktionen nieder. Egotronic haben zuletzt auf ihren Konzerten für das Flüchtlingsrettungsboot „Sea Watch” Geld gesammelt. Die Toten Hosen, Broilers und die Antilopengang kooperieren mit der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl”, die sich für Verfolgte einsetzt. Die Irie Révoltés waren wie Peter Fox am Oranienplatz und sind mit einer Band auf Tour gegangen, die ausschließlich aus Geflüchteten besteht.

„Hass nehmen wir als Kompliment wahr“

Das Engagement der Musiker ruft häufig rechtsmotivierte Gegner auf dem Plan, die sich vor allem im Internet in dutzenden von Kommentaren ihre Kritik äußern. Doch welche Reaktion darauf ist angemessen; soll man sich auf eine Diskussion einlassen oder straft man die Verfasser mit Ignoranz? Diskutieren habe nur Sinn, wenn man merke, dass die Leute sich vorher eine Meinung gemacht und nicht kopiert hätten. „Denn in so einem Fall kann keine Diskussion stattfinden”, sagt Carlito, Sänger der Irie Révoltés, das Internet sei dafür zu anonym.

Die Antilopen Gang hingegen findet Anfeindungen löblich. „Wenn Neonazis, Rassisten oder Verschwörungstheoretiker uns anfangen zu hassen, dann bestätigt uns das. Wir nehmen solche Kommentare als Kompliment wahr.”

Musiker vermissen fehlende Willkommenskultur

Doch so sehr die Künstler auch versuchen zu unterstützen, so sehr kämpfen alle mit einem Gefühl der Hilfslosigkeit. „Allen helfen zu können, wäre utopisch”, erklärt Frittenbude-Sänger Johannes. Die Massenflucht habe schließlich Gründe und Deutschland trage seiner Meinung nach durch Waffenlieferungen zu dieser Entwicklung bei. Er vermisst jedoch genauso eine fehlende Willkommenskultur. „Wir fühlen uns eher hilflos in Anbetracht des Hasses den viele Leute in Deutschland offen gegenüber den Flüchtlingen äußern. Zum Beispiel durch die Pegida-Demonstrationen.” Der Broilers-Sänger Sammy Amara pflichtet ihm bei. Die Anfänge von Pediga, den Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes, (Zitat:„Montagsdemonstrationen von Faschos und Halbfaschos”) hätten der Band wirklich Angst gemacht. Patriotismus lehnt die Antilopen Gang grundsätzlich ab: „Der Patriotismus hier bezieht sich nur auf Abstammung, einfach ein Produkt des Zufalls”, meint Danger Dan. „Ich finde es Quatsch, so was aufrechtzuerhalten.”

Die Bands eint insbesondere der Wunsch nach Auseinandersetzung ihrer Zuhörer mit dem Thema Flucht. „Dann ist schon viel gewonnen”, sagt Torsun von Egotronic. Explizit beeinflussen wollen die wenigstens, Empathie wecken allerdings schon. Dass das von einem bandübergreifenden Projekten ausgehen könnte, klingt für alle begrüßenswert, ist derzeit aber nicht geplant. Eins wissen die Musiker aber sicher, wie Sammy Amara auf den Punkt bringt: „Wir wären jederzeit alle am Start wären, wenn es darauf ankommt.”

Hier haben wir die Interviews mit den Musikern verlinkt:

Ausführliches Interview mit Sammy Amara, dem Sänger der Broilers.

Ausführliches Interview mit Danger Dan, einem Drittel der Antilopen Gang.

Ausführliches Interview mit Carlito und Mal Élevé, den Sängern der Irie Révoltés.

Ausführliches Interview Johannes Rögner, dem Sänger der Frittenbude.

Ausführliches Interview mit Torsun, dem Sänger von Egotronic.