Emo-Pop deluxe„Another love“ kennt jeder – aber wie klingt Tom Odells neues Album?

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Tom Odell auf dem Glastonbury Festival 2019

Tom Odell auf dem Glastonbury Festival 2019

Sein Pophit „Another Love“ wurde zur Resilienz-Hymne — Nun legt der 33-jährige Emo-Pop-Pianist mit Black Friday ein neues Werk vor.

Steffen Rüth Tom Odell empfängt stilvoll in einer noblen Hotelsuite am Berliner Kurfürstendamm. Es ist noch früh am Tag, der gerade mal 33 Jahre alte englische Sänger und Songschreiber hat am Vorabend ein paar Songs im Studio eines Radiosenders gespielt und danach nicht besonders gut geschlafen, wie er sagt. Odell trägt schwarzes Sakko und Hemd, er ist wirklich die englische Höflichkeit und Herzensfreundlichkeit in Person. Und er hat auch, die leichte Unausgeschlafenheit einmal außer Acht gelassen, gleich mehrere Gründe zum Strahlen.

Zum einen freut der Musiker sich, dass er Ende Januar sein wirklich exquisites neues Album „Black Friday“ veröffentlichen wird. Außerdem ist Odell, wie er erzählt, während die Maschine mahlt oder was auch immer tut, frisch verheiratet. Georgie Somerville heißt die Auserwählte, sie ist Studentin und zehn Jahre jünger als Odell. Der sieht – das muss man dazu sagen – auch nach einem zehrenden Jahrzehnt im Popgeschäft selbst noch deutlich jünger aus, als er ist. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so eine erfüllte, wunderbare Beziehung erleben würde wie mit ihr“, schwärmt der glückliche Gatte und zeigt stolz seinen Ehering. „Wir sind seit etwas über vier Jahren zusammen, und ich bin mir ganz sicher, dass Georgie die Liebe meines Lebens ist.“

Wer in Anbetracht der positiven privaten Umstände nun freilich eine Platte voller glücksgefühliger Songs erwartet, wird gleich im ersten Stück von „Black Friday“ eines Besseren belehrt. Auf „Answer Phone“ singt Odell zur akustischen Gitarre ein so zartes wie schwermütiges Lied über Einsamkeit. Das darauffolgende Titellied „Black Friday“, eine Pianoballade, steckt erst recht tief in Traurigkeit.

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Hier geht es um den Wunsch des Künstlers, doch einfach mal unbeschwert zu sein („I wanna have fun/I wanna be happy“) und die ständigen Störgeräusche im eigenen Kopf ausschalten zu können – was ihm allerdings weit weniger häufig gelänge, als er selbst sich das wünschen würde. „Ich denke, dass „Black Friday„ ein relativ trauriges Album ist“, sagt der Sänger, Pianist und Songschreiber. „Aber es finden sich auch viele Momente der Erleichterung, Erlösung und Schönheit darauf.“

Er liebe es, wenn Musik zu Tränen rührend und aufbauend zugleich klänge. Vor allem aber möchte er mit seinen Liedern eins: wahre, echte Gefühle ausdrücken. „Das Leben ist hart“, weiß auch Odell, „die Zeiten sind für viele von uns heftig, die sozialen Medien verstärken noch das ohnehin allgegenwärtige Gefühl, unzulänglich zu sein und irgendetwas konsumieren zu müssen, um mithalten zu können. Ich würde mir sehr wünschen, dass eine weichere Welt möglich ist, eine Welt mit mehr Mitgefühl und Wärme.“

An dieser freundlichen Utopie möchte Odell, der vor zwei Jahren auf seinem Album „Monsters“ sehr offen über die eigenen mentalen Schwankungen gesungen hat, mithilfe seiner Musik gern mitbauen. Die Monster, bekennt der Brite, die bei ihm metaphorisch für Ängste und übersteigerte Sorgen stünden, seien noch da – und er „wäre überrascht, wenn sie jemals ganz verschwänden“. Aber momentan seien sie meistens nicht sehr angriffslustig. Er selbst, sagt Odell, habe einen Ort, den er jederzeit aufsuchen könne, um Wärme, Sicherheit und Geborgenheit zu spüren. Und das ist, wenig überraschend, sein Piano.

„Nichts gibt mir so viel Stärke und Klarheit wie am Klavier zu sitzen und mir beim Spiel meiner Emotionen bewusst zu werden und sie zu sortieren. Sobald ich spiele, fällt diese seltsame Benommenheit, die mich ansonsten häufig heimsucht, von mir ab. Dann fühle ich mich lebendig und akut am Leben“, beschreibt er. Sieben Jahre war Tom Odell alt, als sich ihm die Kraft des Klavierspiels zu erschließen begann. Die Kindheit war behütet, aber ein bisschen unstet. Mit den Eltern – der Vater Pilot, die Mutter Grundschullehrerin – und der älteren Schwester wuchs er in West Sussex auf, bevor die Familie nach Auckland in Neuseeland zog.

Später ging es zurück nach England, wo Odell an der renommierten Musikuniversität BIMM in Brighton studierte und nebenher als Barkeeper arbeitete. 2012 unterschrieb er einen Plattenvertrag, Anfang 2013 erhielt er den für Nachwuchskräfte sehr prestigeträchtigen „Brits“ Critics“ Choice Award“. Kurze Zeit später wurde er mit seinem ersten und immer noch allergrößten Hit „Another Love“ zu jenem Star, der er bis heute geblieben ist. Und auch der Song selbst erweist sich als außerordentlich zäh. Seit ungefähr zwei Jahren hält sich „Another Love“ unablässig in den Singlecharts, erst erlebte das Stück dank der Mitsing- und -tanz-App Tiktok eine Renaissance.

Schließlich half Odell selbst tatkräftig mit, den Song als eine Art Resilienz-Hymne für alle unter dem Ukraine-Krieg Leidenden neu zu positionieren: Im März 2022 spielte er recht spontan ein kleines Konzert für Geflüchtete im Bahnhof von Bukarest – mit „Another Love“ als emotionalem Höhepunkt. „Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke“, sagt der in Chichester geborene Musiker, „gibt es sicher einiges, das mir heute ein bisschen peinlich ist.“ Besonders denke er an die Verwendung eines Fotos seiner damaligen Freundin als Cover einer Single. „Aber ich stehe bis heute hundertprozentig hinter jedem Lied, das ich je geschrieben habe. Du kannst noch so viel Glück haben oder zur richtigen Zeit mit dem richtigen Song präsent sein. Aber das Wichtigste ist für mich, dass ich mein Handwerk beherrsche.“

Hört man sich „Black Friday“ an, wird ein weiteres Mal deutlich, was diesen Musiker auszeichnet: Er macht kommerzielle, melodische und feinfühlige Popmusik mit einem erheblichen Maß an Substanz und Zeitlosigkeit. „Ich achte schon sehr darauf, was für Lieder ich in die Welt setze“, sagt er. „Ich meine jedes Wort, das ich singe, und ich singe es mit absoluter Überzeugung. Denn wenn alles optimal läuft, singe ich diese Songs noch mit 70, so wie meine Idole Joni Mitchell, Leonard Cohen und Bruce Springsteen. Und ich möchte es gern vermeiden, dass mir meine Lieder später irgendwann mal peinlich sind.“ Nicht immer jedoch handeln seine Songs strikt von ihm selbst.

Die Idee zu „The End“, dem letzten Lied auf „Black Friday“, kam dem Foo-Fighters-Fan Odell, als er Shane, den Sohn des im März 2022 verstorbenen Schlagzeugers Taylor Hawkins, bei einem Tribute-Festival für seinen Vater mit der Band spielen sah. „Ich musste sofort losheulen“, erinnert der Brite sich. „Ich fand das so wunderschön und so tieftragisch zugleich.“ Ein typischer Tom-Odell-Moment halt.

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